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Grillfest des Vereins akinda e.V. Berlin - ehrenamtliche Vormünder für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Hier: Nazir, 16 Jahre alt Flüchtling aus Libyen geboren in Benin im Gespräch mit seinem Freund.

© Rico Prauss

Netzwerk unterstützt Tandems: Engagierte Berliner für unbegleitete Geflüchtete gesucht

Akinda vermittelt ehrenamtliche Vormunde an unbegleitete geflüchtete Jugendliche. Aus den Tandems entstehen oft Freundschaften.

An das erste Treffen – in einer betreuten Jugendwohngemeinschaft in Tempelhof – kann sich Nora Gohrt noch erinnern: „Wir waren beide sehr aufgeregt und er sehr schüchtern, deswegen habe ich viele Fragen gestellt.“ 2019 wurde die heute 29-Jährige ehrenamtliche Vormundin von Moussa, der damals noch minderjährig und allein aus Guinea nach Berlin kam.

Inzwischen ist Moussa, der eigentlich anders heißt, volljährig geworden. „Damit endete die Vormundschaft rechtlich, tatsächlich sind wir aber weiterhin in Kontakt und ich begleite ihn, solange er das möchte“, sagt die angehende Juristin. Sie trafen sich zuvor wöchentlich, jetzt alle drei Wochen.

„Wir haben viel Zeit auf dem Tempelhofer Feld verbracht“, erinnert sich Gohrt, „waren viel spazieren und Eis essen.“ Die administrative Seite der Vormundschaft drehte sich darum, wie es in der Schule oder im Fußballverein läuft, sie unterschrieb seine Zeugnisse, Fitnessstudio- und Handyvertrag. „Er meldete sich immer von sich aus, wenn er etwas brauchte und ich versuchte zu schauen, wie ich ihn unterstützen kann.“ Nicht immer läuft das so rund, oft ziehen sich die Jugendlichen zurück und es ist schwer, den Kontakt aufzubauen.

Die Tandems haben professionelle Ansprechpersonen

Doch bei Herausforderungen war Nora Gohrt mit ihrem Ehrenamt nicht allein. Begleitet wurde das Tandem vom Berliner Netzwerk für Einzelvormundschaften „akinda“, das hinter dem auffälligen roten Gebäude am südlichen Gleisdreieckpark in Kreuzberg seinen Sitz hat.

3000
unbegleitete minderjährige Geflüchtete wurden 2022 neu in Berlin registriert.

Seit 25 Jahren stärkt das Netzwerk die Form der ehrenamtlichen Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete – unter einem Dach mit dem Verein „XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte“. Etwa 180 Tandems von Ehrenamtlichen und jungen Geflüchteten aus 25 Staaten weltweit betreut akinda vom Sitz in Kreuzberg aktuell. Dabei können die Tandems auch die therapeutischen Angebote von XENION in Anspruch nehmen.

In Kreuzberg unter einem Dach: Ronald Reimann, Projektleiter von akinda, und Elisa Totino vom XENION-Mentorenprogramm.

© Corinna von Bodisco

Bedarf an Ehrenamtlichen gibt es allerdings noch mehr, laut Projektleiter Ronald Reimann wurden dieses Jahr mehr als 3000 unbegleitete minderjährige Geflüchtete neu in Berlin registriert. 2021 seien es noch rund 700 gewesen. Die meisten kämen aus Afghanistan, seit Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat die Terrormiliz Islamischer Staat ihre Angriffe auf Zivilist:innen verstärkt.

Amtsvormunde müssen rund 50 Jugendliche gleichzeitig betreuen

Diese Jugendlichen, die ohne Eltern nach Deutschland kommen, brauchen ein:e Vormund:in. Für etwa 80 Prozent dieser Fälle übernimmt ein:e sogenannte:r Amtsvormund:in vom Jugendamt. Diese dürfen kraft des Gesetzes maximal 50 Mündel betreuen, liegen aktuell aber sogar darüber. „Man kann sich vorstellen, da ist keine Zeit, um sich adäquat um jeden Einzelnen zu kümmern“, weiß Reimann.

Die ehrenamtliche Vormundschaft bedeutet stattdessen eine Person an der Seite, die sich engagiert für die Belange der Jugendlichen einsetzt. Vorher absolvieren die Ehrenamtlichen eine Schulung – fünf Module à drei Abendstunden.

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Damals habe Nora Gohrt geholfen, dass Moussas Therapeutin Bezugspersonen-Gespräche anbietet. Außerdem habe jedes Tandem – sowohl bei den Vormundschaften als auch bei den Mentor:innenschaften – eine feste Ansprechperson bei akinda und XENION. „Wir hören immer wieder, dass die Ehrenamtlichen sagen: Ohne diese Begleitung hätten sie es in manchen Situationen nicht geschafft“, berichtet Reimann.

Viele der Jugendlichen sind traumatisiert, „eine aktuelle Studie von ‚Save the children‘ besagt, dass junge Geflüchtete auf dem Fluchtweg massiv von Gewalt, Ausbeutung oder sexualisierter Gewalt bedroht sind“, sagt Ronald Reimann.

Ich habe die Rassismus-Komponente in manchen Zusammenhängen unterschätzt.

Nora Gohrt, ehemalige Vormundin eines geflüchteten Jugendlichen

XENION bietet für Geflüchtete mit Traumatisierung therapeutische Angebote, aber nicht nur. „Wir verfolgen ein ganzheitliches Konzept. Dazu gehören Therapie, soziale Beratung, die Mentor:innenschaften, die Einzelvormundschaften und weitere Angebote wie psychosoziale Gruppen, Wohnberatung und viel mehr “, zählt Elisa Totino auf, die im Mentor:innenprogramm von XENION arbeitet. Ehrenamtliche betreuen dabei geflüchtete Familien oder einzelne Erwachsene – aktuell in 160 Tandems. Es gebe eine Warteliste, etwa 40 Geflüchtete warten auf eine Vermittlung.

Nora Gohrt berichtet noch von einer weiteren Herausforderung: „Ich habe die Rassismus-Komponente in manchen Zusammenhängen unterschätzt, weil ich selbst als weiße Person, die viele Privilegien hält, solche Erfahrungen zum Beispiel in der Schule nicht gemacht habe.“ Bereits nach einem Jahr besuchte Moussa eine Regelklasse – eine Schule in Steglitz mit der Plakette „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ am Eingang.

Gohrt berichtet von einer Art Blockadehaltung vonseiten der Lehrerin, die nicht etwa durch die Zensuren begründet war. Trotz Gesprächen, auch mit dem Schulleiter, blieb diese Haltung bestehen. „Da würde ich heute stärker auftreten und auf einen Schulwechsel drängen“, sagt sie heute.

Der 18-jährige Moussa wohnt inzwischen in einer eigenen Wohnung und hat gerade eine Ausbildung zum Pfleger angefangen. „Wir haben verschiedene Möglichkeiten durchgespielt. Er meinte, das ist eine sinnvolle Sache, auch weil er anderen helfen will“, sagt seine ehemalige Vormundin und immer noch Vertraute.

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