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Berlin: Das philharmonische Klassenzimmer

Tausende Berliner kamen zum Tag der Musik in die Philharmonie. Für Alt und vor allem für Jung war es ein großes Fest

Zu Hause spielt der neunjährige Jérome afrikanische Trommel. Aber zum Tag der Musik ist er mit seiner Mutter in die Philharmonie gekommen, um sich einmal die Instrumente erläutern zu lassen, die dort von den Musikern so gespielt werden. Der Tag der offenen Tür, zum zweiten Mal zelebriert, ist ein Riesenhit unter den Abonnenten der Zukunft. Hunderte von Kindern erkunden die zahlreichen Angebote. „Es ist ja auch wirklich toll, mal hinter die Kulissen zu sehen“, sagt Jörgs Mutter. Der Viereinhalbjährige hat sie gerade gefragt, wofür der Cellist seine Zettel braucht. „Frag ihn doch mal, ob er auch ohne Noten spielen kann“, ermutigt sie ihn. Um zwölf Uhr mittags, nur 90 Minuten nach der Öffnung, sind alle Führungen des Tages bereits restlos ausgebucht. Mit über 4000 Besuchern befinden sich zu diesem Zeitpunkt schon mehr Leute im Haus als im vorigen Jahr über den ganzen Tag verteilt. Ältere Stammgäste nutzen die Chance, mal in die Damenzimmer zu schauen, wo gerade die Flötistinnen ihre Sachen sortieren, das schwarze Brett zu studieren oder sich in der Verwaltungsetage das Video über die Entstehung des Kinofilms „Rhythm is it“ anzuschauen. Viele freuen sich auf das Konzert zugunsten der Berliner Symphoniker, mit dem die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle den Tag abschließen wollen. Dafür, dass dieses vom Senat nicht mehr geförderte Orchester erhalten bleibt, werden an diesem Tag Spenden gesammelt.

Für die Nachwuchsfans stehen neue Instrumentenerfahrungen im Mittelpunkt. Die vierjährige Karla imitiert die gerade gesehene Harfenspielerin, während ihre ältere Schwester Luisa vom Flötenunterricht erzählt. Beide sind sehr stolz auf ihren Papa, von dem sie berichten, dass er daheim im Wohnzimmer sowohl Klavier als auch Gitarre spielt. Wie so viele Eltern kleiner Kinder hat der Papa weitaus weniger Gelegenheit als ihm lieb wäre, in die Konzerte der Philharmoniker zu kommen. Umso intensiver werden die Musikdarbietungen dieses Tages genutzt, von den Berliner Barock Solisten bis zur Orgelvorführung mit Kinderlieder aus verschiedenen Ländern.

Besonders umlagert ist im Foyer der Stand, an dem Kinder Instrumente aus allem bauen können, „was sonst übrig bleibt“. Eine Klarinette aus einem Stück Plastikrohr zum Beispiel, das Mundstück wird aus einem Joghurtbecher geschnitten. Der Ansturm ist riesig, auch, als es daran geht, einen Gong aus Blumentöpfen zu bauen. Maja und Nele haben die aus einer mit Erbsen gefüllten Fotofilmdose gebastelte Rassel ihrer Mutter überlassen und sich mit vielen anderen zu Füßen der Big Band der Musikschule Pankow niedergelassen, die an diesem Tag viel Applaus in den sonst so heiligen Hallen bekommt. Aber das ist es gerade, was Jéromes Mutter so fasziniert: „Durch so einen Tag bleibt es kein Tempel, sondern wird ein richtiges Haus der Stadt, offen für alle.“ Ihr nächstes Ziel ist der Workshop „Vox Balaenae“, ein Projekt für Schüler, das sich mit den Gesängen der Buckelwale befasst. Noch lauscht sie aber dem Kabarettisten Gerhard Polt, der in seiner „Rede zum Tag der Musik“ kulinarische Assoziationen zu den verschiedenen Musikrichtungen zelebriert. Walzer erinnern ihn an Wiener Schnitzel, Techno an Brathendl mit Salmonellen. Er weiß komischerweise, wie giftig die Leute gucken, wenn man im Konzertsaal Popkorn isst, obwohl er gar nie ins Konzert geht: „Ich hab im Auto eine so tolle Quadrophonieanlage, da geht der Teufel ab...“ Da lachen vor allem die Erwachsenen, während der kleine Jérome ein wenig streng guckt.

Insgesamt scheint’s ihm aber zu gefallen und seine Mutter weiß: „An Orte, wo sie sich wohl gefühlt haben, kehren Kinder immer gern zurück.“ Das Konzert des Klarinettenorchesters „Ad Hoc“ zum 300.Geburtstag dieses Instruments ist schon an sich faszinierend genug. Am eindrucksvollsten aber ist die Andacht der Kinder, die, anders als so viele Erwachsene in Konzerten, weder röcheln noch schniefen noch irgendeinen Mucks von sich geben, sondern einfach nur gebannt lauschen.

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