zum Hauptinhalt
Wo sonst Schnaps und Bier ausgeschenkt wird, nimmt medizinisches Personal Corona-Tests vor.

© Wolfgang Kumm/dpa

Berlin zahlt bisher nicht für Schnelltests: Betreiber von Testzentren bleiben auf den Kosten sitzen

Für die Bürger sind Schnelltests unentgeltlich, aber den Anbietern entstehen Kosten. Das Land hat bislang keinen Cent gezahlt.

Von Sandra Dassler

Vor acht Wochen noch wurden sie gebraucht, hofiert, angefleht, ihre Kapazitäten auszubauen. Jetzt fühlen sich viele Betreiber von Corona-Testzentren in Berlin ausgenutzt und im Stich gelassen. Der Grund: Bislang haben sie keinen Cent für die Durchführung der unentgeltlichen „Bürgertests“ erhalten. Schlimmer noch: Sie konnten die ihnen zustehenden Gelder nicht einmal beantragen.

Bereits im März hatte der Tagesspiegel darüber berichtet, dass die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin die Erstattung der Kosten von bundesweit einheitlichen zwölf Euro für die Durchführung der Tests übernimmt. Schon damals war von Anfang Mai für den Beginn der Abrechnung die Rede. Viele Betreiber von Testzentren protestierten dagegen – geändert hat sich nichts. Im Gegenteil: die Verunsicherung und der Frust sind noch größer geworden.

„Wir arbeiten hier alle seit Wochen mit viel Engagement und vielen Überstunden“, sagt Steffen Wicht: „Natürlich hatten wir gehofft, dass die Kosten zeitnah erstattet werden. Ich kann doch meinen Angestellten ihren Lohn auch nicht erst in acht Wochen zahlen.“ Wicht ist Geschäftsführer der Firma Napaso in Adlershof und bietet gemeinsam mit seiner Frau Erste-Hilfe-Kurse sowie Ersthelfer-und Brandschutz-Schulungen an. „Durch die Nähe zur Medizinbranche haben wir schon im Dezember 2020 mit ersten Tests begonnen, weil der Bedarf einfach da war“, sagt er.

Seit dem 10. März hat er die offizielle Bestätigung als Testzentrum und seither, auch auf Bitten des Bezirksamts Treptow-Köpenick, wurden die Kapazitäten stark erhöht. „Alle Investitionen in Personal, Löhne, Schulungen, Organisation und Material erfolgten und erfolgen bis heute ausschließlich durch Vorfinanzierung der Napaso GmbH“, sagt Steffen Wicht.

Hunderte Teststellen wurden in Berlin eingerichtet, auch an so ausgefallenen Orten wie hier in einer Bar in Friedrichshain.

© privat

Formal richtig, moralisch fragwürdig

Das gelte auch für die Miete der Merlitzsporthalle, in die die Menschen zum Test kommen. „Dabei hat uns das Bezirksamt sehr unterstützt“, sagt Wicht. Umso enttäuschter war er aber, als er jetzt eine Mahnung wegen ausstehender Mietzahlungen für die Halle erhielt.

Das sei formal vielleicht richtig, moralisch aber doch sehr fragwürdig, schrieb er dem Bezirksamt zurück: „Bis heute haben wir keinen einzigen Cent des Bundes, keinen einzigen Cent des Landes Berlin bekommen. Wir möchten Sie bitten, erst eine Forderung zu stellen, wenn auch eine Zahlung für die Bürgertestung bei uns eingegangen ist.“

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

20 Mitarbeiter auf 450-Euro-Basis und zwei Teilzeit-Beschäftigte hat Steffen Wicht eingestellt. Die Räumlichkeiten wurden so eingerichtet, dass sie auch für Senioren und Menschen mit Behinderung leicht zugänglich sind. Eine Kinder-Ecke wurde liebevoll ausgestaltet, die jüngsten Getesteten werden mit „Tapferkeit“-Gummibärchen belohnt.

Fast 15.000 für die Bürger kostenlose Antigen-Tests hat Steffen Wicht inzwischen durchgeführt. Macht bei zwölf Euro Pauschale 180.000 Euro. „Wenn ich mit meiner Firma so viel Schulden hätte, müsste ich längst Insolvenz anmelden“, sagt er.

Die Coronatests liegen bereit. Bei Napaso werden auch Kinder liebevoll betreut.

© privat

Noch keinen Euro erhalten

So hohe Verluste muss Christian Melzer von der Easy-Apotheke in Adlershof nicht ausgleichen, aber auch er ärgert sich über die lange Wartezeit auf die zugesagten Gelder. Weit mehr als tausend kostenlose Schnelltests haben er und seine Mitarbeiter seit März vorgenommen – und für die Leistung selbst noch keinen Euro erhalten.

Immerhin habe die Senatsverwaltung für Gesundheit sehr schnell reagiert, was die Kosten für die Test-Kits anbelangt. „Die bekommen wir wie alle anderen auf Wunsch kostenlos vom Senat geliefert“, sagt Melzer. „Für das Testen selbst müssen auch wir weiterhin in Vorkasse gehen. Das betrifft vor allem die höheren Personalkosten. Im Gegensatz zu den privaten Testzentren entstehen uns aber keine zusätzlichen Belastungen für gemietete Objekte, da wir in der Apotheke testen.“

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Auf die Frage, warum die Abrechnung der Gelder so lange dauert, teilte die Kassenärztliche Vereinigung dem Tagesspiegel mit, dass „in einigen Fällen“ schon Geld an private Teststellen ausgezahlt wurde. Konkret habe es sich dabei um 25 Einrichtungen gehandelt, für die bereits am 7. April „eine vollständige Akkreditierung gegenüber der KV Berlin vorlag“.

Weitere 150 Anträge von privaten Teststellen würden aktuell bearbeitet. Erst nach der vollständigen Akkreditierung könnten die ausstehenden Gelder beantragt werden, so dass „gegen Ende Mai“ die Auszahlung für den Monat April und – falls noch nicht geschehen – für den Monat März erfolgen werde. Warum die Akkreditierungen so lange dauern, ist unklar, zumal die Kassenärztliche Vereinigung 3,5 Prozent der Gelder als Verwaltungskostenpauschale einbehält.

Fluktuation „erwartbar hoch“

Ende Mai werden manche wahrscheinlich schon nicht mehr arbeiten. Bereits jetzt sei die Fluktuation angesichts der vielen Testmöglichkeiten „erwartbar hoch“, sagte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit. Mit Stand vom 29. April gab es seinen Angaben zufolge in ganz Berlin 740 Testangebote mit einer Wochenkapazität von rund 2,5 Millionen Tests. Wenn sich die Nachfrage etwa durch das vermehrte Impfen ändern sollte, werde man das Testkonzept natürlich anpassen, sagte der Sprecher.

Apotheker Christian Melzer will jedenfalls spätestens Ende Juni mit dem Testen aufhören, damit er und seine Mitarbeiter endlich mal wieder Urlaub machen können. Er geht fest davon aus, dass das Schlimmste bis dahin überstanden ist – und dass er endlich auch die ausstehenden Pauschalen erhält.

Auch Steffen Wicht aus Adlershof hofft, dass die Gelder bald kommen werden, damit er alle entstandenen Kosten begleichen kann. Manches sei ohnehin nicht finanziell zu ersetzen. „Meine Frau und ich haben schon wegen der Erledigung des ungeheuren Papierkrams in den vergangenen Wochen viele zusätzliche Stunden gearbeitet. Das ging auch sehr zu Lasten unserer Familie“, sagt er. Und er ist sich sicher: „Nochmal würden wir das nicht machen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false