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Endstation S7 Ahrensfelde Plattenbauten in der Nähe des S-Bahnhofs Ahrensfelde Berlin Berlin Deutschland *** Final stop S7 Ahrensfelde Plattenbauten near the S-Bahn station Ahrensfelde Berlin Berlin Germany

© imago images/F. Anthea Schaap

Gründung von Marzahn 1979: Wie ein neuer Berliner Bezirk einst zur Ost-West-Affäre wurde

Die Berliner CDU will einen 13. Bezirk auf Brandenburger Gebiet gründen. Ein ähnlicher Plan der DDR wurde Ende der Siebzigerjahre zum Politikum.

Von Johanna Treblin

Ein 13. Stadtbezirk für Berlin auf Brandenburger Gebiet – diesen Vorschlag der Berliner CDU hat der Brandenburgische SPD-Fraktionschef Daniel Keller vor Kurzem im Tagesspiegel als „vorgezogenen Karnevalswitz“ bezeichnet. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass Berlin sich ins Umland ausweitet, um dem Wohnungsmangel zu begegnen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Gebietsgrenzen von Berlin genau festgelegt. Ost-Berlin – der sowjetische Sektor – bekam acht Bezirke: Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Pankow, Weißensee, Lichtenberg, Treptow und Köpenick. 1976 veröffentlichte das „Neue Deutschland“ erstmals Pläne, dass die DDR einen 9. Stadtbezirk für Berlin plane: Marzahn. Bis 1985 sollten dort 35.000 neue Wohnungen für rund 100.000 Menschen entstehen.

1979 wurden die Pläne dann konkret. Der neue Bezirk sollte aus Lichtenberg ausgegliedert werden, aus den Ortsteilen Marzahn, Biesdorf, Hellersdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf bestehen und bei den Wahlen im Mai des Jahres eine eigene Stadtbezirksversammlung wählen. In einem sehr ausführlichen Bericht ging die FAZ damals darauf ein. Mit Bezugnahme auf ein Radiointerview schrieb sie, „daß der Generalbebauungsplan vorsehe, das Neubaugebiet Marzahn ‘nach 1980 in den Raum Ahrensfelde zu erweitern’“.

Allerdings war noch unklar, so hieß es am 3. April 1979 im Tagesspiegel, „ob dieses Erweiterungsgebiet verwaltungsmäßig später zum Bezirk Berlin-Marzahn oder — wie bisher — zum DDR-Bezirk Frankfurt/Oder gerechnet wird.“ Die Alliierten beobachteten die Situation ganz genau: Die Pläne könnten ein Verstoß gegen den Viermächte-Status von Berlin sein. „Damit würde eine Politik fortgesetzt, erklärte Lummer, die in kleinen Schritten immer wieder den Versuch mache, den Viermächte-Status auf West-Berlin zu beschränken“, schrieb der Tagesspiegel weiter. Heinrich Lummer war damals CDU-Fraktionsvorsitzender in Westberlin.

Zwei Tage später zitierte die dpa das DDR-Außenministerium folgendermaßen: „Die Organisierung der städtischen Verwaltung in der Hauptstadt der DDR, Berlin, ist eine souveräne Angelegenheit der DDR.“ Eine weitergehende Stellungnahme wurde nicht abgegeben. Die Westmächte reagierten, indem sie die DDR-Pläne einfach uminterpretierten: In einer gemeinsamen Erklärung der Botschaften von USA, Großbritannien und Frankreich hieß es am 6. April: „Wir nehmen an“, dass es „keine Veränderung der Grenze zwischen dem Ostsektor Berlins und der Deutschen Demokratischen Republik“ geben werde. Auch „ein einseitiges Vorgehen der DDR“ könne eine solche Änderung nicht herbeiführen.

Das Berliner Neubaugebiet auf Ahrensfelder Boden kam. Laut Wikipedia verlor der Ort dadurch 56 Hektar seiner Fläche. Eine Quelle dafür ist nicht angegeben, und das einzige Dokument, das online zu finden ist und diese Zahl aufführt, hat exakt den gleichen Wortlaut wie der Wikipedia-Eintrag, weshalb unklar ist, wer von wem abgeschrieben hat. Demzufolge jedenfalls ging das Gebiet lediglich verwaltungstechnisch an Berlin über. Erst 1990 wurde die Trennung im Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR festgeschrieben.

1979 wurden auch die Grenzkontrollen zwischen Ost-Berlin und der DDR aufgehoben, sodass Berliner:innen und Nicht-Berliner:innen ohne Probleme zwischen dem einen und dem anderen Teil von Ahrensfelde hin und her gehen konnten – und die Frage, ob Berlin nun faktisch vergrößert worden war oder nicht, zumindest augenscheinlich nicht mehr von Bedeutung war.

Es gab noch einen Ort, dem Fläche genommen wurde, um Marzahn zu vergrößern: Hönow. Auf aktuellen Landkarten ist zu sehen, wie Berlin heute auf der Höhe von Hönow mit einem Zipfel in den Osten hinein reicht. Hier entstand Mitte der 80er Jahre entlang der Böhlener Straße eine weitere Wohnsiedlung außerhalb der bisherigen Berliner Stadtgrenzen. Nordöstlich der Wohnbebauung liegt die Hönower Weiherkette. Auch diese wurde Marzahn zugeschlagen.

Es wäre also nicht das erste Mal, dass Berlin zuungunsten des Umlands vergrößert würde. Brandenburg wird das als Argument allerdings sicher nicht überzeugen.

Immer dienstags erscheint der Tagesspiegel-Newsletter für Marzahn-Hellersdorf. Den gibt es in voller Länge, einmal pro Woche mit vielen konkreten Bezirksnews, Tipps, Terminen unter tagesspiegel.de/bezirke. Und diesmal berichtet Johanna Treblin unter anderem über diese Themen:

  • Ein Community-Zentrum für queere Menschen aus der Ukraine
  • Afd-Stadtrat wieder nicht gewählt
  • Kyrillische Schriftzeichen an Bäumen im Schlosspark Biesdorf mit historischer Relevanz
  • Vortrag „Josep Renau in Hellersdorf“
  • Gedenkstein zur Erinnerung an Soldatenfriedhof seit Monaten beschmiert
  • Stellen für Radwegplanung immer noch unbesetzt
  • Informationsschilder am Bahnhof Springpfuhl
  • Nicht nur Köpfe: Ausstellung mit Werken Rüdiger Roehls in der Pyramide
  • Polizeimeldungen from Hell: Mädchen von Autofahrer angefahren 

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