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Berlin: Bewährungsstrafe für Vergewaltiger: Opferschutz nutzte nur dem Täter

Als der Richter die Entscheidung verlas, war auf den Zuschauerbänken Entrüstung zu spüren: Das Gericht verurteilte Kristijan S., der ein 13 Jahre altes Mädchen vergewaltigt und geschwängert hatte, zu zwei Jahren Haft auf Bewährung - und entließ ihn nach Hause.

Als der Richter die Entscheidung verlas, war auf den Zuschauerbänken Entrüstung zu spüren: Das Gericht verurteilte Kristijan S., der ein 13 Jahre altes Mädchen vergewaltigt und geschwängert hatte, zu zwei Jahren Haft auf Bewährung - und entließ ihn nach Hause. Das Urteil hat Empörung ausgelöst: Bei den Eltern des Opfers, den Zuhörern, der Boulevard-Presse.

Auch in Justizkreisen ist der Richterspruch in die Kritik geraten. Als einen Eklat soll Generalstaatsanwalt Dieter Neumann das Urteil bezeichnet und sich die Akten zukommen lassen haben. Neumann war gestern nicht zu erreichen, aber Justizsprecher Sascha Daue bestätigt: "Seitens der Staatsanwaltschaft wird Revision eingelegt." Für den Ankläger des Verfahrens dürfte dies eine üble Niederlage bedeuten. Er selbst hatte beim Gericht zwei Jahre auf Bewährung gefordert, also die Mindeststrafe, die das Strafgesetzbuch für Vergewaltigung vorsieht.

Kristijan S., eher ein geistiger Spätentwickler, hatte das Nachbarsmädchen Sabine vor rund vier Jahren kennengelernt. Die anfängliche Freundschaft soll bald von den Annäherungsversuchen des 23-Jährigen getrübt worden sein. Am 23. August lockte Kristijan S. das Mädchen laut Anklageschrift in ein leer stehendes Haus und vergewaltigte sie. Sabine verschwieg den Übergriff, wurde schwanger und brachte im Januar das Baby tot zur Welt. Eine DNA-Analyse an dem toten Kind belegte, dass Kristijan S. der Vater ist.

In seinem ersten Prozess 1999 leugnete der Angeklagte, das Mädchen vergewaltigt zu haben: Sabine habe Sex gewollt. Nachdem man das Opfer befragt hatte - der Angeklagte wurde währenddessen des Saales verwiesen -, verurteilte das Gericht den Mann zu drei Jahren Gefängnis. Für den Ersttäter ein relativ strenges Urteil. Zum Vergleich: Im Oktober 2000 erhielt ein 38-Jähriger zwei Jahre Bewährung, weil er seine Stieftochter in zwölf Fällen missbraucht hatte. Zweieinhalb Jahre Haft gab es für einen 39-Jährigen, der seine vierjährige Tochter im Schlaf überrascht und sexuell missbraucht hatte. Zu vier Jahren Haft wurde ein Vater verurteilt, der seiner 13 Jahre alten Tochter mehrfach vergewaltigt und geschwängert hatte.

Kristijan S. legte Berufung ein. "Auch in diesem Verfahren hatte ich beantragt, dass Sabine in Abwesenheit des Angeklagten befragt wird", sagt Nebenklagevertreterin Ellen Engel. Doch die Dinge nahmen einen anderen Lauf: Als das Gericht Sabine befragen wollte, fand man das Mädchen auf dem Flur weinend in den Armen ihres Vaters. Der Staatsanwalt kam auf die Idee, Sabine die Aussage ganz zu ersparen und S. für ein Geständnis Strafmilderung anzubieten.

Tatsächlich sind sich Juristen, Psychologen und Gutachter in einem Punkt einig: Wenn möglich, sollte vor allem jungen Missbrauchsopfern eine Aussage vor Gericht erspart bleiben. "Dies sollte als Faustregel nicht in Frage gestellt werden", sagt Max Steller vom Institut für forensische Psychiatrie. Auch wenn Studien gezeigt hätten, dass eine Aussage für manche Zeugen eine entlastende und befreiende Wirkung zeige.

Um eine Gegenüberstellung von Opfer und Täter vermeiden zu können, wurde im Kriminalgericht Moabit vor rund zwei Jahren eine Videoanlage installiert. Bei dem neuen Verfahren werden die Opfer, die in einem kleinen Zimmer hinter dem Gerichtssaal sitzen, per Kamera vom Richter befragt. Die Antworten überträgt das Gerät live in den Saal. Auch Rechtsanwältin Engel hatte an eine Zeugenaussage per Video "als nächsten Schritt" gedacht, der sich aber durch den Vorschlag der Anklage erledigt habe.

Richter und Staatsanwalt wollten das Mädchen vermutlich nur vor weiterem Schaden bewahren. Fraglich ist, ob ihm mit dieser Entscheidung wirklich geholfen wurde. "Ich hätte nochmal ausgesagt, wenn ihn das hinter Gitter gebracht hätte", soll Sabine ihrer Anwältin erklärt haben. Ihre Mandantin befürchte nun, dass der frühere Nachbar ihr nach dem Unterricht auflauern könnte. "Sie ist zwar umgezogen, hat aber die Schule nicht gewechselt", sagt Engel. Bis zu seinem ersten Urteil soll Kristijan S. wiederholt kompromittierende Botschaften an die Schulmauern gesprüht haben. "Sabine, ich liebe dich", war demnach eine der harmlosesten.

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