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Berlin: Champagner und zärtliche Schelte

Die „Brigitte“ ist vielleicht viel älter als sie zugibt, feiert ihren Geburtstag aber wie eine Partyqueen

„What a difference a day makes...“, singt Jazz-Star Jamie Cullum im oberen Stock des Café Moskau und sieht dabei sehr jung und süß struwwelig aus. Gerade hat er noch gestanden, dass er sich underdressed fühlt. Kein Wunder, zum 50. Geburtstag von „Brigitte“ sind die Gäste in langen Abendkleidern und Smoking erschienen. Unten plaudert Klaus Wowereit mit Moderator Reinhold Beckmann. Hier oben wiegen sich die Ladys in ihren bunten Roben und finden es schön ausschweifend: den ostalgischen Charme der Location, die exotischen Garnelen, zwar nicht aus der Brigitte-Versuchsküche, aber trotzdem lecker, den Champagner, die tolle Videoinstallation mit Impressionen aus 50 Jahren, das fantasievolle Licht-Design. Ministerin Renate Künast und TV-Talkerin Sandra Maischberger treiben durch die Menge, und da in der Ecke plaudern Hamburger Honoratioren, der Physiker Reimar Lüst und Moderator Ulrich Wickert.

Eine fehlt auf der Gästeliste. Ihr Name ist Sylvia Lott-Almstadt. Die Zeitungshistorikerin verfügt über explosives Wissen. Brigitte ist nämlich gar keine süße 50 mehr, sondern in Wirklichkeit schon bedenkliche 118 Jahre alt. 1986 schrieb sie im Auftrag des Verlags die faktenreiche und sehr unterhaltsame Chronik einer Frauenzeitschrift: „Die ersten hundert Jahre. Brigitte.“ Rasch wird offenbar: Alle verständlichen, typisch weiblichen Versuche, das wahre Alter zu verschleiern, fruchten nichts. Denn ein Exemplar ist damals auch bei Elke Heidenreich gelandet, die das gleich am Anfang ihrer liebevollen, geradezu zärtlich geschimpften Laudatio ausplaudert. „Du veranstaltest mit deinem Alter eine ziemliche Zickerei“, sagt sie, direkt an die illustrierte Lebensbegleiterin gerichtet. „Du weißt selbst nicht so genau, wie alt du eigentlich bist.“ Und verspricht dann, dass mit Liebe und Leidenschaft niemals Schluss ist. Dankt für die Anziehtipps, damals in den 50ern, als der erste Freund unterm Fenster sang, bittet um etwas mehr Kultur statt Kosmetik („Nimm die Gurkenscheiben von den Augen und lies!“) und bittet am Ende gratulierend: „Bleib du selber!“

Chefredakteur Andreas Lebert erzählt von den Fragen, mit denen sich Brigitte immer wieder konfrontiert sieht, ohne dass es der Leser-Blatt-Liebe Abbruch tut. („Ist gleichzeitige Kompetenz für Erdbeerkuchen und Entwicklungspolitik möglich?“) Er prophezeit: „In 50 Jahren werden der 100-Jährigen die gleichen Fragen gestellt.“ Vielleicht ist sie dann ja auch schon 168? Egal, es klingt so schön, wie Jamie Cullum von dem kleinen Unterschied singt. Ein Tag, ein halbes Jahrhundert... Im Herzen sei Brigitte 37, sagt jemand, und auch das ist einerlei. Bei einer Frau ohne Alter interessieren nun wirklich ganz andere Sachen.

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