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Berlin Reinickendorf OT Tegel Berliner Straße / Am Borsigturm / U-Bahnhof Borsigwerke Berlin *** Berlin Reinickendorf OT Tegel Berliner Straße Am Borsigturm U Station Borsigwerke Berlin

© imago/Jürgen Ritter

Zwischen Verfolgung und Widerstand: Von Frauen, die im Berliner Norden gegen den Nationalsozialismus kämpften

Eine Historikerin aus Reinickendorf hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Frauen im Kampf gegen das Naziregime ein Gesicht zu geben.

Die Geschichten von Frauen im Widerstand zu erzählen – das hat sich Trille Schünke zur Aufgabe gemacht. Sie gibt Stadtführungen, betreibt mit einer Partnerin, die Journalistin ist, eine digitale Plattform und will zeigen: Frauen spielten eine wichtige Rolle in der Widerstandsbewegung. Und die war auch in Reinickendorf stark.

Trille Schünke hat Politikwissenschaften und Zeitgeschichte studiert und hatte immer einen Fokus auf Frauen- und Berlin-Geschichte. „Ich komme selber aus einer Familie, die zumindest zum Teil im Widerstand war und wo viele auch in der VVN aktiv waren, also in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.“ In der Vereinigung seien auch viele Nachkommen von Widerstandskämpfer:innen vertreten.

Trille Schünke
Trille Schünke

© privat

Das erste digitale Projekt gründete sie 2021

Dadurch habe sie viele Geschichten schon gekannt, seit sie klein war, erzählt Schünke. „Zum Beispiel war eine sehr gute Freundin von mir die Enkelin eines Kölner Widerstandskämpfers, der nur deshalb keine Todesstrafe bekam, weil sein bester Freund sie auf sich nahm.“ Ihre Mutter habe damals – Schünke war zehn, elf Jahre alt – zu ihr gesagt, „wenn er damals anders entschieden hätte, würde es deine Freundin heute nicht geben. Das sind Dinge, die einen doch sehr prägen.“

Später kam Schünke der Gedanke, „ich kenne ja schon so viele Geschichten zu Biographien, die tauchen alle nicht in Geschichtsbüchern auf. Das ist eigentlich sehr schade, und daran würde ich gerne was ändern.“ So sei dann 2020 ihr größeres wissenschaftliche Interesse entstanden, wodurch sie in Kontakt mit anderen kam, die zum gleichen Thema arbeiteten. „Mit einer Journalistin habe ich dann 2021 das Projekt ‚Antifaschistinnen aus Anstand‘ gestartet, ein digitales Projekt zur Erinnerung an Frauen im Widerstand, wo wir gerade einen Fokus haben auf die ganzen unbekannten Frauen.“

Stadtführungen zum Thema für jeden Berliner Bezirk

Dieses Jahr haben Trille Schünke und ihre Partnerin außerdem das Projekt „Widerstandsgeschichte lokal“ begonnen: „Darin entwickeln wir zwölf Stadtführungen, in jedem Bezirk eine, zu dem Thema ‚Frauen in der NS-Zeit zwischen Verfolgung und Widerstand‘, um digitale und analoge Erinnerungen zu verbinden. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, sich das Thema auf verschiedenen Wegen zu erschließen.“ Das Projekt wurde auch von der Senatsverwaltung für Kultur gefördert.

In einem traditionell roten Arbeiterbezirk wie Wedding war die Widerstandsbewegung natürlich stärker, und da hat Reinickendorf auch noch viel von.

Trille Schünke, Historikerin

Auf Gesamtdeutschland betrachtet spricht die historische Wissenschaft davon, dass sich höchstens 2 Prozent im Widerstand befanden. In Berlin macht der Politikwissenschaftler und Historiker Hans-Rainer Sandvoß je nach Bezirk ein antinazistisches Milieu von 10 bis 20 Prozent aus. Wie Schünke erklärt, gibt es lokale Unterschiede: „In einem traditionell roten Arbeiterbezirk wie Wedding war die Widerstandsbewegung natürlich stärker, und da hat Reinickendorf auch noch viel von.“ Grundsätzlich habe es aber in ganz Reinickendorf Widerstand gegeben.

„Es gab ja die Industriezentren wie Rheinmetall-Borsig, die Borsigwerke. Dort ist viel Widerstand belegt, allein durch die Mannhart-Gruppe„, berichtet Schünke. Auch in Wohnquartieren wie der Weißen Stadt gab es Widerstand sowie in Gartenkolonien wie der Kolonie am Felseneck. „Dort kam es schon 1932, vor der Zeit des Nationalsozialismus, zu Zusammenstößen zwischen KPD, SPD und auf der anderen Seite der Sturmabteilung SA, weil diese die Gartenkolonie besetzen wollte. Dagegen gab es großen Protest. Beim Überfall auf die Laubenkolonie wurde der kommunistische Arbeiter Fritz Klemke auf seinem Grundstück erschossen. Nach ihm wurden später die Klemkestraße und der Klemkepark benannt.

Der Widerstand hatte viele Wurzeln

Insgesamt wurde in Reinickendorf Widerstand aus unterschiedlichen Bestrebungen heraus geleistet: „Es gab kommunistische Gruppen, die Widerstand leisteten, sozialdemokratische Widerstandsgruppen mit Christinnen und Christen, aber auch Jüdinnen und Juden leisteten Widerstand“, erklärt Schünke. Interessant sei die bereits oben erwähnte Gruppe Mannhart, die sich Anfang der 40er eigens gründete. Das sei besonders, da viele andere Widerständler:innen bereits vor der Zeit des NS-Regimes gewirkt und dann weitergemacht hätten.

Und was ist der Hintergrund des Namens „Mannhart“? „Hart wie ein Mann“ wollten die Gruppenmitglieder gegen die Nazis kämpfen – auch die weiblichen. Denn obgleich der sozialdemokratische Arzt und Gewerkschafter Max Klesse laut eigener Aussage die Gruppe Mannhart gegründet hat, wurde er von seiner Ehefrau, der Ärztin Maria Klesse, viel unterstützt.“

Die Rüstungsproduktion sollte verlangsamt werden

Die beiden kamen aus Heiligensee und fanden den Krieg so schlimm, dass sie einerseits erreichen wollten, dass in den Betrieben die Rüstungsproduktion verlangsamt wird, um die deutschen Truppen zu schwächen“, erörtert Historikerin Schünke. Andererseits wollten sie die Spaltung der Arbeiterparteien überwinden sowie in den Wohngebieten Aufklärung betreiben. So verteilten sie Flugzettel, um über die Verbrechen der Nationalsozialisten aufzuklären. Die Widerständler:innen versuchten außerdem, Jüdinnen und Juden zu verstecken. Teil der Gruppe war auch das Ehepaar Hans und Hilde Schneider, deren Tochter Gesine Schwan heute SPD-Politikerin ist.

„Frauen haben auch eigenständig im Widerstand gewirkt“, erklärt Schünke. Das war auch deshalb vonnöten, da sie sich unauffälliger treffen konnten als die Männer. Es gab sogenannte „Kaffeezirkel“, bei denen die Frauen zusammenkamen und Informationen austauschten. Männer konnten sich seltener ungestört austauschen – in Reinickendorf war dies aber während der Arbeit bei Borsig möglich. Dort hatten die Männer auch Kontakt zu ausländischen Zwangsarbeitern.

13
Stolpersteine wurden an der Berliner Straße 26 bei den ehemaligen Borsigwerken verlegt

Ein Teil der Widerstandsgruppe Mannhart flog schließlich bei Borsig auf. Am 25.9.1944 wurden Albert Brust, Otto Dressler, Otto Haase und Friedrich Lüben im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet. Stellvertretend für die Mitglieder der Gruppe wurden 2015 insgesamt 13 Stolpersteine an der Berliner Straße 26 bei den ehemaligen Borsigwerken verlegt. Auch eine Gedenktafel erinnert an sie.

Frauen waren seltener von Todesurteilen betroffen

Frauen waren insgesamt seltener von Todesurteilen betroffen, weiß Schünke. Sie galten eher als unpolitisch. Ein besonderes Risiko, worüber nach 1945 wenig gesprochen wurde, war jedoch, dass es bei Verhaftungen regelmäßig zu Anwendung sexueller Gewalt gegen die Frauen gekommen sei. „In der Anfangszeit geschah dies auch gegen Männer, das ist belegt“, erklärt Schünke. „Wenige haben später darüber berichtet, was ja auch nachvollziehbar ist, weil es ein sehr sensibles Thema ist. Aber es scheint eher die Regel gewesen zu sein als die Ausnahme.“

Schünke plant bereits die nächste Führung in Reinickendorf. „Es gibt zwei, die wir anbieten: rund um Borsig sowie die Weiße Stadt.“ Es geh ihr dabei nicht darum, Heldinnengeschichten zu erzählen, sagt Historikerin Schünke. Doch es sei wichtig, dass neben den Männerbiografien oder Frauen wie Sophie Scholl auch weitere weibliche, positive Rollenbilder geschaffen werden. „Aktuell überlegen, wir, wie wir das Projekt an die Schulen bringen können, um jüngere Menschen anzusprechen.“

Maria Klesse, erzählt Schünke noch, hat in den letzten Kriegsmonaten immer wieder Verwundete medizinisch versorgt. Nach dem Krieg beteiligte sie sich dann am Aufbau der gesundheitlichen Versorgung in Schulzendorf und Heiligensee.

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