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Glaubensbekenntnis. Gemeinsam haben die Rabbiner Yehuda Teichtal (rechts) und Shmuel Segal gestern auf dem Pariser Platz einen sechs Meter hohen Chanukka-Leuchter aufgestellt. Angezündet wird er aber erst am morgigen Sonntag um 18.30 Uhr.

© dpa

Chanukka-Fest für alle: Jüdische Berliner laden zum traditionellen Lichterzünden Christen und Muslime ein

Am Freitag haben Rabbiner den großen Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor aufgestellt - als sichtbares Symbol für das jüdische Leben in Berlin. Und als Zeichen gegen Antisemitismus und für Toleranz.

Von Sandra Dassler

Nein, mit Zur-Ruhe-Kommen hat das jüdische Lichterfest Chanukka nicht viel zu tun. Jedenfalls nicht für Rabbiner Yehuda Teichtal, der das Jüdische Bildungszentrum Chabad Lubawitsch in Wilmersdorf leitet. Zwei Tage bevor die erste der acht Kerzen am Chanukka-Leuchter angezündet werden muss, sitzt Teichtal dort in seinem Büro, telefoniert häufig und hat eigentlich keine Zeit für Journalisten. „Tut mir leid“, sagt er, „ich muss gleich los. Das Gebet sprechen, beim Gedenken mit Netanjahu am Gleis 17.“

Israels Ministerpräsident hatte am Donnerstag nach den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen mit seiner Frau Sarah das Mahnmal „Gleis 17“ in Grunewald besucht. Es erinnert an die Deportationen jüdischer Berliner in die Vernichtungslager der Nazis. Nach dem Gebet für die Opfer musste Teichtal nach London fliegen, gestern Morgen kam er schon wieder zurück, um am Brandenburger Tor den sechs Meter hohen Chanukka-Leuchter aufzustellen.

Den Ort hatte Teichtal im Jahr 2003 sehr bewusst gewählt. „Der Leuchter als Zeichen jüdischen Lebens vor dem Brandenburger Tor – das hat eine große, eine ungeheure Symbolkraft“, sagt er.

Das Lichterfest Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem im jüdischen Jahr 3597 (164 vor Christus). Zuvor war während des legendären Makkabäer-Aufstands die Fremdherrschaft der Seleukiden über Judäa beendet worden. Diese hatten im Tempel einen einzigen Krug mit geweihtem Öl übersehen, der eigentlich nur einen Tag als Brennstoff für das sogenannte ewige Licht gereicht hätte.

Wie durch ein Wunder brannte das Licht aber acht Tage lang. Deshalb wird bis heute am Chanukka-Leuchter jeden Tag eine weitere Kerze angezündet – die erste in diesem Jahr am 8. Dezember.

„Eigentlich also am Sonnabend“, sagt Rabbiner Teichtal. „Aber am Brandenburger Tor schaffen wir das wegen des Sabbats erst am Sonntag.“ Dann werden nicht nur Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), US-Botschafter Philip D. Murphy und der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman erwartet, sondern auch katholische und protestantische Pfarrer und Imame aus zahlreichen Berliner Moscheen.

„Wir haben viele Vertreter anderer Religionen eingeladen“, sagt Teichtal, „weil wir glauben, dass die meisten Menschen Frieden wollen. Deshalb strecken wir die Arme aus – gerade in diesen schwierigen Zeiten.“ Natürlich denkt er dabei an die jüngsten antisemitischen Vorfälle und Übergriffe in Berlin: Eine Woche nach der brutalen Attacke auf den Rabbiner Daniel Alter war Teichtals Tochter betroffen. Sie gehörte zu den Mädchen der Jüdischen Schule, die Anfang September als „Judentussen“ beschimpft und durch obszöne Gesten beleidigt wurden.

Wie viele Juden glaubt Yehuda Teichtal, dass die neu aufgeflammten Ressentiments auch etwas mit der Beschneidungsdebatte zu tun haben, „Nicht, dass ich die Debatte ablehne“, sagt er: „Sie ist legitim. Aber der Ton, in dem sie oft geführt wird, die Unwissenheit und manchmal sogar der Hass – das erschreckt mich zutiefst.“

Wie der überfallene Rabbiner Daniel Alter ist Teichtal der Ansicht, dass Juden sich jetzt erst recht zu ihrem Glauben bekennen sollten. Das Chanukka-Fest eignet sich hervorragend dafür, findet er. Schließlich war der Aufstand vor mehr als 2100 Jahren auch eine Reaktion darauf, dass die damaligen Herrscher jüdische Glaubens- und Lebensgrundsätze abschaffen wollten. Auf Beschneidung stand beispielsweise die Todesstrafe.

Zwar ist Chabad Lubawitsch eine orthodoxe Vereinigung, aber keineswegs im Sinne einer rückwärtsgewandten und abgeschotteten Gemeinschaft, sagt Teichtal. Deshalb sei das zum Bildungs- und Familienzentrum mit Synagoge umgebaute ehemalige Bewag-Umspannwerk in der Münsterschen Straße auch eine Begegnungsstätte verschiedener Kulturen: „Wir hatten gerade erst eine Schulklasse aus Neukölln mit vorwiegend muslimischen Schülern hier, wir sind sehr offen.“

Und so lädt der Rabbiner alle zum Lichterzünden ein. „Chanukka erinnert an den Sieg des Lichts über die Dunkelheit, des Friedens über die Tyrannei“, sagt er: „Und daran, dass jene Menschen, die tolerant miteinander umgehen, die Mehrheit sind – auch in Berlin.“ Das Lichterfest bestätige ihn in seinem Engagement, sagt Teichtal. Für ihn sei die Botschaft, dass es nicht ausreiche, nur eine Kerze anzuzünden: „Es muss jeden Tag eine mehr sein. Wir dürfen nicht ruhen, sondern müssen immer noch ein bisschen mehr tun.“

Das Lichteranzünden findet am Sonntag, 9. Dezember um 18.30 Uhr auf dem Pariser Platz statt.

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