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Berlin: Der Dompteur der Baulöwen

Senatsbaudirektor Stimmann geht in Ruhestand. Kein anderer Beamter prägte das neue Berlin wie er Sein größtes Werk ist der Potsdamer Platz. Der Tagesspiegel würdigt seine Arbeit mit einem Symposium

Der Senatsbaudirektor und Staatssekretär für Stadtentwicklung Hans Stimmann zieht sich im Herbst nach 15 Jahren zurück. Damit endet eine der aufregendsten Phasen der Berliner Stadtbaugeschichte. Denn der Mauerfall und die Wiedervereinigung der beiden Halbstädte erforderten ein gewaltiges Bauvolumen. Mit einem dreiteiligen Symposium will der Tagesspiegel eine Bilanz ziehen. Anhand dreier markanter Orte soll über Chancen, Gelingen, aber auch versagte Wünsche und Grenzen des Städtebaus diskutiert werden. Teil 1: Der Potsdamer und Leipziger Platz.

Als sich Daimler-Chrysler mit Edzard Reuter an der Spitze schon vor der Wende entschloss, in der mauerbedingten Wüstenei am ehemaligen Potsdamer Platz mit der Debis-Zentrale ein Fanal zu errichten und die Entwicklung der am Rand des Todesstreifens dahindämmernden Stadtbrache voranzutreiben, hatten die Konzernoberen noch ganz eigene Vorstellungen. Als es dann ans Projektieren ging, konnte man sogar das Zusammenwachsen mit Berlin-Mitte einplanen.

Aber da betrat Hans Stimmann im Mai 1991 die politische Bühne. Die Ausschreibung für den Wettbewerb durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war zwar bereits formuliert, doch der neue Senatsbaudirektor brachte die Planungshoheit rasch und entschieden an sich, zunächst durch die gezielte Auswahl von 16 Architektenteams, die im Juni zu dem beschränkten Wettbewerb eingeladen wurden. Stimmanns städtebauliche Grundüberzeugung gebot ihm entschiedene Einflussnahme auf das bedeutendste Bauvorhaben der wiedervereinigten Stadt. Nicht immer mit der vorbehaltlosen Rückendeckung seines eher politisch agierenden Senators Wolfgang Nagel bezog er eine kompromisslose Position, die oft genug im Widerspruch zu jener der Investoren stand. Die haben zu bauen, was die Senatsverwaltung vorgibt, so sein Credo.

Gleich in der ersten Jurysitzung machte er keinen Hehl daraus, dass den milliardenschweren Investoren in diesem Verfahren nur ein Beobachterstatus zugestanden sei. Eloquent und hartnäckig, fachlich beschlagen und allzeit gut vorbereitet, majorisierte er wie in seiner Amtszeit auch dieses erste Preisgericht. Das Ergebnis, der Entwurf von Hilmer und Sattler, entsprach Stimmanns Vorstellungen von der „Europäischen Stadt“, die er rasch zur Doktrin verfestigt hatte. Es geht dabei um die Rückbesinnung auf den Städtebau des 19. Jahrhunderts, um das „Gedächtnis der Stadt“, um die Wiedergewinnung der Straßen- und Platzräume durch Blockrandbebauung, um durchgängige, moderate Bauhöhen und um ein urbanes Stadtleben in diesen öffentlichen Straßen.

Den Investoren Debis, Sony, ABB und Hertie behagten die Pläne keineswegs. Zu konservativ, zu uninspiriert und unflexibel, so ihr Urteil. „Sie haben hier keine Stimme“, musste sich jedoch der Daimler-Benz-Vorstandsvorsitzende Werner Breitschwerdt vom Senatsbaudirektor abkanzeln lassen. Das ganze Vorhaben drohte zu scheitern (nicht zum einzigen Mal). Nun war der Zeitpunkt gekommen, einen geheim gehaltenen Gegenvorschlag von Richard Rogers zu präsentieren, den die Investoren in Auftrag gegeben hatten. Der Druck zeigte Wirkung, neue Gespräche fanden statt und führten zu einer Aufweichung der Planvorgaben von Hilmer und Sattler.

Zunächst schrieb Sony seinen Bauwettbewerb aus und kürte Helmut Jahn aus Chicago als Sieger. Mit Jahns Stahl- und Glas-Architektur, der auftrumpfenden Baugestalt und dem privaten öffentlichen Raum unter dem Zeltdach konnte sich Stimmann nicht anfreunden. Er war dagegen, dass das Sony-Areal von nur einem Architekten gestaltet wird. Gleichwohl waren hier Kräfte am Werk, die sich gegen ihn durchzusetzen vermochten. Renzo Piano gewann den Architekturwettbewerb des Debis-Areals, diesmal eher in Stimmanns Sinn.

Doch kurz darauf entspann sich ein weiterer Disput. Debis und die ECE als Betreiber des geplanten Einkaufszentrums wollten eine geschlossene Passage entwickeln, Stimmann hingegen bestand auf offenen Straßen. Damals malten altlinke Stadttheoretiker den Großinvestoren das Schreckbild vom privatisierten öffentlichen Raum aus, in dem Privatsheriffs rigoros für Ordnung sorgen und für „normales Stadtleben“ mit weniger kaufkräftigem Publikum oder gar Straßenmusikanten kein Platz ist.

Nachdem sich Debis und ECE soweit durchsetzen konnten, dass doch ein überdachtes Einkaufszentrum, die „Potsdamer Platz Arkaden“, gebaut wurde, ging es Stimmann nun darum, diesem den Charakter einer überdachten Straße zu verleihen. Nicht das Interieur eines Kaufhauses, sondern eine Flanierstraße war sein Ziel. Damit konnte er sich durchsetzen, sehr zum Vorteil des Quartiers, wie heute alle Beteiligten einräumen.

Inzwischen sind die Kritiker leise geworden. Niemand spricht mehr von einem unorganischen, synthetischen Stück Stadt. 70 000 Besucher täglich stimmen mit den Füßen ab und bezeugen, dass das Quartier zu einem Aktivposten der Stadt und international zu einem Vorzeigeprojekt geworden ist. Senatsbaudirektor Stimmann hat seinen Anteil an diesem Erfolg und der gehört zu den erfreulicheren Resultaten seiner Amtszeit.

POTSDAMER PLATZ

Am Donnerstag, 8. Juni, diskutieren Eberhard Diepgen, einst Regierender Bürgermeister, der Bauherr Hans-Jürgen Ahlbrecht (Daimler-Chrysler) und der Architekt Hans Kollhoff. An diesem wie an den anderen beiden Abenden des Symposiums moderiert der Architekturkritiker Gerwin Zohlen. Beginn jeweils um 19 Uhr im Lichtburgforum der Gartenstadt Atlantic, Behmstraße 13, U/S-Gesundbrunnen. Eintritt frei, Anmeldung: 499 88 151.

FRIEDRICHSTRASSE

Am Donnerstag, 15. Juni, diskutieren Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD), Stadträtin Dorothee Dubrau (Grüne) und die Dussmann-Geschäftsführerin Martina Tittel.

PARISER PLATZ

Am Donnerstag, 22. Juni, diskutieren die CDU-Bundestagsabgeordnete Monika Grütters, Ex-Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) und der Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm.

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