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Kriegsflüchtlinge aus Syrien sollen in den Heimen an der Zehlendorfer Goerzallee untergebracht werden. Das Bild zeigt ein syrisches Mädchen in einem Flüchtlingslager an der Grenze zum Irak.

© dpa

Steglitz-Zehlendorf kann vor Verantwortung nicht mehr flüchten: Zwei Heime für 400 Kriegsflüchtlinge in der Goerzallee

900 Flüchtlinge muss Steglitz-Zehlendorf unterbringen, bisher sind es 300. Lange wehrte sich der Bezirk mit juristischen Argumenten. Nun steht fest: An der Goerzallee werden zwei Heime für insgesamt 400 Menschen entstehen. Die ersten können, sagt der Stadtrat, vielleicht noch 2013 einziehen.

Die Autos fahren an dieser Stelle ziemlich schnell, der Bürgersteig ist schmal wie selten in Berlin, und die Gebäude mit der Hausnummer 307 und 311 stehen an einem zugigen, unwirtlichen Ort in der Goerzallee, die Zehlendorf und Steglitz im Südwesten miteinander verbindet.

"Der Bezirk hat versucht, das Problem auszusitzen"

Hier sollen nun - gleich gegenüber von Ford, dem Zeiss-Ikon-Werk und einigen Firmen aus der Pharma-, Chemie- und Biotec-Branche – demnächst zwei Flüchtlingsunterkünfte entstehen, die insgesamt rund 400 Flüchtlinge aufnehmen sollen.

Die Geschichte des Bezirks Steglitz-Zehlendorf und die Unterbringung von Flüchtlingen ist bisher nicht gerade eine Erfolgsgeschichte. Aus Institutionen, die mit Sozialarbeit im Bezirk zu tun haben als auch aus der Berliner Senatsverwaltung ist zu hören, der Bezirk, vor allem die CDU, habe sich „lange gesperrt gegen die Aufnahme von Flüchtlingen“ und „versucht, das Problem auszusitzen“.

Spätestens mit dem Beschluss des Rates der Bürgermeister aus dem Jahr 2012 und den klaren Aussagen von Gesundheitsenator Mario Czaja (CDU) ebenfalls noch von Ende 2012, der sogar damit drohte, Gebäude zu beschlagnahmen, musste der Bezirk endlich handeln.

Rein rechtlich argumentierte Steglitz-Zehlendorf korrekt

Die beiden Immobilien, um die es nun geht, sind nicht zum ersten Mal als mögliche Unterkunft für hilfsbedürftige Menschen aus Kriegsgebieten aufgetaucht, nur argumentierte Steglitz-Zehlendorf bisher immer, dass es sich hier um ein Gewerbegebiet handele und man deshalb dort keine Flüchtlinge unterbringen dürfe.

Rein rechtlich war an dieser Argumentation nichts auszusetzen, nun allerdings hat der Bezirk eine Befreiung aus diesem Raster für fünf Jahre genehmigt. „Plötzlich geht’s“, wundert sich ein CDU-Mann auf Senatsebene. Die Gebäude wurden bereits städtebaulich geprüft und – für die Anzahl von jeweils 200 Flüchtlingen – für geeignet erklärt.

Goerzallee 311 und 307. Im Vordergrund das alte Klinkergebäude mit Vorderanbau, das für den potenziellen Betreiber Unionhilfswerk in Frage kommt, rechts dahinter im faden Gelbton das flachere Gebäude, in dem die Gierso Boardinghaus Berlin GmbH 200 Flüchtlinge unterbringen möchte, wenn sie als Betreiber den Zuschlag bekommt.
Goerzallee 311 und 307. Im Vordergrund das alte Klinkergebäude mit Vorderanbau, das für den potenziellen Betreiber Unionhilfswerk in Frage kommt, rechts dahinter im faden Gelbton das flachere Gebäude, in dem die Gierso Boardinghaus Berlin GmbH 200 Flüchtlinge unterbringen möchte, wenn sie als Betreiber den Zuschlag bekommt.

© Kai-Uwe Heinrich

Allerdings gibt es trotzdem noch einige Probleme zu überwinden und Fragen zu beantworten. In dem historischen Klinkerbau aus nationalsozialistischer Zeit, auf dem im Zweiten Weltkrieg auch zwei Flak-Abwehrgeschütze gestanden haben sollen und in dem noch ein eingemauerter Paternoster Baujahr 1940 existiert, gibt es ein Dutzend Mieter, die bisher offiziell noch nicht informiert worden sind, was eigentlich aus ihnen wird.

Der Bezirk sagt, er habe keine Kentnisse über die Mieter und auch nicht über die Geschichte des Gebäudes, vor dem auf der Rückseite noch ein alter verwitterter Bahnhof und Gleise zu sehen sind, die vom Autohersteller Ford noch immer genutzt werden.

Nach Tagesspiegel-Informationen will der Eigentümer, der sich offiziell nicht äußert, „Ersatzflächen“ für die Mieter zur Verfügung stellen. Für das Haus 307, einem Siebzigerjahrebau in einem mittlerweile schmutzig gewordenen Gelbton gehalten, reichten wiederum die Flucht- und Brandschutzbedingungen zunächst nicht aus, weil der potenzielle Betreiber bis zu 500 Flüchtlinge unterbringen wollte. Nach erneuter Prüfung werden es jetzt wohl knapp 200 werden.

Viel Lob für Integrationsbeauftragte

Steglitz-Zehlendorf betreut zwar berlinweit die einzige Erstaufnahme und Clearingstelle für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge in der Wupperstraße, die gleich um die Ecke der Objekte in der Goerzallee liegt. Dennoch muss man  nach dem von Bezirken und Senat ausgearbeiteten Gesamtkonzept insgesamt 900 Flüchtlinge aufnehmen. Bisher sind im Bezirk in der Klingsorstraße und in der Wupperstraße nur rund 300 Menschen untergebracht.

Die beiden potenziellen Betreiber sind alte Bekannte im Bezirk: das Unionhilfswerk und die Gierso Boardinghaus Berlin GmbH, die bereits das Flüchtlingsheim in der Klingsorstraße betreibt. Laut Unionhilfswerk sei die für Flüchtlinge zuständige Behörde des Landes auf den Wohlfahrtsverband zugekommen, dagegen hat die Gierso sich das Gebäude Nummer 307 selbst gesucht und bei der Senatsbehörde nachgefragt.

Im Gebäude 311 ist auch die "Fairkauf" angesiedelt, ein Unternehmen der "Union Sozialer Einrichtungen" (USE), die wiederum zum Unionhilfswerk gehört, und dort unter anderem Möbel verkauft.

Aus dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) ist zu hören, dass „uns generell die guten und seriösen Betreiber ausgehen“, man sei darauf angewiesen, dass soziale Träger wie etwa das Unionhilfswerk sich auch bei der Betreuung von Flüchtlingsunterkünften engagierten.

In der Gesundheitsverwaltung lobt man das aktuelle Engagement und die Kooperationsbereitschaft des Bezirks, offiziell, hinter vorgehaltener Hand ist jedoch zu hören, dass man massiv auftreten musste, ehe sich CDU-Bürgermeister Norbert Kopp und sein für Soziales zuständiger Stadtrat Norbert Schmidt (CDU) bewegt hätten.

Marina Roncoroni ist seit zwei Jahren Integrationsbeauftragte von Steglitz-Zehlendorf.
Marina Roncoroni ist seit zwei Jahren Integrationsbeauftragte von Steglitz-Zehlendorf.

© SZ

Voll des Lobes sind alle Beteiligten, selbst die SPD im von einer schwarz-grünen Zählgemeinschaft regierten Bezirk, für die Integrationsbeauftragte Marina Roncoroni, die früher lange für die legendäre Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) gearbeitet hat. Roncoroni hat bereits die sozialen Träger des Bezirks zusammengetrommelt und diskutiert über die Fragen, wie man die Bevölkerung informieren und die Flüchtlinge bestmöglich aufnehmen und willkommen heißen kann. Hier sind etwa der "Mittelhof" oder auch "Zephir" bereits sehr aktiv, die beide in der Sozialarbeit des Bezirkes wichtige Player sind.

Weniger erfreut waren die sozial Engagierten des Bezirks über die Tatsache, dass offensichtlich aus dem Bezirksamt an die Presse gestreut worden war, es habe Beschwerdebriefe von Anwohnern gegeben. Roncoroni sagt diplomatisch: „Es gibt positive Reaktionen von vielen, die sich hier im Bezirk ehrenamtlich engagieren.“

Sorge vor der intellektuellen Rechten

Allerdings ist der Integrationsbeauftragten auch nicht entgangen, dass beispielsweise die Partei AFD vor der Bundestagswahl direkt in der Goerzallee ein eindeutiges Plakat kleben ließ. „Es gibt hier eigentlich keine dumpfen rechten Aggressoren, aber es gibt bestimmt so etwas wie eine intellektuelle Rechte“, sagt sie. Auch Pro Deutschland hat immer wieder versucht, in Zehlendorf Fuß zu fassen.

Marina Roncoroni will nun versuchen, den Anwohnern möglichst schon im Vorfeld Ängste zu nehmen, dabei kann sie sogar auf die Hilfe der Polizei bauen. Die habe nämlich beobachtet, dass beispielsweise im Umfeld des Flüchtlingsheimes an der Klingsorstraße kriminelle Delikte eher zurückgegangen seien. Auch vom Betreiber Gierso kommen positive Signale: „Dort ist absolut Ruhe, obwohl das Heim in der Klingsorstraße in einem Wohngebiet liegt.“

Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) hat in einem Schreiben vom Januar 2013 die Bezirke unmissverständlich aufgefordert, sich an der Suche von geeigneten Immobilien zu beteiligen.
Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) hat in einem Schreiben vom Januar 2013 die Bezirke unmissverständlich aufgefordert, sich an der Suche von geeigneten Immobilien zu beteiligen.

© Mike Wolff

Hinter dem Industrie- und Gewerbegebiet an der Goerzallee, wo die beiden Häuser stehen, beginnen Einfamilienhäuser-Reihen, verteilt in kleinen Straßen, die bis an das Schweizer-Viertel heranreichen, einem der großen Neubaugebiete des Bezirks. Einer der Betreiber sagt: „Es gibt sicherlich bessere Standorte für eine Flüchtlingsunterkunft, aber auch viel schlechtere.“

Beide möglichen Betreiber, Unionhilfswerk und Gierso Boardinghaus, haben bisher noch keine Erfahrungen gesammelt, wie es ist, wenn zwei große Heime direkt nebeneinander stehen und von verschiedenen Betreibern betreut werden. Einer sagt: „Vielleicht können wir die Sozialarbeit ja zentral gestalten.“ Die Flüchtlinge werden wohl aus Syrien, Irak, Iran und Tschetschenien kommen.

Noch ist viel zu tun, sowohl organisatorisch als auch baulich, denn im Gebäude 311 gibt es nicht einmal warmes Wasser, oben am Dach sind einige feuchte und undichte Stellen zu beseitigen, und im ehemaligen Bunker spielt eine Heavy-Metall-Band und es trifft sich dort ein Biker-Klub. Das Haus hat auch einen Anbau, in dem befindet sich eine ganz besondere Welt – ein riesiger Trödelmarkt mit schier unzähligen Verkaufsobjekten.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.

© Kai-Uwe Heinrich

Das Lageso geht davon aus, dass frühestens im Laufe des kommenden Jahres Flüchtlinge in der Goerzallee untergebracht werden können, um so überraschter waren die Teilnehmer des bezirklichen Integrationsausschusses am letzten Mittwoch. Nach der Erinnerung eines Teilnehmers verkündete Stadtrat Schmidt, er gehe davon aus, es könnten bereits in diesem Jahr schon Menschen dort einziehen. Offenbar kann es dem Bezirk nun gar nicht schnell genug gehen.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel, der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin dieser Zeitung.

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