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Berlin: Der 36-Jährige soll sich alte alleinstehende Frauen als Opfer gesucht haben

Der Mann an der Wohnungstür wirkte gepflegt und machte einen so höflichen Eindruck. "Guten Tag", sagte er freundlich, als die 90-jährige Lisbeth B.

Der Mann an der Wohnungstür wirkte gepflegt und machte einen so höflichen Eindruck. "Guten Tag", sagte er freundlich, als die 90-jährige Lisbeth B. öffnete. "Haben Sie mal einen Zettel und einen Stift? Ich will ihrem Nachbarn eine Nachricht in den Briefkasten stecken." Lisbeth B. wollte dem jungen Herrn seinen Wunsch gern erfüllen. Doch bevor die alte Frau das Wohnzimmer erreichte, packte sie der 36-Jährige plötzlich von hinten. "Er traktierte die 90-Jährige mit Schlägen und Tritten", sagt der Staatsanwalt im Moabiter Kriminalgericht. Später entkam der Räuber mit 300 Mark, Lisbeth B. erlag dann im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.

Die 90-Jährige fiel nicht als Einzige dem "Oma-Mörder von Berlin" ("Bild") zum Opfer. Raymond S. soll innerhalb von acht Monaten mehr als 70 Straftaten an alten alleinstehenden Frauen begangen haben. 15 Fälle werden seit Montag in Saal 618 des Landgerichts verhandelt. Der Staatsanwalt wirft dem 36-Jährigen zunächst einmal den Doppelmord an zwei 90-jährigen Rentnerinnen vor. Die anderen Opfer - im Alter zwischen 77 und 95 Jahren - hatten die brutalen Angriffe zum Teil schwer verletzt überlebt. Eine 95-jährige und eine 84-jährige Frau soll der gelernte Friseur nicht nur beraubt, sondern auch vergewaltigt haben. Und auch ein gehbehinderter 77 Jahre alter Rentner musste laut Anklage sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen. "Ich mache zu den Vorwürfen keine Angaben", sagte Raymond S. gestern im Landgericht und überraschte damit Richter und Staatsanwalt. "Zuvor war der Angeklagte in wesentlichen Punkten geständig", sagte der Ankläger. Allerdings habe Raymond S. stets bestritten, seine Opfer auch getötet zu haben.

Bei einem Großteil der Straftaten handelte es sich laut Polizei um Trickdiebstähle in den Bezirken Pankow, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Lichtenberg und Köpenick. Insgesamt 26 000 Mark soll Raymond S. erbeutet haben. Das Geld gab er für sich, seine damalige Verlobte und das gemeinsame Kleinkind aus, mit denen er in einer Friedrichshainer Wohnung lebte. In insgesamt 15 Fällen ging Raymond S. nach den Worten des Staatsanwalts fast immer nach dem gleichen Muster und "mit äußerster Brutalität" zu Werke. Raymond S. war schon in der DDR wegen Vergewaltigungen und schwerer körperlicher Misshandlungen mehrmals zu Haftstrafen verurteilt worden, mehr als die Hälfte seines Lebens hat er bereits in Gefängnissen oder psychiatrischen Kliniken verbracht. Die nun zu verhandelnden Überfälle begannen laut Staatsanwalt im Dezember 1998, nachdem der Mann zum vierten Mal aus der Landesnervenklinik Brandenburg geflohen war. Gegen die Ärzte, die dem Mann Ausgang gewährten, wird derzeit bei der Staatsanwaltschaft Potsdam wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.

Der Berliner Ankagevertreter will Raymond S. nach dem Prozess in einem psychiatrischen Krankenhaus unterbringen lassen. Da sich der 36-Jährige aber auf der Anklagebank in Schweigen hüllt, wird es den Opfern wahrscheinlich nicht erspart bleiben, als Zeugen auszusagen. In einigen Fällen, wie beispielsweise bei Lucie T., wird das Gericht voraussichtlich auswärts tagen müssen. Die Anwältin der 84-jährigen vergewaltigten Frau, die einen Tag nach dem Überfall verletzt und völlig verängstigt in ihrer Wohnung gefunden wurde, legte ein Attest vor. Darin heißt es, dass ihr eine Aussage außerhalb ihrer häuslichen Umgebung "psychisch und physisch" nicht zuzumuten sei.

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