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Fit und gesund bleiben. Man soll in der Woche 150 Minuten Sport treiben.

© Christoph Soeder/ dpa

Fitnessuhren im Arbeitsalltag: "Den Arbeitgeber interessiert nicht, wie viele Schritte einzelne Mitarbeiter gehen“

Garmin verkauft Fitnesstracker mit zugehörigen Apps. Diese werden auch für betriebliches Gesundheitsmanagement genutzt. Wie sicher sind die Daten?

Herr Watzke, Garmin baut bisher seine Fitnesstracker vor allem für sportinteressierte „Normalkunden“, die ihre Laufstrecke, ihren Puls und die verbrannten Kalorien im Blick haben wollen. Damit ist das Unternehmen einer von mehreren Herstellern im umkämpften Markt der Wearables. Nun nehmen Sie einen anderen Markt in den Blick: das betriebliche Gesundheitsmanagement. Warum?

Das ist ein einfacher Zusammenhang: Fitnesstracker motivieren Menschen zu einem aktiveren Lebensstil. Eine aktivere Belegschaft ist eine gesündere Belegschaft. Studien zeigen zum Beispiel, dass sich die Krankheitstage so um bis zu 27 Prozent senken lassen. In Deutschland, wo die Krankheitsdauer bis zu sechs Wochen vom Arbeitgeber bezahlt wird, ist das ein erheblicher Kostenfaktor.

Trotzdem ist es in Deutschland zumindest bisher noch nicht üblich, Fitnesstracker an seine Mitarbeiter zu verschenken, oder?

Es stimmt, Deutschland ist da nicht gerade ein Vorreiter. Aber so langsam kommt der Trend auch hier an. Es gibt bereits einige Apps, die Aktivitätsprogramme für Unternehmen anbieten. Manche Arbeitgeber legen zu diesen Softwarelösungen als zusätzliche Motivation, die Software auch zu nutzen, kostenlos Hardware oben drauf, zum Beispiel eine Fitnessuhr.

Und da will Garmin mitmischen?

Die Einsatzmöglichkeiten unserer Tracking-Hard- und -Software im Betrieblichen Gesundheitsmanagement ist schon jetzt eine wichtige Säule mit viel Entwicklungspotenzial. Wenn Sie zum Beispiel eine Garmin-Uhr kaufen, gibt es dazu eine App, die Garmin Connect. Diese analysiert die Daten und gibt Empfehlungen für einen gesünderen und aktiveren Lebensstil.

Jörn Watzke ist Senior Director von Garmin Health Global Business Development, die ihren globalen Sitz in Würzburg hat. Sie ist die Gesundheitssparte derUS-Firma Garmin Inc .

© promo

Können Dritte auf die Daten zugreifen?

Garmin Connect bietet eine Schnittstelle, an die inzwischen Tausende Partner angeschlossen sind. So gibt es beispielsweise ein Weight-Watchers-Programm, in dem man durch Fitnessaktivitäten Punkte sammeln kann, um mehr essen zu dürfen. Es gibt Programme von Versicherungen, die aufgrund von Aktivitätsdaten Prämien anbieten. Und es gibt die diversen Programme des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Die Entscheidung darüber, ob und mit wem er seine Daten von unserer Plattform teilen möchte, hat unser Kunde aber ganz allein. Denn diese Daten gehören ihm, nicht uns. Wir selbst geben keine Daten an Dritte weiter, das ist nicht unser Geschäftsmodell. Wir verkaufen die Hardware, also die Fitness- und andere Gesundheitstracker.

Das heißt, bei der Nutzung der Daten Ihrer Plattform für das betriebliche Gesundheitsmanagement ist nicht der einzelne Mitarbeiter Ihr Vertragspartner, sondern der Arbeitgeber, der Ihnen dann im Idealfall auch viele Fitnessuhren abkauft und an seine Mitarbeiter verteilt?

Ja. Manchmal ist es auch ein externer Provider, der für ein Unternehmen das Gesundheitsmanagement organisiert.

Nun sind Fitness- und Vitaldaten recht sensible Daten, die über den Gesundheitszustand eines Menschen sehr exakte Aussagen ermöglichen. Um den Schutz solcher Daten – beispielsweise in der elektronischen Patientenakte – wird in Deutschland schon eine ganze Weile gerungen. Ich könnte mir vorstellen, dass für einige Menschen die Vorstellung unangenehm ist, dass ihr Arbeitgeber ihren Lebensstil verfolgen kann. Wie sieht es mit dem Datenschutz auf Ihrer Plattform aus?

Die Auswertung der Daten für das Betriebliche Gesundheitsmanagement führen nicht wir durch, sondern das ist Sache des jeweiligen Dienstleisters. Und wie gesagt, unsere Kunden entscheiden selbst, welche der bei Garmin gespeicherten Daten sie für Dritte freigeben wollen. Der Dienstleister pseudonymisiert die Daten, bevor er sie an den Arbeitgeber weitergibt. Den Arbeitgeber interessiert ja auch gar nicht, wie viele Schritte eine einzelne Mitarbeiterin aus dem Sekretariat täglich macht. Sondern er will wissen, wie aktiv ist meine Belegschaft, und er will gesundheitliche Problemfälle durch Arbeitsabläufe in bestimmten Abteilungen möglichst früh identifizieren. Aus den Daten kann der Chef also zum Beispiel nur ableiten, dass im Schnitt alle seine Mitarbeiter am Tag 5000 Schritte gehen, aber in der IT-Abteilung sind es nur 3000 Schritte. Die Ergebnisse von einzelnen Personen will der gar nicht wissen – und darf das wegen des gesetzlichen Datenschutzes auch nicht. Unter einer Mindestanzahl in einer bestimmten Mitarbeitergruppe ist eine Auswertung der Daten nicht mehr möglich, denn bei weniger als fünf Mitgliedern könnte das Verhalten einer einzelnen Person identifizierbar sein.

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Überwacht. Ein Fitnesstracker misst die Gesundheitsdaten der Person, die ihn trägt.

© imago/Westend61

Stellt Garnim von sich aus sicher, dass die Daten pseudonymisiert werden und dass die Mindestanzahl der Auswertungsgruppengröße gewahrt ist?

Für die Datenauswertung und Einhaltung des gesetzlichen Datenschutzes ist der jeweilige Arbeitgeber verantwortlich. Das gleiche gilt beispielsweise auch bei der Datenspende-App des Robert-Koch-Institutes für die Überwachung in der Corona-Pandemie. Auch hier hat Garmin – als einer von mehreren Herstellern – den Entwicklern eine Schnittstelle zur Verfügung gestellt, über die die Kunden ihre Daten für das RKI spenden können.

Sind die Daten sicher? Gerade bei der Datenspende-App fand der Chaos Computer Club heraus, dass die gespendeten Daten vor der Pseudonymisierung abgegriffen werden könnten und der Spender so identifizierbar wäre.

Diese Möglichkeit ist eine sehr theoretische. Man benötigt schon eine extreme kriminelle Energie, um an diese Daten heranzukommen, vergleichbar mit dem Versuch, Bankkontodaten zu knacken.

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Aber auch Ihre Plattform selbst kann ein Opfer von Hackerangriffen werden. Jüngst machte der Totalausfall von Garmin Connect Schlagzeilen.

Ende Juli wurden wir Opfer einer Cyberattacke mit einer Malware, die einige unserer Systeme verschlüsselte. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass auf Kundendaten einschließlich Zahlungsinformationen zugegriffen wurde, solcherlei Informationen verloren gegangen sind oder gestohlen wurden. Bereits nach kurzer Zeit waren die betroffenen Systeme wieder zugänglich und die Daten wiederhergestellt.

Fitness Tracker. Hier ist ein etwas älteres Modell zu sehen.

© picture alliance / dpa

Wo stehen die Server, auf denen die Gesundheitsdaten von Garmin Connect abgelegt werden?

Wir betreiben dafür ausschließlich eigene Server und nutzen keine Clouddienste externer Anbieter. Unsere Server stehen in China, weil die dortige Regierung das für ihre Bürger so verlangt. Außerdem in Großbritannien und natürlich am Hauptstandort von Garmin in den USA.

In China und den USA gelten andere Gesetze für den Zugriff beispielsweise von Regierungsbehörden auf Server und dort gespeicherte Daten als in Europa. Können Sie garantieren, dass die Daten Ihrer europäischen Kunden auf den Servern in Europa abgelegt sind?

Das können wir nicht. Unsere Daten werden auch auf Servern in den USA gespeichert.

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Welche Daten kann die Hardware von Garmin derzeit messen?

Das sind bereits eine ganze Reihe von Werten: Da ist Anzahl der Schritte über den Tag, vor dem Hintergrund, dass man täglich 10 000 Schritte laufen sollte. Wir können die aktiven Minuten am Tag messen, denn man soll in der Woche 150 Minuten Sport treiben. Wir tracken den Puls, aus dem man mehr herauslesen kann als die Zeit mit hoher Herzschlagfrequenz, die man beim Sport verbringt. Denn aus einem niedrigen Ruhepuls lässt sich schlussfolgern, wie gesund das Herz-Kreislauf-System ist. Dann gibt es die sogenannte Herzschlag-Varianz, die uns viel über das Stresslevel und die Art des Stresses verrät, woraus sich Empfehlungen ableiten lassen.

Inwieweit basieren solche Empfehlungen auf medizinischem Wissen?

Es gibt inzwischen sehr viele Studien, die den Sinn und die Referenzwerte der Uhren wissenschaftlich belegen. Aber dazu muss man auch sagen, dass die Garmin-Uhren keine Zulassung als Medizinprodukte haben. Wir dürfen und wir wollen mit den Geräten also keine Diagnosen für mögliche Krankheiten stellen.

Andere Tracker-Hersteller haben die Zulassung einzelner Funktionen durch die amerikanische FDA sehr forciert, zum Beispiel für eine EKG-Funktion, um so in den Markt der Patientenüberwachung hineinzukommen. Garmin will das nicht?

Nein, denn der Aufwand für die Zulassung und dann auch noch einmal nachfolgend für jede Änderung der Software ist immens. Aber wir können trotzdem vieles bieten, was in der Patientenversorgung eine Rolle spielt – vor allem in der Zeit nach einer Behandlung im Krankenhaus. Denn für viele Eingriffe gilt, dass Gesundheitstracking in der Reha und langfristigen Nachsorge ein gutes Instrument sein kann, wieder schnell zu genesen und gesund zu bleiben. Nehmen wir das Beispiel Gelenkoperationen oder Nachsorge nach einem Herzinfarkt. Dann machen die Leute ihre zwei oder drei Wochen Reha, kommen nach Hause und fallen zurück in ihr altes Leben. Da sind dann Fitnesstracker mit der entsprechenden Software eine gute Motivation für ein langfristig aktiveres Leben.

Und Sie wollen auch zukünftig keine Zulassung als Medizinprodukt?

Es kann sein, dass wir für unsere Hardware in speziellen Fällen Anwendungen entwickeln, die Krankheiten diagnostizieren können. So haben die Garmin-Uhren die Fähigkeit, während des Schlafs kontinuierlich die Sauerstoffsättigung des Blutes zu messen. Die könnte man beispielsweise nutzen, um eine schwere Atemwegserkrankung oder auch eine Schlafapnoe zu erkennen. Dann würden wir selbstverständlich auch die Zulassung als Medizinprodukt anstreben. Aber damit gehen wir auch eine hohe medizinische Verantwortung für eine richtige Risikoeinschätzung ein. Denn wenn wir einer Million unserer Kunden fälschlicherweise empfehlen, du hast Vorhofflimmern, geh zum Arzt, bricht das Gesundheitswesen zusammen.

Wird Garmin demnächst also Funktionen etwa zur Warnung bei Vorhofflimmern oder einer Schlafapnoe in seine Uhren einbauen?

Dazu darf und werde ich keine Aussagen machen. Aber zumindest kann ich sagen, dass diese und andere medizinische Funktionen ein Trend sind, in den wir stark investieren. Denn gerade die Möglichkeit einer 24-Stunden-Überwachung von Vitaldaten – und gegebenenfalls einer Warnung, den Arzt aufzusuchen – ist eine große Chance für ein gesünderes Leben.

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