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Berlin: Der konsequente Reformer

Die WM verlief ohne Zwischenfälle, der 1. Mai war friedlich. Polizeipräsident Dieter Glietsch ist mit neuen Strategien erfolgreich

Das hat ihn verletzt. Als die Polizeigewerkschaft GdP dem Polizeipräsidenten vor ein paar Monaten vorwarf, er habe aus politischen Gründen die Kriminalitätszahlen schöngerechnet, da war für Dieter Glietsch die Schmerzgrenze erreicht. „Das hat nicht nur mich, sondern auch die für die Kriminalstatistik verantwortlichen Mitarbeiter getroffen, weil es ehrenrührig ist“, sagt der ruhige Mann mit dem sorgfältig gekämmten grauen Scheitel. Vier Jahre ist er jetzt im Amt. Als bloßer Vollstrecker politischer Vorgaben hat er sich nie verstanden, auch wenn er ein SPD-Parteibuch hat. „Ich habe in den vier Jahren niemandem Veranlassung gegeben, mir solch einen Vorwurf zu machen“, sagt er, und seine sonst so sanfte Stimme wird härter. „Im Gegenteil: Ich habe immer Wert darauf gelegt, auch öffentlich deutlich zu machen, womit wir nicht zufrieden sein können.“

Transparenz und der offene Umgang mit eigenen Fehlern gehören zu den erklärten Prinzipien, mit denen Glietsch 2002 oberster Polizist des Landes wurde. Ein weiterer Begriff, den er von Anfang an zum Prinzip erhob, lautet: Deeskalation. Mit dieser Strategie half er gemeinsam mit einem Bündnis Kreuzberger Bürger den 1. Mai zu zivilisieren und brachte Großereignisse wie zuletzt die Fußball-WM weitgehend reibungslos über die Bühne. Andere Veranstaltungen wie der Christopher Street Day am Sonnabend waren für ihn und seine Leute dagegen eine leichte Übung.

Als sein alleiniges Verdienst mag Glietsch die Erfolge der letzten Jahre nicht sehen: „Ich habe sicher meinen Anteil daran, aber es ist eine Gemeinschaftsleistung der Berliner Polizei“, sagt der 59-Jährige und schaut durch die randlose Brille auf den grünen Hof des Polizeipräsidiums am Platz der Luftbrücke. Dass er und seine Mitarbeiter jetzt viel Lob für den glatten Ablauf der WM und für die meist als gelassen erlebten Einsatzkräfte erhielten, ist für den Behördenchef der Lohn einer langen Aufbauarbeit, die er mit Rückendeckung des SPD-Innensenators Ehrhart Körting geleistet habe. „Das ist nicht durch gute Einsatzvorbereitung allein zu erreichen, sondern Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung.“ So unscheinbar und zurückhaltend er auf den ersten Blick wirkt, so beharrlich und zäh kann Glietsch für seine Ziele arbeiten.

Seine Berliner Zeit begann im Mai 2002, da wurde der einstige Streifenbeamte und Inspekteur der Landespolizei in Nordrhein-Westfalen vom Abgeordnetenhaus gewählt. Seitdem hat Glietsch die Berliner Polizei so grundlegend reformiert, dass es langjährige Kritiker der Behörde in Staunen versetzt. „Was er in den vergangenen vier Jahren im Polizeiapparat bewegt hat, hätten viele nicht für möglich gehalten“, sagt Steffen Zillich, Innenpolitiker der Linkspartei/PDS und einer der Organisatoren des 1.-Mai-Fests am Mariannenplatz. „Er hat uns angenehm überrascht“, sekundiert SPD-Innenpolitikerin Heidemarie Fischer. „Er hat den Polizeiapparat modernisiert und Ruhe in die Behörde gebracht, die lange von Intrigen und Durchstechereien geprägt war.“ Volker Ratzmann von den Grünen lobt Glietschs „verbindliche Offenheit“ und dessen „stringenten, unaufgeregten“ Stil, mit dem er die Berliner Polizei so reformiert hat, wie es gerade Grüne und PDSler kaum erwartet hätten. Und auch die FDP sieht es vor allem als das Verdienst von Glietsch an, „dass der Berliner Polizei keiner etwas vormacht“, was die Handhabung schwieriger Großveranstaltungen angeht, sagt FDP-Innenpolitiker Alexander Ritzmann.

Die CDU sieht den Polizeipräsidenten ambivalenter und hält ihm zu große Nähe zu SPD-Innensenator Körting vor. „Er ist ein fleißiger, freundlicher Beamter ohne Esprit und Ausstrahlung – was genau zu diesem Senat und seinem Innensenator passt", sagt CDU-Innenpolitiker Frank Henkel. Er, aber auch FDP-Mann Ritzmann, verübeln dem Polizeipräsidenten vor allem, dass er sich nicht offen gegen Stellenstreichungen und Sparmaßnahmen gestellt habe.

Seit seiner Ernennung hat Glietsch in enger Zusammenarbeit mit seinen Führungskräften Hierarchien verschlankt, Führungsebenen abgebaut, er gab Direktionen und Abschnitten mehr Verantwortung, warb bei seinen Mitarbeitern für neue Konzepte im Umgang mit alten Problemen wie dem 1. Mai. Und er führte eine Kultur des offenen Umgangs mit eigenen Fehlern ein. Für Glietsch ist das selbstverständlich, auch wenn er sich damit in seiner Behörde nicht nur Freunde gemacht hat: „Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, dass wir Fehler eingestehen und zeigen: Wir sind bereit, daraus zu lernen“, sagt er. Glietsch spricht sorgfältig, scheint jedes Wort abzuwägen. Vielleicht auch, weil er mit einem jahrelang gepflegten Selbstbild der Berliner Polizei bricht, wenn er sagt: „Das Einräumen von Fehlern ist ein Zeichen von Größe und Stärke, es muss deshalb nicht bestraft, sondern belohnt werden.“ Unter seinen Mitarbeitern hat diese Linie Unruhe ausgelöst. Der Polizeipräsident übertreibe es mit dem öffentlichen Anprangern echter oder vermeintlicher Fehler seiner Beamten, heißt es. Die Linie, auch Verdachtsmomente gegen Polizisten öffentlich zu machen und hart zu verfolgen, halten manche für übertrieben.

Einen „zivilen Geist“ habe Glietsch in die Polizei gebracht, lobt hingegen PDS-Mann Zillich. Wie schafft man so etwas in einer Behörde mit 23 000 Mitarbeitern, die lange für einen ruppigen Stil bekannt war? „Man kann Anstöße geben, Vorstellungen haben – aber die müssen mitgetragen werden von vielen anderen, die Führungsverantwortung in der Behörde haben“, sagt Glietsch. „Das ist ein Prozess von Jahren.“ So wie das neue Leitbild, das den Umgang mit Provokationen am 1. Mai prägt. Glietschs Credo hat sich in der Polizei durchgesetzt, freut er sich: „Man kann Deeskalation und Gelassenheit sehr wohl verbinden mit konsequentem, schnellem und angemessenem Einschreiten bei Gewalt.“

Prävention ist ein anderes Lieblingswort des Polizeichefs. Gerade weil seine Behörde nicht von den Sparzwängen verschont bleibt, legt er großen Wert auf die Zusammenarbeit mit Schulen, Jugendämtern und anderen Verantwortlichen, um Gewaltkriminalität im Ansatz zu verhindern. „Unsere Präventionsarbeit werden wir weiter ausbauen“, kündigt er an, ebenso die Zusammenarbeit mit der Justiz bei jungen Gewalt- und Intensivtätern. Dass er trotz Personalknappheit dafür die nötigen Mitarbeiter hat, ist einer der Nebeneffekte der Polizeireform, sagt Glietsch. „Wir setzen unser geringer gewordenes Personal sehr viel gezielter und stärker an Zielen und Belastung orientiert ein als früher.“

Jüngstes Beispiel für gelungene Prävention ist für Glietsch, dass während der Fußball-WM von den 1000 Berliner Hooligans überraschend wenig zu sehen war. Das ist nicht alleine mit den so genannten Gefährderansprachen für bekannte Gewalttäter zu erklären, sagt Glietsch, also mit den Besuchen durch Polizisten, um sie zu erinnern, dass man sie im Blick hat. Schon im Herbst 2005 habe die Polizei eine zusätzliche Einheit für den WM-Einsatz gebildet, die sich um potenzielle Gewalttäter kümmert. „In der Hooligan-Szene ist sehr früh der Eindruck entstanden, dass diese gut geschulte Einheit auch über sehr gute Personen- und Sachkenntnis verfügt und überall präsent ist. Es war praktisch unmöglich, hier unerkannt Krawall zu veranstalten.“ Die Botschaft kam offenbar an.

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