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Berlin: Beten allein hilft nicht

CDU-Fraktionschef Pflüger diskutiert im Diesterweg-Gymnasium über Religion

Als Friedbert Pflüger das Wort „Gebetsraum“ erwähnt, rollen manche Schüler mit den Augen. Es sind Elftklässler des Diesterweg-Gymnasiums, die der CDU- Fraktionschef an diesem Montag besucht. Krawattenlos und ohne Brimborium ist er hierher nach Gesundbrunnen gekommen, wo 78 Prozent der Schüler ausländische Wurzeln haben, in den jüngeren Klassen auch über 90 Prozent. Im März hat ein muslimischer Achtklässler hier das Recht auf einen Gebetsraum eingeklagt. Er nutzt ihn nicht, aber das Exempel ist statuiert – zumindest, bis die Verwaltungsrichter abschließend entscheiden.

Hier also sitzt Pflüger und fragt die Schüler nach Religion und Familie und ihrer Meinung zu dem Gebetsraum. Wenn schon, dann für alle Religionen, findet Ebru, die selbst Muslimin ist. Erhan sagt: „Man kann auch vor- oder nachbeten. So würde ich das machen.“ Yelez, die ihre schwarzen Haare blondiert hat, sagt: „Gebetsräume für alle wären zu mühsam.“ Der Koran verlange die fünf täglichen Gebete nur, wenn es sich einrichten lasse.

Das weiß auch Brigitte Burchardt. Die Schulleiterin hat viel im Koran gelesen, um Bescheid zu wissen. Elf Religionen habe sie hier, nicht in allen dürften Mädchen und Jungen gemeinsam beten. „Wir können das organisatorisch überhaupt nicht leisten“, sagt sie. Ganz abgesehen davon, dass die bunte Schülerschaft die Pausen lieber klassen- oder grüppchenweise miteinander verbringen sollte, statt manche Schüler einzeln im Gebetsraum. Das wäre in einer staatlichen Schule problematisch.

„Die Muslime sind moderner geworden“, sagt die Palästinenserin Shirin. „Nur beim Ramadan machen noch alle mit.“ Viele nicken. Patrick schränkt ein: „Die Eltern sind bestimmt liberaler geworden. Aber das Verhalten der Kinder hängt eher von deren eigenen Perspektiven ab.“ Wer aus einem so betitelten „Problemkiez“ komme und zur Hauptschule gehe, erwarte vom Diesseits wohl nicht viel. Pflüger bestätigt, dass ihm selbst die gefürchteten Rütli-Schüler sehr vernünftig vorgekommen seien, „wenn man die nur richtig fördern würde“.

Das Kästchen über der Tür schnarrt und leuchtet: Pause. Aber keiner rumort oder drängelt; das Thema interessiert die 17-Jährigen ganz offensichtlich. So sehr, dass Pflüger sich noch ein anderes seiner Lieblingsthemen vornimmt, den Religionsunterricht. „Was haltet ihr davon?“, will er wissen. Die Meinungen sind geteilt. Schmalspur-Religionsunterricht für den eigenen Glauben lehnen alle ab. Patrick sagt: „Ich bin unbedingt für Ethik. Schon in der Grundschule – um die Werte unseres Landes zu vermitteln.“ Wie nötig das sei, habe er selbst erlebt: „Scheiß Deutscher“, hätten ihm Migrantenkinder in der dritten Klasse hinterhergerufen.

Patricks Kiez ist noch derselbe. Aber der Ton im Diesterweg-Gymnasium ist ein anderer. Man hört sich zu und geht respektvoll miteinander um. Wer hier sitzt, hat es so gut wie geschafft. Die Tamilin aus Sri Lanka, die Schiitin mit Türkei-Button am T-Shirt, die mazedonische Albanerin und die Tunesierin: Sie alle sprechen von „Heimweh“. Manche meinen die Heimatorte ihrer Eltern, andere ihre Angehörigen, die sie selbst kaum kennen. Aber bei aller Nostalgie strengen sie sich an, um in Deutschland etwas zu werden. Heftig nicken sie, als Patrick, der Deutsche, über die „Kanaksprak“ klagt, die sich selbst einer seiner deutschen Freunde angewöhnt habe.

Die eigene Sprache perfekt und mindestens eine andere richtig gut zu können – das sei das Wichtigste, beschwört Pflüger die jungen Leute, die ihn mit zartem Applaus verabschieden. Später resümiert er: „Das macht Hoffnung. Man muss darauf achten, solche funktionierenden Strukturen wie diese Schule hier zu erhalten.“ Damit spielt er auch auf den drohenden Umzug des Diesterweg-Gymnasiums an. Auch die Schüler fanden Pflüger so weit in Ordnung. Er habe ein bisschen zu sehr damit geprotzt, wo er schon überall war (Baku, Skopje, Jerusalem, Neukölln). „Aber sonst hat er ganz korrekt geredet“, sagt Erhan. Stefan Jacobs

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