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Berlin: Der Name ist Markenzeichen - bei Jürgen Rausch besteht selbst der Reichstag aus Schokolade

Rausch-Rekorde - die größte Praline, der größte Osterhase, der größte WeihnachtsmannKatja Füchsel Egal, ob der Firmenchef im Auto sitzt, mit dem Mountainbike fährt oder zu Bett geht - in seiner Reichweite liegt stets das Diktiergerät. Und immer wenn Jürgen Rausch einen Einfall hat, kommt es zum Einsatz.

Rausch-Rekorde - die größte Praline, der größte Osterhase, der größte WeihnachtsmannKatja Füchsel

Egal, ob der Firmenchef im Auto sitzt, mit dem Mountainbike fährt oder zu Bett geht - in seiner Reichweite liegt stets das Diktiergerät. Und immer wenn Jürgen Rausch einen Einfall hat, kommt es zum Einsatz. "Eierlikör-Pastete", spricht er dann als Gedächtnisstütze ins Mikro. Oder: "Zahnfreundliches Marzipan". Jürgen Rausch hat ständig irgendwelche Ideen, seine kreativsten Stunden verbringt er nach eigenem Bekunden allerdings im Büro - zwischen sechs und acht Uhr morgens. "So waren mein Vater und Großvater nicht", räumt die vierte Generation der Schokoladen-Dynastie ein. "Das waren ganz normale Büromenschen."

Erbe ist aber das Verlangen nach dem familieneigenen "Rausch"-Mittel: der Schokolade. "Ohne Ausnahme waren in unserer Familie alle Schokoholics", sagt Rausch. Er selbst esse täglich Schokolade. Weil sie schmeckt, ruhig und glücklich macht, beteuert der 51-Jährige. "Das ist wissenschaftlich erwiesen." Tatsächlich vermittelt der Unternehmer einen durchaus gelassenen Eindruck - trotz des langen Arbeitstages und des Endspurts am Gendarmenmarkt. "Am Donnerstag eröffnen wir am Platz das größte Schokoladengeschäft Deutschlands", sagt der Inhaber der Privat-Confiserie. Das neue Geschäft wird unter dem Namen "Rausch Fassbender" firmieren. Die 1863 gegründete Firma Fassbender, die sich als preußischer Hoflieferant einen Namen machte, hat Rausch samt aller Rezepturen vor zehn Jahren gekauft.

Am Gendarmenmarkt will man ab Donnerstag aber nicht nur Pralinen verkaufen. "Das Geschäft soll zum Treffpunkt aller geheimen Schokoholics werden." Eine Schoko-Art-Ausstellung wird die Schaufenster schmücken: mit dem Reichstag aus Schokolade, dem Brandenburger Tor, der größten Praline der Welt, einem Engel aus weißer Schokolade... Wer die Confiserie betritt, kann zwischen den Verkauftresen historische und moderne Geräte für die Schokoladenproduktion begutachten oder eine Tasse Trinkschokolade nach alter Rezeptur zu sich nehmen.

Es war Jürgen Rauschs Urgroßvater, der 1890 in Velbert seine erste Konditorei, gewissermaßen den Vorläufer der Rausch-Confiserie, gründete. Denn auch der Sohn, Wilhelm Rausch junior, erlernte das Konditor-Handwerk und gründete anschließend in Berlin die Firma Rausch. Spezialität: Feinste Pralinen, Schokoladen und Honigkuchen. 1926 ging Rausch junior in die Schokoladen-Geschichte ein, als er die hauchfeinen, 1,2 Millimeter dünnen Schokoladen-Täfelchen erfand. Bei den Kunden geriet das Original fünfzig Jahre später in Vergessenheit: Sie kauften ihre Täfelchen lieber beim Konkurrenten Lindt, nicht mehr bei Rausch. Jürgen Rausch dankte diese Untreue auf seine Art: "Wir haben die Produktion vor 15 Jahren eingestellt."

Überhaupt reagiert der Firmenchef auf die Kaufgewohnheiten seiner Kunden alles andere als nachsichtig. Als vor einigen Jahren ein Hersteller seine Tafelschokolade zum halben Preis auf den Markt warf und die Käufer in Scharen zugriffen, musste Rausch handeln: Entweder bei der Herstellung auf die vier bis fünf Mal teurere Edelkakao-Bohne verzichten oder: "Die Produktion einstellen." Über vierzehn Jahre führte Rausch keine Schokoladen-Tafeln im Sortiment. Erst als sich wieder genügend Liebhaber fanden, die bereit waren, für eine Tafel etwas mehr Geld auszugeben, gab Rausch nach. Inzwischen gebe es eine "klare Tendenz zur Qualitätsschokolade". Ein Trost für alle Täfelchen-Liebhaber: "Auch für sie ist ein Comeback nicht ausgeschlossen."

1952 übernahm Gerhard Rausch das Familienunternehmen und gründete mit seinen Geschwistern Ilse und Willi die Rausch-Schokoladen-Fabrik. Zum 50-jährigen Bestehen eröffneten die Drei dann an der Wolframstraße in Tempelhof ihre neue, die gläserne Schokoladen-Fabrik. Als Gerhard Rausch drei Jahre später mit einem Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus musste, sprang 1971 sein Sohn Jürgen Rausch ein - und blieb bis heute im Betrieb. Ein zuvorkommender, freundlicher Mann, der von sich sagt: "In bin in der Branche gefürchtet, einer der Kreativsten zu sein."

Wer die Rausch-Chronik durchblättert, stösst in jüngster Zeit immer wieder auf Rekorde. Jürgen Rausch entwickelt die erste Pralinen-Mischung ganz ohne Alkohol, heißt es da etwa. Oder eben das zahnfreundliche Marzipan ohne Zucker. Im Jahre 1998 baute Rausch nicht nur den größten Osterhasen der Welt (104 Kilogramm), sondern auch die größte Praline (266 Kilogramm) und den größten Weihnachtsmann (150 Kilogramm). Die Fabrik in der Wolframstraße dient inzwischen vor allem als "kreative Stube" des Unternehmens, in der experimentiert und die Ware für die sechs Berliner Rausch-Läden hergestellt wird. 350 verschiedene Pralinen und Trüffel umfasst das Sortiment. Die Pralinen für die Handelspartner des Unternehmens kommen seit 1982 aus Niedersachsen, wo Rausch in einer sehr viel größeren Fabrik produzieren lässt.

Die gläserne Fabrik in Tempelhof wird tagtäglich von Schulklassen besucht, die an einem Vormittag zu Experten in Sachen Schokolade gemacht werden: Schon vom Verkaufsraum aus können die Kinder den Meistern beim Arbeiten über die Schulter sehen, im "Schoko-Kino" erfahren sie etwas über die Geschichte des Kakaos, im "Schoko-Museum" über die Herstellung. Nur der im Foyer ausgestellte Reichstag, der die Rausch-Mitarbeiter 492 Arbeitsstunden gekostet hat, ist mittags in der Regel um ein paar Giebel ärmer. "Die Kinder testen öfter heimlich, ob das auch echte Schokolade ist." Die Vormittage kommen in den Schulen offenbar an: Schon lange sind die Führungen bis ins nächste Jahr ausgebucht. Den Aufwand veranstaltet Rausch nach eigenem Bekunden nicht nur aus Gründen der Werbung. "Wir wollen die Dinge nicht so oberflächig betreiben", sagt er und meint seine gesamte Geschäftsphilosophie.

Der Zutritt zur gläsernen Fabrik bleibt den Schulklassen verwehrt. Aber wer glaubt, dass in der Halle Maschinen lärmen, irrt. Lautlos rotiert die "Hohlkörperschleuderanlage" die Schokolade zum Weihnachtsmann, still schicken Fließbänder die Pralinen in eine Röhre zum Kühlen. Hier trifft sich Jürgen Rausch jeden Tag mit seinen Meistern, um alte Rezepturen zu verkosten und neue Kreationen passend zu garnieren. "Das macht Riesenspaß." Hat denn sein stetes Pochen auf Qualitätsprodukte auch etwas mit Selbstschutz zu tun? Rausch grinst. Und antwortet diplomatisch. "Es gibt Hersteller, die ihre Produkte nicht mehr kosten."

Jürgen Rausch war 15 Jahre alt, als ihm sein Vater die entscheidende Frage stellte. Der Sohn musste nicht lange überlegen. "Ja, ich will so werden wie du", sagte Jürgen Rausch und entschied damit die Nachfolge im Hause. Sein 12-jähriger Sohn Robert kann sich mit seinem Beschluss noch etwas Zeit lassen. Die Chancen, dass auch der nächste Chef im Unternehmen wieder Rausch heißen wird, stehen gar nicht schlecht. "Robert ist genauso ein Schokoladen-Fan wie ich."

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