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Eine Bootsfahrt, die ist auch auf dem Schlachtensee lustig

© Thilo Rückeis

Wem gehört der Schlachtensee? Ein Spaziergang in Zehlendorf: Im Großen und Ganzen wird friedlich gelärmt

Unsere Autorin wohnt seit 35 Jahren am Schlachtensee. Im Sommer wird von den Anwohnern immer viel gemeckert und gestöhnt wegen der vielen Ausflügler und Jugendlichen. Und wegen des Mülls! Brigitte Grunert ist für den Zehlendorf Blog um den See spaziert.

Für die Anwohner ist der Schlachtensee "unser See", und sie finden, dass "unser See" nicht mehr ist, was er mal war. "Da wächst ja kaum noch ein Grashalm, vollkommen überlaufen", sagt die freundliche alte Dame mit dem Hund. Wer das Glück hat hier zu wohnen und täglich seine Runden dreht, weiß Empörendes zu erzählen von ungebärdigen Zeitgenossen, die über die Natur herfallen und die Idylle stören.

Mir fallen nie so schlimme Dinge auf wie den Nachbarn

Na schön, an warmen Sommertagen ergießt sich vom S-Bahnhof Schlachtensee unentwegt ein Strom von Ausflüglern aus der Millionenstadt mit Picknickkörben und Matten. Bis zur Liegewiese, die sich zum See hinunter zieht, sind es nur ein paar Schritte, bequemer geht es nicht. Hier gibt es kein Reglement einer Badeanstalt, hier ist kein Eintrittsgeld fällig. Das Wasser ist dank der ständigen Zufuhr von gereinigtem Wannsee-Wasser glasklar. Natürlich ist die ewig bevölkerte Liegewiese  ziemlich kahl getrampelt. Und da sich alles austobt, sieht die Polizei oft mehrmals am Tag bis in die Nacht nach dem Rechten, um Übermut in Grenzen zu halten.

Auch ich wohne dicht am See, seit 35 Jahren freue ich mich darüber. Allerdings fallen mir nie so schlimme Dinge auf, wie sie in der Nachbarschaft über Kiffer, Dealer, Säufer, Krakeeler erzählt werden. Ich sehe nur, dass jeder ungeniert macht, was er will. Die Ausflügler sind eben ein Spiegelbild unserer Ich-Gesellschaft. Keiner scheint sich an Unarten des anderen zu stören. Wenn wirklich ein Unglück passiert, merkt es unsereiner am Tatütata der Feuerwehr, an blinkenden Polizeiwagen und kreisenden Hubschraubern.

Die alte Buche muss einiges aushalten
Die alte Buche muss einiges aushalten. Der Badespaß wird hier schon akrobatisch.

© Thilo Rückeis

Ältere Spaziergänger drehen gemütlich ihre 5,5 Kilometer lange Runde um den See, Radfahrer erschrecken sie mit ihrem Gebimmel. Morgens und abends ziehen die Jogger ihre Bahn – und mit großen Plastiktaschen die Flaschensammler, die sich auf diese Weise ein kleines Zubrot verschaffen. Klar, die Abfallkörbe laufen über, ein übler Anblick. Viele lassen rücksichtslos ihren Müll liegen, wo sie gehen und stehen. Nur manchmal ruft eine Polizeistreife in Zivil zur Ordnung. Vergessene Badeutensilien vermodern im dunkel-grauen Waldsand.

Jede noch so winzige Bucht ist von Badevolk besetzt. Manche sind mit einem Kasten Bier bewaffnet, den sie zum Kühlen der Flaschen ins Wasser stellen. Gejohle, Geschrei und Balgereien der Badenden, Skatklopper, Hundegebell, Pop- und Rapmusik, nackte Sonnenanbeter, ungenierte Liebesszenen, das ist alles dicht bei dicht zu finden. Manche werden in der Dämmerung erst richtig munter und schlagen Wurzeln am See. Nur beim Rauchen und Grillen hört die Toleranz auf. Den Förstern bereitet es Sorgen, dass sich solche Abenteurer überhaupt nicht um die Waldbrandgefahr scheren. Wenigstens bleiben die eingezäunten Uferzonen zur Renaturierung der örtlichen Flora und Fauna unangetastet. Wer hätte schon Lust, im Schilf zu waten.

Doch im Großen und Ganzen wird friedlich gelärmt. Warum sollen die Leute nicht ihren Sommerspaß haben? Dieser Waldsee ist nun mal einer der schönsten und beliebtesten in Berlin. An der Nordspitze des Sees, nahe der Krummen Lanke, ist schließlich auch immer viel los, nur dass das Vergnügen im Ausflugslokal richtig teuer ist. Die Alte Fischerhütte, anno 1759 erstmals erwähnt, hat sich als Ausflugslokal in den letzten Jahren mächtig breit gemacht, beinahe das ganze Jahr über herrscht Hochbetrieb. Es riecht zehn Meilen gegen den Wind nach Bratwurst und Bier, von Idylle keine Spur. Nicht nur im Restaurant, sondern auch am Selbstbedienungsstand haben es die Preise in sich. Wenn die Gäste spät abends aufbrechen, hört man die klappenden Autotüren und aufheulenden Motoren bis sonst wohin.

Die reinste Tarzan-Romantik

Auch der Bootsverleih floriert bis in den Herbst. Die Ruderkähne geben ein hübsches Bild auf dem See. Nur scheinen sich Schwäne und Enten in dem ganzen Gewusel nicht mehr wohl zu fühlen, jedenfalls sehe ich in diesem Jahr keine, nur die Blesshühner sind geblieben. Die Angler kommen höchstens  am Abend. Wenn sich das aufgewühlte Wasser beruhigt hat, beißen die Barsche, Hechte, Welse wohl eher an. Es gibt Geschichten über sagenhafte Riesenwelse.

Was mich am meisten fasziniert, ist der Kletterbaum auf der Waldseite des Sees, ein wahrer Anziehungspunkt. Die hohe, dicke Buche bald hinter dem Weg von der Straße Am Schlachtensee zur Südspitze dient seit Jahrzehnten Jugendlichen als Sprungturm. Irgendwann haben Findige Holzklötze als Stufen bis an den höchsten Ast genagelt und Seile angebracht, auch eine Strickleiter. Oft hangeln sich zehn, zwölf Jungen und Mädchen auf einmal behände von Ast zu Ast und schwingen sich an Seilen auf den See hinaus, ehe sie ins Wasser springen, das ja tief genug sein muss. Man könnte ihnen stundenlang zusehen, die reinste Tarzan-Romantik.  Nie erlebe ich dort Gerangel, Geschrei oder  Gezänk, nur gegenseitige Hilfestellung und harmlose Juchzer.

Die alte Buche muss viel aushalten, einige Äste sind längst ratzekahl. Eine Frau aus Hamburg erzählt, wie sie als Kind mit Wonne dort gesprungen ist. Ein begeisterter Springer, der ebenfalls schon lange aus den Jugendjahren heraus ist, stellt sich als marokkanischer Franzose aus Düsseldorf vor. Man müsse aufpassen, sagt er, ganz ungefährlich sei die Sache ja nicht. Im Nu klettert er bis in die Krone und richtet fürsorglich die Seile. Ein amerikanischer Berlin-Besucher fotografiert stolz seinen Enkel beim Springen, Erinnerung fürs Leben an eine Mutprobe.

Die Südspitze, das ist das Leistikow-Eck, denn dort hat Walter Leistikow den Schlachtensee gemalt. Das heißt, kaum jemand kennt die Bezeichnung Leistikow-Eck. Die hat wohl 1982 der Protokollchef des Senats kreiert. Warum? Der damalige Bundespräsident Karl Carstens, der ein großer Wanderer war, lief auf seiner Grunewald-Wanderung auch am Schlachtensee entlang, da musste für den Startpunkt des hohen Gastes schon ein interessanter Name her.

Man sieht, hier darf jeder eine Weile nach seiner Fasson selig sein. Wenn der Sommer sich neigt, wird es garantiert ruhiger am See, aber still wird es nie.

Brigitte Grunert war langjährige landespolitische Chef-Korrespondentin des Tagesspiegels. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

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