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Die Kapelle auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf.

© Boris Buchholz

Friedhofsspaziergänge im Südwesten: "Wie wäre es mit Baronin von Ardenne?"

Drei Friedhöfe, keiner mehr als zehn Kilometer vom anderen entfernt - unser Autor besuchte sie alle und fand Friedhofsgeschichten: Den wilden Friedhof zum Verlaufen, den aufgeräumten mit Zirkusmusik und den „echten“ Waldfriedhof mit dem bröckelnden Kapellenkeller.

Es ist nicht zum Aus-der-Haut-fahren, sondern eher zum angenehm abenteuerlichen Verlaufen. Der Wald ist dicht, zwischen den Bäumen schauen hier Grabkreuze, da ein Gedenkstein, dort ein Mausoleum und auf der anderen Seite eine Pilzgemeinschaft hervor. Am Wegesrand teils verwitterte, teils lesbare Angaben zur Orientierung: „Wir sind Grabfeld 5.“ „Ja, aber wir müssten da lang, und da ist Grabfeld 1 und das ist falsch.“ Wer eine Pfadfindergrundausbildung erleben durfte, ist im Vorteil. Wir finden heraus: Das Grabfeld nördlich unserer Position ist römisch Eins; und im Süden steht gar keine 1, sondern eine 10 auf dem Stein. Zum Grab von Elisabeth von Plotho geht es also nach Süden — so lange wir wirklich im Block Trinitatis sind.

Schon als wir den Südwestkirchhof Stahnsdorf betreten hatten, suchten wir auf der Übersichtskarte nach Orientierung. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte uns Lutz Sliwinski, der gerade im ehemaligen Pförtnerhaus ehrenamtlich Dienst tat. Das ist keine Frage von ungefähr: Der Kirchhof ist nicht nur grabsteinalt, sondern auch riesengroß: 2.060.000 Quadratmeter. Als wir erklären, Theodor Fontane und Rudolf Breitscheid besuchen zu wollen, macht der Friedhofsexperte gleich freundlich Gegenvorschläge: Maja Maranow? Oder lieber Hellmut Lange? Wie wäre es mit Baronin von Ardenne?

Doppeltes Verlaufen gehört zum Besuchsprogramm

Genau das ist das Schöne am Südwestkirchhof: Sucht man sich seinen Weg abseits der wenigen Hauptwege, gehört doppeltes Verlaufen zum Besuchsprogramm — während man physisch seinen Weg sucht, entdeckt man gleichzeitig Menschen, Verstorbene, die ihre Geschichten erzählen wollen. Man verläuft sich in Biographien. Maja Maranow ist jung gestorben, 54 Jahre wurde die Schauspielerin nur alt, Brustkrebs. Fünf Tage nach Ihrem Tod im Januar 2016 wurde die letzte Folge von „Ein starkes Team“ ausgestrahlt; in der Serie spielte sie mit Florian Martens die Hauptrolle. Der Titel der Folge hieß „Geplatzte Träume“. Maja Maranow ist im Block Lietzensee begraben. Und wer bitte war Hellmut Lange? Das Ehepaar, das hinter uns den Lageplan studiert, mischt sich ein: „Na, der mit Old Shatterhand“, sagt sie. „Warte, Sam Ich-komm-gleich-drauf“, denkt er laut. „Nee, nich Hawkins, dit war mit dem Lederstrumpf.“ „Der Trapper“, klärt Lutz Sliwinski die Lage. Hellmut Langes Paraderolle war die des Trappers Nathaniel Bumppo in dem Fernsehvierteiler „Die Lederstrumpferzählungen“ nach James Fenimore Cooper. 1969 wurde der Straßenfeger ausgestrahlt. Cineasten jüngeren Jahrgangs kennen vor allem Langes Stimme: Er sprach für den US-Schauspieler Roy Scheider den deutschen Text in „2010 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnahmen“ und „Das fliegende Auge“.

Wir entscheiden uns für die Baronin und stiefeln los. Rechts „Reformation“, links passieren wir „Erlöser“, dann abbiegen gen „Nathanael“ und dem Weg nach „Trinititas“ folgen. Der Südwestkirchhof ist in „Bezirke“, sogenannte Blocks, aufgeteilt. Dicht stehende Bäume sperren das Sonnenlicht aus, erst hören wir einen Specht bei der Arbeit, dann sehen wir ihn auch. Es geht über helle Lichtungen, an von der Natur benutzten, begrünten Bänken, an alten Gräbern und frischen Blumen vorbei — quer durch den wild romantischen Südwesten. Es ist eine Mischung aus Märchen, Natur und Gedenkort. Verwunschen, überraschend, über-natürlich.

„Dass da etwas zwischen Himmel und Erde in der Luft ist“, sagt Friedhofsleiter Olaf Ihlefeldt, „kann man spüren.“ Er ist mit seinem Friedhof sehr zufrieden: „Die Kollegen vor 100 Jahren haben ihn so visionär gestaltet, dass es heute den Trend der Zeit trifft.“ Und der gehe zurück zur Natur. Sein persönliches Anliegen sei es, Friedhöfe zu lebendigen Orten zu machen, denn hier werde kommuniziert, hier treffe man sich. Friedhöfe seien für Kulturangebote wie geschaffen. „Es ist in Deutschland fremd, auf Friedhöfen Kultur zu machen“, sagt er. Und appelliert: „Lasst die Friedhöfe nicht als tote Orte herumliegen.“ Auf dem Südwestkirchhof bieten er und sein Team regelmäßig Lesungen, Konzerte, Veranstaltungen bis hin zur Tanz-Performance an. Das nächste Konzert findet Ende November am Ewigkeitssonntag statt, im Dezember steht „Adventsmusik bei Kerzenschein“ auf dem Programm. Wie das Friedhofskonzept bei den Nutzern ankommt, wird seit dem Frühjahr per Umfrage abgefragt. Viele Besucher schrieben, dass der Südwestkirchhof „ungepflegt und verwildert“ sei, berichtet der Friedhofsleiter, „und dann schreiben sie weiter: ‚Unbedingt so lassen‘“.

Der Gegensatz: Ordentlich, genormt, übersichtlich

Szenenwechsel, etwa zehn Kilometer nordöstlich, Friedhof Zehlendorf, Memoriam-Garten: Hier ist alles anders, ordentlich aufgeräumt, sehr geplant. Ein Kiesweg schlängelt sich an den Reihen der Grabsteine, die nicht in Reih und Glied stehen, sondern ästhetisch angenehm verrückt sind, entlang. Die Gedenksteine sind genormt, schmal und hoch, grau oder rot, oben abgerundet. Liegen zwei Menschen im Grab, bilden die beiden Grabsteine zusammen eine halbrunde Einheit. Schilf wächst, Rosen blühen zwischen Heide. Es ist nicht klar, wo ein Grab aufhört und das nächste beginnt, es ist ein gemeinsamer Grab-Garten.

Der Memoriamgarten auf dem Friedhof Zehlendorf: stark nachgefragt und sehr gepflegt.
Der Memoriamgarten auf dem Friedhof Zehlendorf: stark nachgefragt und sehr gepflegt.

© Boris Buchholz

Auf dem Grabstein von Dorothea K. schaut eine Katze in die Welt, vielleicht lauert sie auf den Vogel, der auf Peter M.s Grab gesetzt wurde. Auf seinem Stein ist auch sein anscheinend liebstes Hobby verewigt: ein Fußball. Zwei Herzen gehören zu Gabriele S., eine Sonne zu Peter P.. Die Jahreszahlen 2011, 2013, 2015, dann 2012 und 2017 stehen auf den Gräbern. Erst seit sieben Jahren kann man sich in Berlin in einem Memoriam-Garten beisetzen lassen. Der erste entstand auf dem Friedhof Steglitz an der Bergstraße, der zweite 2011 in Zehlendorf. Dieses Jahr wurden beide Gärten erweitert. Stadträtin Maren Schellenberg (Grüne), die in Steglitz-Zehlendorf für die Grünflächen und Friedhöfe verantwortlich ist, sagt, dass die Gärten den Trauernden „eine gewisse Individualität durch die Auswahl des Grabsteins“ ermöglichen, „ohne sich selbst um die zeitintensive Pflege kümmern zu müssen“. Eine Gärtnerei pflegt die „sehr ansprechende Anlage“ (Schellenberg).

Drei Birken rahmen den Memoriam-Garten in Zehlendorf ein. Die Trauernden darunter (und vielleicht auch die Verstorbenen) werden heute von Applaus und einem unüberhörbaren „Dada dadadadam damdadam“ unterhalten - der Zirkus Mondeo hat an der Ecke Sven-Hedin- und Onkel-Tom-Straße seine Zelte aufgeschlagen. Wenn die Artisten Salti schlagen und Publikum sowie Zirkusorchester den Atem anhalten, schallt Friedhofsruhe durch den Oktobernachmittag.

Ein Friedhof verschmilzt mit der Natur

Bunt und herbstlich entspannt präsentiert sich der Waldfriedhof Zehlendorf (etwa vier Kilometer nach Westen); er ist der „echte“ Waldfriedhof im Bezirk. Auf dem anderen, dem Waldfriedhof Dahlem, dominieren heute neu gepflanzte Fichten, er hätte wohl eigentlich „Friedhof am Wald“ heißen sollen. Auf dem richtigen Wald-Friedhof zwischen Wasgensteig und Potsdamer Chaussee wachsen unter anderem Eichen, Lärchen, Birken, Ebereschen, Fichten und Linden. Der Friedhof - er beherbergt 40.000 Verstorbene, er ist der jüngste und mit 376.000 Quadratmetern auch der größte Friedhof in Steglitz-Zehlendorf - verschmilzt mit dem Wald. Zum Beispiel die Kapelle, die sich hinter der großen Wiese in den Wald duckt: Auf der Ost-Seite, durch die die Trauergemeinde in die beiden Feierhallen eintritt, dominiert massives Mauerwerk. Doch die West-Seite der Hallen ist komplett verglast. Während der Trauerfeier schaut man in den Wald, in die Natur, hell und licht. Friedlich und feierlich.

Unter den Feierhallen auf dem Waldfriedhof Zehlendorf kann man das Gruseln bekommen: Wasserschäden und Holzbalken, die die Decke stützen.
Unter den Feierhallen auf dem Waldfriedhof Zehlendorf kann man das Gruseln bekommen: Wasserschäden und Holzbalken, die die Decke stützen.

© Boris Buchholz

Weniger feierlich geht es unter den Feierhallen zu. Am besten erhalten sind im Untergeschoss die beiden Kühlräume - exakt 8,6 Grad Celsius herrschen hier, es ist trocken, funktional, nichts blättert von den Wänden, nichts droht von der Decke zu fallen. Das ist im restlichen Keller ganz anders. Der Putz bröselt über viele Meter von den Wänden. Bei Starkregen, erzählt Oliver Melzer, der auf dem Friedhof für die Bestattungen zuständig ist, laufe das Wasser an Wänden herunter, auch über den Sicherungskasten. Ein Träger aus Stahlbeton, auf dem das Gewicht des oberen Geschosses lastet, zerfällt. Seit bald zwei Jahren stützen zwei Holzbalken den Träger provisorisch ab.

Eine tragische Geschichte: Ehe, Affäre, Duell, Scheidung

Zurück zu uns und der Baronin auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf (wieder zehn Kilometer zurück nach Süden): Wir haben sie gefunden, mitten in der lebendigen Wildnis. Elisabeth Baronin von Ardenne, geborene von Plotho, ist weltbekannt. Ihr Leben diente Theodor Fontane senior als Vorlage für seinen Roman „Effi Briest“ (Fontanes zweiter Sohn heißt auch Theodor Fontane und liegt im Kapellenblock, zufällig kamen wir auf unseren Irrwegen noch bei ihm vorbei). Das Leben der Baronin ist aber auch eine tragische Geschichte: Während ihr Mann Armand Léon von Ardenne im Manöver war, beschloss Elisabeth, sich scheiden zu lassen und ihren Geliebten, den Amtsrichter Emil Hartwich, zu heiraten. Doch ihr Noch-Ehemann fand die heißen Briefe des Liebespaares, reichte die Scheidung ein und forderte seinen Nebenbuhler zum Duell (die damalige Presse berichtete emsig). Der Offizier verletzte den Amtsricher schwer, letzterer starb, ersterer musste für 18 Tage in Festungshaft. Und bei der Scheidung der Ardennes wurden die Kinder dem Vater zugesprochen. Schwere Kost für Elisabeth! Sie starb im Alter von 98 Jahren und liegt in einem Berliner Ehrengrab. Mitten im wilden Grünen.

Die besprochenen Friedhöfe im Überblick:

• Südwestkirchhof Stahnsdorf, Bahnhofstraße 2, 14532 Stahnsdorf • Friedhof Zehlendorf, Memoriam-Garten, Onkel-Tom-Straße 30, 14169 Berlin • Waldfriedhof Zehlendorf, Wasgensteig 30, 14129 Berlin

Im Text wurden außerdem erwähnt:

• Waldfriedhof Dahlem, Hüttenweg 47, 14195 Berlin • Friedhof Steglitz, Memoriam-Garten, Bergstraße 38, 12169 Berlin

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