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© Caro

DDR-Funktionäre: Wie Politbüro-Mitglieder um ihre Rente kämpften

In der DDR gab es ein komplexes System aus Zusatzrenten für Funktionsträger. Beim Berliner Sozialgericht kämpften deshalb auch ehemalige Politbüro-Mitglieder wie Egon Krenz oder Erich Honecker um Zahlungen.

Große Geschichte bringt kleine Geschichten mit sich. Das Berliner Sozialgericht kann einige davon erzählen. Zu Zeiten der Teilung der Stadt lag der trutzige, neo-klassizistische Bau abgeschieden auf der Westseite im Schatten der Mauer. Unweit des Übergangs Invalidenstraße. Ältere Richter erinnern sich noch heute daran, dass damals immer wieder dunkle Limousinen auf den Parkplatz fuhren. Aus den Fenstern ihrer Arbeitszimmer beobachteten sie, wie die Fahrer die Kofferräume öffneten und der eine oder andere Aktenkoffer den Besitzer wechselte.

Nach dem 9. November lag das Gericht plötzlich wieder mitten in der Stadt und geriet immer mehr ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Hier wurde über Probleme verhandelt, die sich aus der Wiedervereinigung ergaben. Für viele ehemalige DDR-Bürger – vor allem aus hervorgehobenen Positionen – ging es persönlich um viel, um die Anerkennung ihrer Lebensleistung. Es ging um ihre Rente. „Was heute die Hartz-IV-Prozesse für das Sozialgericht sind, waren in den Neunzigern die vereinigungsbedingten Verfahren“, sagt Gerichtssprecher Michael Kanert, dessen Kammer über etliche dieser Fälle entscheiden musste.

Rund 50 000 dieser Verfahren wurden seit 1990 an dem jetzt Gesamtberliner Sozialgericht geführt. Denn in der DDR gab es ein umfangreiches System von Zusatzrenten für Funktionsträger. Obwohl es mehrere Bundesverfassungsgerichtsurteile und verschiedene Gesetzesnachbesserungen gab, ist auch 18 Jahre nach der Wende teilweise immer noch nicht endgültig in allen Punkten geklärt, wie mit diesen „Bonzenrenten“ verfahren wird.

Auch die höchsten Repräsentanten der DDR und Politbüromitglieder bemühten das Gericht. Dabei ging es nicht um das Grundsätzliche, die „Bonzenrente“ an sich, sondern um die ganz persönlichen Ansprüche, um Anerkennung von Rentenzeiten oder die Höhe des Arbeitslosengeldes. Erich Honecker beispielsweise reichte 1992 aus der U-Haft in Moabit eine Klage ein; zu einer Zeit, als er sich der strafrechtlichen Aufarbeitung seines Wirkens als DDR-Staatschef stellen musste. Er wollte Rente nachgezahlt haben. Und zwar für die 16 Monate, in denen er sich von März 1991 an der deutschen Strafverfolgung durch die Flucht nach Moskau entzogen hatte. Wie so oft bei Behördenbescheiden, hatte diese Ablehnung Formfehler. Davon profitierte Honecker und erzielte vor Gericht einen Teilerfolg.

Ebenfalls einen Formfehler konstatierte die Kammer von Michael Kanert bei einem Bescheid an Markus Wolf. Diesem war die Ehrenrente, die es in der DDR für Opfer des Faschismus gab, gestrichen worden. Noch 2005 – ein Jahr vor seinem Tod – kämpfte der einstige Spionagechef um sein Recht und präsentierte dem Gericht sogar den Haftbefehl, der bereits für seine Familie ausgestellt war, bevor sie aus Nazi-Deutschland in die Sowjetunion flüchtete. Aufgrund des fehlerhaften Schreibens der Behörde erkannte die Kammer zwar an, dass der erste Bescheid nicht rechtskräftig war und deswegen die Ehrenrente für den betreffenden Zeitraum nachzuzahlen ist. Gleichzeitig entschied sie aber, dass die Streichung der Rente an sich wegen schwerer Menschenrechtsverstöße durchaus möglich war. Ausschlaggebend war nicht die Tätigkeit als Spionagechef, sondern dass Wolf in einem Beratungskollegium für Stasichef Erich Mielke gesessen hatte. Dieses Gremium beriet unter anderem über die größte Aktion zur Bespitzelung der DDR-Jugend. Die Gerichtsentscheidung wollte Wolf nicht akzeptieren und ging in Berufung. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen; die Erben führen es weiter. Auch Willi Stoph, dem früheren Vorsitzenden des Ministerrates, war die Ehrenrente als Faschismusopfer aberkannt worden. Zu Recht, urteilte das Sozialgericht, da Stoph als Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates auch für den Schießbefehl an der Grenze verantwortlich war.

Stasi-Chef Mielke zog vors Gericht, um Rentenansprüche für die Zeit zwischen 1931 und 1945 einzuklagen. Mielke argumentierte, dass er verfolgungsbedingt im Ausland war. Er hatte sich damals zunächst in die Sowjetunion abgesetzt. Das Gericht hielt dagegen, dass er nach dem Polizistenmord am Bülowplatz, für den er sich in den Neunzigern strafrechtlich verantworten musste, aus Angst vor möglicher Strafverfolgung das Land verlassen hatte und wies die Klage ab.

Auch Arbeitslosengeldansprüche der DDR-Nomenklatura beschäftigten die Richter. Egon Krenz brauchte Anrechnungszeiten fürs Arbeitslosengeld, um die Unterstützung länger gezahlt zu bekommen. Er wollte deshalb gerichtlich klären lassen, dass er von 1988 bis Dezember ’89 – in einer Zeit also, in der er in den letzten Wochen zum Staatschef avancierte – als Arbeitnehmer beschäftigt war, und einem „Direktions- und Weisungsrecht in Bezug auf Zeit, Ort und Art der Ausführung der Arbeit“ unterlag. Die Bundesanstalt für Arbeit hatte hingegen auf Krenz’ herausragende Führungsposition verwiesen, aufgrund derer er „überwiegend Ort und Art der Tätigkeit“ selbst bestimmen konnte. Das Verfahren wurde nicht entschieden: Krenz konnte weitere Zeiten nachweisen, in denen er als weisungsgebundener Arbeitnehmer tätig war, so dass dem kurzzeitigen DDR-Staatschef sein Anspruch auf Arbeitslosengeld blieb.

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