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Historische Grabmale: Das vernachlässigte Erbe

Viele historische Grabmale Berlins sind in einem schlechten Zustand. Die Lebenden könnten sie retten.

Was könnte drauf stehen, auf der letzten Ruhestätte? Was besteht vor der Ewigkeit? „Mutti“ – wohl kaum. „Ich“ – klingt reichlich selbstverliebt. Ein Dichterspruch, ein Bibelwort oder einfach nur der Name? Und wie soll sie aussehen, wo soll sie liegen? Wolfgang Böttger hat das alles schon entschieden. Er zieht, wenn das Ende seines Erdenlebens gekommen ist, noch mal um: von Bad Homburg nach Berlin, nach Kreuzberg auf die Friedhöfe vorm Halleschen Tor. Hier hat der Steuerberater im Ruhestand vor ein paar Jahren die Patenschaft für das Mausoleum Prächtl übernommen. Jugendstil, Granit, dicke Eichentür, mehr als 100 Jahre alt. Wertvolle alte Gemäuer lägen ihm sehr am Herzen, sagt Böttger. Und dass die Prächtls zu Kaisers Zeiten bekannte Leute, ja sogar Hoflieferanten waren, gefällt ihm. Außerdem ist er sehr weitläufig verwandt. 25 000 Euro hat die Restaurierung gekostet. „Da bin ich sehr gut untergebracht“, sagt Böttger, dessen Söhne mit ihren Familien weit weg leben.

Da wäre dann schon ein historisches Grabmal weniger auf Berlins Friedhöfen zu retten. Leider sind noch tausende, vom Verfall bedrohte architektonisch, künstlerisch und historisch wertvolle Gräber übrig. Die ganze Pracht der Marmorengel, Bronzereliefs, Granitstelen, Gusseisengitter, Blattgoldlettern oder Mosaike durchzuzählen, ist bislang weder Denkmalschützern noch Friedhofsverwaltungen gelungen. Kein Wunder, Berlin verfügt über 240 Friedhöfe, davon stehen 83 unter Denkmalschutz.

„Einzigartig in Europa“ nennt Klaus von Krosigk die Vielfalt der Berliner Friedhöfe. Dass die Stadt keine Zentralfriedhöfe wie Paris oder Wien hat, erklärt sich durch die späte Gründung von Groß-Berlin 1920. Für den Mann, der sich bis Ende September 30 Jahre lang als stellvertretender Landeskonservator und Leiter der Gartendenkmalpflege um historische Begräbnisstätten gekümmert hat, ist das ein Schatz und keine Last. „Hergerichtete Grabmäler halten einen Friedhof attraktiv“, sagt er. Als grüne, kunst- und kulturgeschichtliche Inseln in der Stadt, wo man gerne verweilen oder selbst begraben sein möchte. Beides ist wichtig, denn von den jetzt genutzten 1000 Hektar Begräbnisfläche werden angesichts der demografischen Entwicklung und veränderter Bestattungssitten zukünftig nur noch 600 gebraucht. Und ein lebendiger, sogar mit einem Café ausgestatteter Friedhof wie der Alte St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg, der die zuerst in den achtziger Jahren auf dem Kölner Melaten-Friedhof umgesetzte Idee der Grabmalpatenschaften in Berlin angeboten hat, überlebt. 32 Patenschaftsverträge wurden hier im vergangenen Jahr abgeschlossen. Das bedeutet, ein Fünftel der 150 akut vom Verfall bedrohten Grabmäler an der Großgörschenstraße ist restauriert.

Damit das auch auf anderen Friedhöfen glückt, haben das Landesdenkmalamt und die Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe im Frühjahr eine Kampagne zur Rettung historischer Grabmale gestartet. Ein als Broschüre und Internetseite veröffentlichter Katalog zeigt auf 20 Friedhöfen von Pankow bis Charlottenburg 100 wunderschöne, aber ramponierte Gräber, die auf Spendengelder mit oder ohne Neubelegung warten. Ausgesucht hat Klaus von Krosigk die 100 Beispiele zwischen 1500 bis 150 000 Euro Sanierungskosten. „Nach der gestalterischen Qualität und weil es Gräber toller Personen sind.“ Das müssen nicht notwendigerweise üppige Gründerzeit-Mausoleen seien, wie ein Streifzug über den Dreifaltigkeits-Friedhof II an der Bergmannstraße in Kreuzberg zeigt. „Hier führt die berühmte Tragödin Amalie Wolff leider ein verschattetes Dasein“, sagt von Krosigk und deutet auf ein efeubewachsenes Grab, dem eine buschige Eibe heftig auf die Pelle rückt. Seit 1851 ruht hier die von Goethe heiß verehrte Schauspielerin hinter einem geschwungenen Gusseisengitter. Die schlanke Säule aus schlesischem Marmor hat ihr strahlendes Weiß lange verloren, das etruskische Kapitell liegt lose daneben, und die einst obenauf thronende Schmuckurne ist gleich ganz verschwunden. Geschätzte 7500 Euro werde die Instandsetzung kosten, sagt von Krosigk. Der Marmor wird dampfgestrahlt, um Algen und Flechten zu entfernen. Dann werden die Säule konserviert und wiedererrichtet, Inschrift und Efeuhügel erneuert, das Eisen behandelt und wahlweise die Urne oder ein fehlendes Teil des Eselsrückenzauns erneuert. Wenn, ja wenn sich ein Pate findet und bei der Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe oder den Friedhofverwaltungen meldet. Bei Mausoleen sind in Ausnahmefällen auch Landeszuschüsse möglich.

Dass engagierte Bürger oder Vereine zukünftig in hellen Scharen die Friedhöfe stürmen, bezweifelt der Evangelische Friedhofsverband Stadtmitte, der mehr als 40 Friedhöfe, darunter auch die kulturhistorisch bedeutsamen am Halleschen Tor und der Bergmannstraße bewirtschaftet. Hier und auch bei der Friedhofs-Stiftung sind seit Beginn der Kampagne zwar einige Patenschaftsverträge abgeschlossen worden, aber immer noch viel zu wenige. „Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit“, sagt Yvonne Zimmerer vom Friedhofsverband. Die Bausubstanz, die jährlich verlorengehe, ganz zu ersetzen, sei schwer vorstellbar. Trotzdem hat sie ein neu erwachtes Interesse für alte Grabmale und Beerdigungen jenseits der Billigdenke ausgemacht. „Die Masse favorisiert zwar Urnengräber oder gar anonyme Felder, aber viele Bildungsbürger denken wieder anders.“ Da gründen dann schwule Freunde eine Grabgemeinschaft in einem alten Mausoleum oder eine Frauenstiftung kauft ein Gemeinschaftsfeld mit 100 Grabstellen.

Dass alte Grabmale wie „ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch“ sind, ja sogar „das Gedächtnis der Stadt“ ist in jedem Aufsatz über Friedhofskultur zu lesen. Was das aber wirklich heißt, hat einer begriffen, der in drei Jahren privat fast 40 000 Euro für mehrere an der Bergmannstraße hergerichtete Grabmale gesammelt hat: der Schauspieler Hans-Jürgen Schatz. „Es gibt nichts Lebendigeres als einen Friedhof“, zitiert der Rezitator aus Wilmersdorf erst mal Theodor Fontane und erzählt dann davon, dass ihn Friedhöfe schon seit Kindertagen faszinierten. „Die Grabsteine, die aus der Mode gekommenen Worte, die Vorstellung von der Beerdigung.“ Als der Theologe Friedrich Schleiermacher, für dessen Grab Schatz gesammelt hat, hier 1834 beerdigt wurde, säumten zehntausende weinender Menschen die Straße, erzählt Schatz. Da bekommt man prompt eine Gänsehaut, obwohl der verwitterten Büste des Gelehrten auf ewig die Nase fehlen wird. Selbst in einer alten Grabstätte die letzte Ruhe zu finden, kann Schatz sich allerdings nicht vorstellen. „Bei einem völlig fremden Menschen? Nein! Das möchte ich für ihn und für mich nicht.“

Klaus von Krosigk hat sich anders entschieden. Zielstrebig geht er über den Dorotheenstädtischen Friedhof in Mitte. Rechts und links liegen Laubhaufen, der Ewigkeitssonntag naht. Hier glänzt das frisch restaurierte Grab des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. Den Ort zeigt er gern. „Einen Steinwurf von hier entfernt werde ich mal liegen.“ Natürlich in einem historischen Grab.

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