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Schachspieler: Das Schicksal und die Shaolin

Die Geschichte des obdachlosen Schachspielers vom Lehniner Platz scheint ein gutes Ende zu finden.

Das Schachbrett hat er eingepackt. In seine schwarze Reisetasche, die neben ihm im Schnee steht. Jan wird heute nicht spielen, er wird nicht mal am Lehniner Platz sitzen. Jedoch nicht, weil ihm plötzlich zu kalt wäre, die Nacht zuvor hat er ja auch ohne Schlafsack bezwungen. Jan hat seine Sachen gepackt, weil ihn die Shaolin in ihren Tempel an der Bundesallee eingeladen haben. Jene Shaolin, wegen denen er nach Berlin gekommen war, die ihn draußen stehen ließen.

Doch jetzt haben sie ihre Türen plötzlich geöffnet. „Schicksal“, sagt Jan, er habe es ja gewusst. Die ganze Zeit, seit er aus Straßburg nach Berlin gekommen ist. Er musste nur warten, bis es wieder zuschlägt, das Schicksal.

Jans Geschichte hat damit ein überraschendes, ein schönes Ende gefunden, vielleicht taugt sie sogar zu einem kleinen Wintermärchen. Nachdem der Tagesspiegel vor genau drei Wochen über ihn, den Schachspieler vom Lehniner Platz, berichtet hatte, über seine Irrfahrt durch Europa, sein Leben auf der Straße, ohne Geld und scheinbar ohne Zweifel, und auch darüber, dass er ohne Geld nicht mit den Mönchen trainieren kann, weil eine Wochenkarte 80 Euro kostet, meldete sich der Bundesgeschäftsführer des Shaolin-Tempel Deutschland, André el Kaissi, in der Redaktion. Es gehe um Jan.

Das Ganze sei ein Missverständnis, erzählt el Kaissi. Natürlich könne „der Mann vom Lehniner Platz“ jederzeit im Tempel mittrainieren. Die Mönche wüssten ja selbst am besten, wie das ist, kein Geld zu haben. Bis zur Eröffnung des Tempels vor vier Jahren waren sie mit ihrer Philosophie selbst obdachlos, ohne Heimat. Sie haben im Lietzenseepark trainiert, dort, wo Jan selbst seine Nächte verbringt. El Kaissi war auch persönlich am Lehniner Platz und hat Jan gesucht, vergeblich. Ob man den Kontakt herstellen könne, fragt el Kaissi.

Jan überlegt nicht lange, als er davon hört. Er schultert seine schwarze Tasche. „Das ist der beste Tag in meinem Leben“, sagt er und steigt in die U-Bahn Richtung Spichernstraße. Im Bahnhof ein Filmplakat. Eat. Pray. Love. Er ist auf dem Weg, kennt ihn noch genau. Bundesallee 215. Der Shaolin-Tempel ist eine umgebaute ehemalige Tanzschule. Vor der Eingangstür gemahnen Drachen aus Stein an Fernost. Jan tritt durch die Tür, wird von el Kaissi begrüßt. Eine leichte Verbeugung. Shaolin-Tempel eben. Die beiden Männer setzen sich an einen Holztisch, el Kaissi holt ein Blatt Papier, es ist der Trainingsplan. Jan kann einen Monat lang an allen Kursen teilnehmen und dann entscheiden, was er vertiefen möchte. Kung Fu, Chan-Meditation, Qi Gong. Jan bekommt Schuhe und ein Shirt in seiner Größe. Jan muss sich vor einem Spiegel verbeugen. Für den Respekt vor sich selbst, wie el Kaissi erklärt. Dann geht er mit einem der Shaolin in den Trainingsraum, bewegt sich synchron in den Grundformen des Kung Fu. Für einen Anfänger macht er das gut, findet el Kaissi. Jan darf bleiben. „Wir haben auch ein Schachbrett hier“, sagt el Kaissi. „Er sollte nur unseren Meister nicht schlagen, sonst wird es anstrengend beim Training.“

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