zum Hauptinhalt
Vernen Liebermann, Gründer und Geschäftsführer des Foto-Dienstleisters Doopic, erkrankte im März am Coronavirus. Am Ende mussten alle elf Mitarbeiter in Quarantäne.

© doopic.com

Chefs zweier Berliner Firmen berichten: Was passiert, wenn der Senat nicht für Corona-Schäden zahlt

Das Land Berlin hat Zehntausende Unternehmen in der Coronakrise unterstützt. Doch manchmal stellen sich die Ämter stur.

Fünf Wochen lag Vernen Liebermann mit dem Coronavirus im Bett. Das war schlimm genug für den 37-jährigen Start-up-Unternehmer aus Charlottenburg. Dass es sogar die Existenz seiner Firma bedrohen würde, hätte er nicht erwartet. Zumindest nicht in Berlin, wo sich der Senat dafür loben lässt, auch kleinen Unternehmen schnell und unbürokratisch in der Krise geholfen zu haben.

Liebermanns Fall ist speziell, aber wohl nicht einzigartig: Am 10. März hatte er einen positiven Corona-Test erhalten, wenig später war die Hälfte seines zwölfköpfigen Teams bei Doopic.com ebenfalls an Covid-19 erkrankt. Doopic ist ein Foto-Dienstleister, der mit fast 1500 freien Mitarbeitern in Ländern wie Bangladesch und Vietnam massenhaft und schnell elektronische Bilder bearbeitet, etwa für Verlage oder Modehändler.

Die waren von einen auf den anderen Tag führungslos, weil Gesundheitsämter alle Mitarbeitenden der Zentrale für 14 Tage in Quarantäne geschickt hatten. „Wir waren nicht wirklich aufs Homeoffice ausgelegt. Zudem waren einige von uns auch nicht arbeitsfähig“, sagt Liebermann.

Der Arbeitgeber muss seinen Angestellten Lohn fortzahlen, darf sich die Kosten aber gemäß Paragraf 56 des Infektionsschutzgesetzes von der Senatsverwaltung für Finanzen erstatten lassen – sofern die Quarantäne behördlich angeordnet wurde. Das hat Liebermann schriftlich, aber in der Senatsverwaltung für Finanzen sieht man sich nicht in der Pflicht. „Im Falle einer Krankheit eines kranken Arbeitnehmers besteht kein Anspruch nach §56 Abs. 1 IfSG, da Lohnfortzahlungsansprüche bestehen“, erklärt die Verwaltung.

Soll heißen: Die Krankenkassen der Mitarbeiter sollen zahlen. Das gilt nur für seine eigene Person, entgegnet Liebermann – und fühlt sich mit seiner Rechtsauffassung unterstützt von einer Juristin der Industrie- und Handelskammer, bei der sich der Jungunternehmer Rat geholt hat. Auch für seinen Rechtsanwalt ist die Sache klar.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple-Geräte herunterladen können und hier für Android-Geräte.]

Die Senatsverwaltung habe ihm aber „vorsorglich“ schriftlich mitgeteilt, dass sie keinen Widerspruch annehmen werde. Da müsse er schon den ordentlichen Rechtsweg gehen. „Aber das kann ja Jahre dauern, ganz abgesehen vom Prozesskostenrisiko von 5000 bis 6000 Euro.“ Zwischen 30.000 und 40.000 Euro habe ihn die von den Behörden angeordnete Quarantäne gekostet. Das sei keine Schadenssumme, die sein 2014 gegründetes Unternehmen einfach wegstecken könne.

Im Mai hatte er die Anträge für elf Mitarbeiter eingereicht, bis heute sind fünf Fälle offen. Das bestätigt die Verwaltung und bittet um Geduld. Davon hatte Liebermann schon recht viel aufgebracht, findet er. „Was mich aber besonders ärgert, ist die Attitüde, mit der das Amt uns zumindest in den Briefen entgegentritt. Die sagen nicht: Wir verstehen eure Sorgen, wir müssen aber prüfen. Sondern sie verstecken sich hinter Kleingedrucktem.“

Organisator von Klassenreisen bot das Amt zunächst 15 Prozent der geforderten Summe

Uwe Flügel will nicht über mangelnde Empathie in den Behörden klagen. Der Geschäftsführer der Welcome Berlin Tours GmbH, einer der bundesweit größten Anbieter von Klassenreisen, betont, wie freundlich und konstruktiv die zuständige Mitarbeiterin der Senatsbildungsverwaltung seinen Fall behandelt haben. Und doch ist das Ergebnis ähnlich: Flügel wartet auf viel Geld. Rund 290 000 Euro schulde ihm das Land Berlin, das im März pauschal alle Reisen für das damalige Schuljahr abgesagt hatte. „Mit der Entscheidung ist unser Geschäft ungebremst gegen die Wand gefahren“, sagt der 53-jährige gelernte Pädagoge. In diesem Jahr dürften 90 Prozent der Umsätze verloren sein.

Uwe Flügel ist Geschäftsführer der Welcome Berlin Tours GmbH aus Berlin Friedrichshain, die unter anderem die Marke "superklassenfahrten.de" betreibt und unter den Top-10 der Branche in Deutschland sind. Er beschäftigt 26 Personen.
Uwe Flügel ist Geschäftsführer der Welcome Berlin Tours GmbH aus Berlin Friedrichshain, die unter anderem die Marke "superklassenfahrten.de" betreibt und unter den Top-10 der Branche in Deutschland sind. Er beschäftigt 26 Personen.

© Welcome Berlin Tours GmbH

Nur die vom Bund beschlossene Kurzarbeiterregelung hält seine Firma mit Sitz am Ostkreuz in Friedrichshain am Leben. Vier geschätzte Kolleginnen hätten die Zeit der Tatenlosigkeit genutzt und sich etwas Neues gesucht. „Auch das ist ein Verlust“, betont er, nun zähle das Team nur noch 26 Leute. Welcome Berlin Tours GmbH ist mit den Marken superklassenfahrten.de und grundschulfahrten.de am Markt und wirbt mit verhältnismäßig kulanten Zahlungsregeln.

So müssten Klassenlehrer die fällige Summe erst zwei Wochen vor Reiseantritt zahlen. „Das hat uns in dieser Krise besonders geschadet. Denn sonst hätten wir schon mehr Zahlungen erhalten“, sagt Uwe Flügel. In den ersten Monaten nach Ausbruch der Pandemie waren bundesweit zahlreiche Veranstalter von Jugendreisen und -freizeiten finanziell in die Knie gegangen und haben mit Protestaktionen auf ihre Lage aufmerksam gemacht.

Trotzdem wolle er an dieser Rechnungspraxis festhalten und sei auch künftig an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit allen Behörden interessiert. „Die Mitarbeiter haben es ja auch nicht leicht gerade.“ In einer Verhandlungsrunde habe das Amt ihm erst 15, dann 30 Prozent der geforderten Summe geboten. „Das war indiskutabel“, sagt Flügel. Er sei gleichwohl auch bereit, auf einen Teil der Forderungen zu verzichten.

In der Bildungsverwaltung ist man sich bewusst, dass durch die nötigen Absagen der Reisen finanzielle Schäden entstanden sind, müsse aber alles prüfen und sah sich bisher auch nur begrenzt in der Lage, diese auch zu begleichen. „Wir gehen davon aus, dass wir mit der möglichen Verabschiedung des zweiten Nachtragshaushaltes, die Ende des Monats geplant ist, wieder Mittel für Klassenfahrten zur Verfügung haben“, sagte ein Sprecher der Behörde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false