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Berlin: Bio-Boom überfordert Öko-Bauern

Allein im vergangenen Jahr stieg die Nachfrage in Berlin um 18 Prozent. Aber in Brandenburg fehlen Verarbeitungsbetriebe

Meinrad Schmitt hat ein Problem. Es ist klein, grün und krumm, aber nicht so, wie er das gerne hätte. An einem sonnig-kühlen Tag steht der Geschäftsführer des Großhandels „Terra Naturkosthandel“ zwischen den meterhohen Regalen seines Lebensmittellagers an der Gradestraße in Britz. Diese sind bis unters Dach mit Bioprodukten gefüllt: Milch, Käse, Bier, Gemüse, alles transportfertig verpackt, vieles davon aus regionaler Herkunft. Nur Spreewälder Gurken, die Schmitt so gerne mit dem Prädikat „Bio“ verkaufen würde, und nach denen ihn seine Kunden immer wieder fragen, hat er noch nicht in seinem Sortiment.

Warum? Weil es die Spreewälder Gurke Marke „Bio“ bislang nicht gibt. Um dieses Siegel zu erhalten, müssten die Produzenten Auflagen beim Anbau und bei der Verarbeitung erfüllen. Zum Beispiel auf künstliche Dünger, chemische Spritzmittel oder künstliche Zusatzstoffe verzichten. Das kostet jedoch mehr Arbeit, vor allem aber mehr Geld.

Der Biomarkt boomt, allein im vergangenen Jahr gab es einen Umsatzzuwachs von 18 Prozent. Doch Brandenburgs Biolandwirte können die Nachfrage nach ökologisch angebauten und verarbeiteten Produkten kaum noch bewältigen. Obwohl fast zehn Prozent der Agrarfläche des Landes von Ökobauern bewirtschaftet werden, fehlt es vor allem an Verarbeitungsbetrieben. Hauptabnehmer der Erzeugnisse sind vor allem Berliner Biohändler und Reformhäuser; allein mit 30 Standorten gibt es in der Hauptstadt die größte Dichte deutschlandweit.

Auf Einladung der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin- Brandenburg hat Brandenburgs Agrarminister Dietmar Woidke (SPD) nun eine Bio-Tour unternommen. Am Donnerstag besuchte er Unternehmen wie das Bio-Backhaus „Hans Leib“ in Falkensee, den Supermarkt „BioLüske“ in Lichterfelde oder eben den Großhandel „Terra“, der mit seinen 100 Mitarbeitern rund 600 Naturkostgeschäfte und Reformhäuser in der Region beliefert. Großhändler Meinrad Schmitt nutzte die Gelegenheit, Woidke eine Frage zu stellen, die ihn schon lange beschäftigt: „Warum schafft Brandenburg nicht, was andere Regionen schon schaffen?“

Damit sprach Schmitt die aus seiner Sicht mangelnde Unterstützung für Ökobauern und Biohändler durch das Land an. So könne er zwar mit den zwei Molkereien Münchehofe und Brodowin seine Kunden mit regionaler Bio-Milch beliefern, den Bio-Joghurt müsse er jedoch aus dem Münsterland oder aus Bayern beziehen, weil in Brandenburgs Meiereien die dafür nötigen Produktionsvorrichtungen fehlen würden. Er forderte daher, Woidke solle „über die öffentliche Hand kräftiger nachhelfen, dass wir hier auf einen Stand kommen, den es anderswo schon gibt.“

Allerdings sollen ab 2007 die EU-Fördermittel für die Entwicklung des Ländlichen Raumes gesenkt werden. Waren es bislang 150 Euro pro Hektar, mit denen ein Biobetrieb gefördert wurde, sollen es künftig nur noch 120 Euro sein. Schlimmer noch: Die Unterstützung von Betrieben, die von konventioneller auf ökologische Produktion umstellen wollen und bislang dafür 200 Euro je Hektar erhielten, entfällt den neuen Plänen zufolge ganz.

Dietmar Woidke versuchte auf der Bio-Tour, diese Pläne vor Öko-Bauern und Bio-Händlern zu rechtfertigen: „Wir wollen den ökologisch bewirtschafteten Flächenanteil vergrößern, aber das Gesamtfördergefüge muss finanzierbar bleiben, sowohl mit EU- als auch mit Landesmitteln.“ Ziel sei es, bereits bestehende Betriebe zu stabilisieren und die Produktverarbeitung zu fördern. „Wir brauchen vernünftige Strukturen, um die Produktion zu gewährleisten und vernünftige Erzeugerpreise zu schaffen. Dies ist nicht allein durch EU-Gelder zu schaffen.“

Ohne sie vermutlich auch nicht. Landwirt Sascha Philipp weiß das aus eigener Erfahrung. Auf seinem Gut in Pretschen im Spreewald baut er vor allem Chicoree an. 43 Tonnen sind es, die er jährlich produziert. Das ist viel für den kleinen Betrieb mit 24 Mitarbeitern. Und doch reicht es nicht. „Ich konnte in den letzten zwei Jahren nie so viel liefern wie nachgefragt worden ist – etwa 100 Tonnen.“ Seit der Einführung von Hartz IV kommen von den ehemals 40 Helfern gerade mal 15. Für die anderen lohnt sich die anstrengende Arbeit auf dem Feld nicht mehr.

Dabei sind es gerade Landwirte wie Sascha Philipp, die man fördern müsste, sagt Martina Schäfer von der TU Berlin. Zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung leitete sie das Forschungsprojekt „Regionaler Wohlstand – neu betrachtet“. Gegenstand ihrer fünf Jahre dauernden Untersuchung war die Frage „Was bewirkt Bio in der Region?“. Schäfers Fazit: Vor allem die Akteure des ökologischen Landbaus, meist sehr gebildete Menschen, engagieren sich stark in der Region. Sie schaffen untereinander neue Netzwerke und Strukturen, prägen darüber hinaus ihren Lebensraum auch sozio-kulturell. „Es geht nicht nur um Landwirtschaft, da hängt meist mehr dran, zum Beispiel Hotel- und Gaststättenbetriebe“, so Schäfer. Zudem schaffen ökologische Betriebe etwa 34 Prozent mehr Arbeitsplätze.

Großhändler Meinrad Schmitt appellierte deshalb an Agrarminister Woidke. Der ökologische Landbau sei eine Chance, die man nutzen müsse: „Es geht hier um einige tausend Arbeitsplätze in der Region.“

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