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Ungeschützter Verkehr. An der Grunerstraße kommt es mangels Ampel oft zu haarsträubenden Situationen, wenn Fußgänger die Fahrbahn queren

© Kai-Uwe Heinrich

Brennpunkte untersucht: Warum es im Berliner Straßenverkehr kracht

Unfallforscher haben am Beispiel von Brennpunkten in Berlin die typischen Gefahren des Straßenverkehrs untersucht. Sie geben Empfehlungen für alle – einschließlich der Verkehrsplaner.

Zuerst die gute Nachricht: Wenn nicht noch auf den letzten Metern eine Katastrophe passiert, dann ist die Zahl der Verkehrstoten in Berlin 2013 so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht. Knapp vierzig Menschen wurden seit Jahresbeginn im Berliner Straßenverkehr getötet. Ob endlich auch die Zahl der Verletzten zu sinken beginnt, wird sich allerdings erst in ein paar Wochen zeigen, wenn die Polizei die Unfallstatistik für das abgelaufene Jahr präsentiert. 2012 waren es knapp 17 000 Verletzte in Berlin.

DIE UNFALLBILANZ

Kinder, die zu Fuß unterwegs sind, verunglücken auf Berlins Straßen deutlich häufiger als Fußgänger aller anderen Altersgruppen. Das ergibt eine Studie der Unfallforschung der Versicherer, die sich am Beispiel Berlins mit den Ursachen innerörtlicher Unfälle befasst, an denen Radfahrer oder Fußgänger beteiligt sind. Demnach verunglücken Elf- bis 14-Jährige im Verhältnis zu ihrer Verkehrsleistung mehr als viermal so häufig wie der Durchschnitt. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen ist das Risiko ebenfalls stark erhöht. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sinkt das Risiko nur allmählich. Erst ab einem Alter von 25 Jahren leben die Fußgänger relativ sicher – bevor ihr Risiko jenseits des 75. Lebensjahres wieder ansteigt. Auch kleine Kinder verunglücken relativ selten. Auffällig ist laut der Studie, dass sich die Unfälle mit jungen Fußgängern großflächig übers Hauptstraßennetz verteilen, während sich andere Unfallarten meist auf Kreuzungen konzentrieren.

Wenn es innerorts kracht, sind ansonsten besonders oft Fußgänger und Radfahrer die Opfer: Bundesweit wurden laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr fast 80 000 in Ortschaften oder Städten verletzt; 636 von ihnen tödlich. Angesichts dieser Zahlen hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) das Phänomen genauer untersucht. Aus dem Beispiel von 20 einschlägigen Berliner Unfallschwerpunkten – genauer: denen, an denen diese Unfallarten 2008 bis 2010 die stadtweit größten Schäden ergaben – wollten die Wissenschaftler grundsätzliche Erkenntnisse darüber gewinnen, wo und warum es in der Stadt typischerweise mit Beteiligung von Fußgängern und Radfahrern kracht. Unter den 20 kritischen Orten sind elf Kreuzungen mit und sieben ohne Ampeln sowie zwei Streckenabschnitte abseits von Kreuzungen.

Bei insgesamt 328 Unfällen im Betrachtungszeitraum 2006 bis 2010 wurden 219 Radfahrer und 111 Fußgänger verletzt. Ein Radler und zwei Fußgänger starben. 198 Mal kollidierten Kraftfahrzeuge mit Radfahrern, wobei die Auto-, Lkw- oder Motorradfahrer in mehr als drei Vierteln der Fälle die Hauptschuld trugen. Bei den 102 untersuchten Unfällen mit Fußgängern war das Ergebnis mit einer Schuldverteilung von 55 zu 45 Prozent ausgeglichener. Die 16 Zusammenstöße zwischen Radlern und Fußgängern gingen je zur Hälfte aufs Konto der einen oder der anderen Seite.

Abbiegende Autofahrer als unfallträchtigste Fehlerquelle

Radler auf Gehwegen sind unfallträchtig.
Radler auf Gehwegen sind unfallträchtig.

© Kai-Uwe Heinrich

DIE URSACHEN

Als unfallträchtigster Fehler überhaupt erwies sich einmal mehr das Abbiegen von Autofahrern, ohne auf geradeaus fahrende Radler zu achten, gefolgt von der Nichtbeachtung von Vorfahrtszeichen. Aber auch auf Fußgänger nahmen Autofahrer oft zu wenig Rücksicht. Und an Kreuzungen ohne Ampeln übersahen Autofahrer oft Radfahrer beim Einbiegen.

Das Fehlverhalten der Radfahrer als Verursacher „war dagegen diverser“, heißt es in der Studie. Am häufigsten passierte etwas, weil sie entgegen der Fahrtrichtung oder auf dem Gehweg radelten. Es folgt die Missachtung roter Ampeln, die bei den Fußgängern sogar Ursache Nummer eins ist. Doch jenseits von Kreuzungen sind die Fußgänger vor allem gefährdet, wenn sie den Straßenverkehr nicht ausreichend beachten. Außerdem fällt bei ihnen – mehr als bei Rad- und vor allem Autofahrern – die Alkoholisierung als Problem auf.

DIE ABHILFE

Aus dem Datenberg leiten die Unfallforscher Empfehlungen für alle Verkehrsteilnehmer ab: Autofahrer sollen beim Abbiegen unbedingt über die Schulter schauen und mit Radfahrern auch auf dem Gehweg oder entgegen der Fahrtrichtung rechnen – zumal Kinder auf dem Gehweg in beiden Richtungen radeln dürfen. Radfahrer sollen sich im Klaren darüber sein, dass links oder auf dem Gehweg zu fahren sowie rote Ampeln zu missachten ihr Leben gefährdet. Außerdem sollen sie gerade an Kreuzungen, Einmündungen und Einfahrten oder Eingängen auf querende Fußgänger gefasst sein. Den Fußgängern wird neben dem Naheliegenden auch empfohlen, keinen übertriebenen Ehrgeiz beim Sprint zu Bus oder Bahn zu entwickeln: Wenn Fußgänger an Haltestellen angefahren wurden, waren sie zumeist in Richtung der Haltestelle unterwegs, wollten also offenbar noch schnell ihren Bus oder ihre Bahn erreichen.

Kinder sind mit dem Verkehr oft überfordert.
Kinder sind mit dem Verkehr oft überfordert.

© picture-alliance/ dpa

DIE INFRASTRUKTUR

Bei näherer Betrachtung der 20 Unfallhäufungsstellen zeigte sich, dass sie oft nicht den aktuellen Standards entsprachen: Mal versperrten Hindernisse die freie Sicht, mal waren Fußgänger- und Radfahrerfurten nicht konsequent markiert. Meist hatten Abbieger gleichzeitig Grün mit den Fußgängern und Radfahrern, die geradeaus wollten – obwohl an verkehrsreichen Knoten ohnehin kaum ein Autofahrer ohne aggressives Drängeln den Strom der Fußgänger und Radler queren kann. Weitere typische Mängel: Lücken im Fuß- oder Radwegenetz, die sich in Gestalt fehlender Fußgängerampeln an einzelnen Kreuzungsseiten oder plötzlich endender Radwege zeigen.

DIE RISIKOZEITEN

Als besonders gefährdet erwies sich die Gruppe der Fußgänger zwischen 6 und 17 Jahren, also im Schulalter. Die verunglücken überwiegend zu den typischen Zeiten, nämlich morgens zwischen 7 und 8 sowie von 13 bis etwa 19 Uhr. Dagegen hilft vor allem die Vorsicht der anderen.

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