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Kinochefinnen: Anne Lakeberg (links) und Wiebke Wolter haben in der Weddinger Müllerstraße den Traum vom eigenen Filmtheater verwirklicht.

© Georg Moritz

City Kino im Wedding: Ein familiäres Filmtheater

Zwei junge Frauen haben das Kino im Weddinger Centre Français übernommen. Zur Freude von Cineasten machen sie ein anspruchsvolles Programm – und bereichern Berlins Szene.

Eigentlich ist der Berliner Winter ihr Freund, nur an diesem einen Sonntag nicht. Da kommt pünktlich zur Mittagsvorstellung die Sonne heraus. „Kein Kinowetter“, sagt Anne Lakeberg, eine der beiden Gründerinnen des „City Kino“, des ersten Programmkinos in Wedding. Und sie soll recht behalten. Nur eine Handvoll Leute kauft Tickets.

Lange haben sich Anne Lakeberg und ihre Mitstreiterin Wiebke Wolter überlegt, ob das eine Schnapsidee ist – ein eigenes Filmtheater eröffnen. Und dann auch noch Wedding? Doch der Plan scheint aufzugehen – außer an so einem Tag wie diesem. „Es kommen noch keine Massen. Aber wir haben sogar schon Stammkunden“, sagen die beiden 32-Jährigen. Und das, obwohl sie erst seit September Programm machen. Mit ihrem Angebot füllen sie eine Lücke. Im „Alhambra“, dem Multiplex-Haus und bisher einzigen Kino Weddings, werden vor allem Blockbuster gespielt. Für Cineasten war der Stadtteil bisher Ödnis. Studenten, Künstler und Kreative, die der Kiez seit einiger Zeit anzieht, kommen und sagen: Endlich gibt es hier so etwas. Die Alteingesessenen kommen und sagen: Endlich gibt es so etwas wieder.

Anne Lakeberg und Wiebke Wolter beleben eine Tradition wieder. Von Donnerstag bis Sonntag bespielen sie den alten Kinosaal des Centre Français an der Müllerstraße, 1958 von den Alliierten erbaut und zwei Jahre später in Betrieb genommen. Einst durften dieses Kulturzentrum, zu dem auch eine Bibliothek, Ausstellungsräume und ein Gästehaus gehörten, nur die französischen Streitkräfte nutzen. Mit dem Fall der Mauer ging der Gebäudekomplex an die Bundesrepublik.

Inneneinrichtung aus den 60er Jahren

Bis 2007 war hier ein regulärer Kinobetrieb, der sich zuletzt aber auf Bollywood-Filme spezialisiert hatte und dann schloss. Erst kürzlich ist der großzügige Saal mit seinen 220 Plätzen renoviert worden. Die meisten Elemente der Innenarchitektur stammen noch original aus den frühen 60er Jahren. Im Eingangsbereich schmücken bunte Glasquader die Decke, eine geschwungene Treppe mit Messinggeländer führt hoch ins Foyer.

Kurz bevor der Film losgeht, stellt sich Wiebke Wolter zwischen die Stuhlreihen. „Wir sind ein persönlich geführtes Kino, deswegen stelle ich nun auch das Programm persönlich vor“, sagt sie und führt dann kurz und unterhaltsam durch den Kalender für Februar. Sie macht auf die verschiedenen Themenblöcke aufmerksam, unter denen sie ihre Filme zeigen. Dann wird noch eben zur langen Oscar-Nacht eingeladen, zu der man gern in eleganter Robe erscheinen darf, und schon wünscht Wiebke Wolter „Viel Vergnügen erst mal“ und die Zuschauer rufen „Danke!“.

Familiär geht es hier zu, und genau so wollen das die beiden Gründerinnen auch. Die Kasse machen sie selber und die Tickets gibt es noch von der Papierrolle. Den schweren Karten-Kasten hat Wiebke Wolter aus einem Kino in Hannover mitgenommen, wo sie unter der Woche im Leitungsteam arbeitet. Dort wird so etwas Altmodisches nicht mehr gebraucht, da gibt es digitales Ticketing. Anne Lakeberg hat zuvor bei einem Filmverleih gearbeitet und für das City Kino ihren Job aufgegeben. Am Wochenende treffen sie sich in Wedding und gehen ihrer Leidenschaft nach.

Kennengelernt haben sich die beiden studierten Geisteswissenschaftlerinnen bei einem Lehrgang während ihrer Ausbildung zur Kauffrau für Filmtheater-Management. Sie wissen also, was sie tun. Haben Ahnung von Standortanalyse, Abrechnungen, Gewinnschwelle und Verträgen. Und sie haben cineastisch einen ähnlichen Geschmack, mögen unkonventionell erzähltes Kino, Geschichten mit psychologischem Tiefgang oder formale Experimente.

Motto: "Familie Claude"

Mit „Monsieur Claude und seine Töchter“, dem Dauerbrenner aus Frankreich, können sie sich bis heute nicht richtig anfreunden, aber sie spielen ihn immer noch, weil er beim Publikum gut ankommt. Dafür machen sie sich einen Spaß daraus, dem Monsieur eine Verwandtschaft mit „Madame Claude und ihre Gazellen“ anzudichten. Das ist ein Erotik-Streifen aus den 1970ern mit Klaus Kinski. Beide Filme laufen nun hintereinander. Motto: „Familie Claude“.

Anne Lakeberg und Wiebke Wolter haben noch viel vor. So wollen sie mit einer neuen Brasserie eine kulinarische Zusammenarbeit beginnen. Nicht immer haben die beiden die finanziellen Mittel, sofort alle aktuellen Neuerscheinungen zu sich zu holen. Sie spielen meist nach, das heißt, ein paar Wochen nach offiziellem Kinostart. Aber das hat auch Vorteile. Sie wissen dann schon, was ein Kassenschlager oder von der Kritik gut besprochen wurde. Und Zuschauer, die sich ärgern, dass manche Filme so schnell wieder von den Spielplänen fallen, haben hier eine zweite Chance. Letztens hat deshalb sogar ein Kreuzberger den Weg in den Wedding gefunden.

City Kino Wedding, Müllerstraße 74, Telefonnummer 01525/968 79 21, Programm unter anderem auf Facebook.

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

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