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Berlin: Der „Onkel“ zog die Fäden

Im August 2002 besetzten sie die irakische Botschaft – jetzt beginnt der Prozess. Anführer steuerte Aktion von außen

Diese jungen Leute. Um halb drei hatte er sie vor der Zehlendorfer Villa abgesetzt, jetzt klingelt ständig in seinem Auto das Telefon. Allein kommen die fünf Männer mit der Besetzung der irakischen Botschaft offenbar nicht zurecht. „Die schießen“, ruft erst einer der Besetzer ins Telefon, sie hätten „ein Problem“. Also verständigt der „Onkel“ die Polizei. Wenig später noch „ein Problem“: Der Botschafter beginne zu weinen. Da ordnet der „Onkel“ an, die Geiseln „wie Brüder“ zu behandeln, ihnen Tee und Kaffee zu servieren.

So jedenfalls erzählt es Mithal al-Alusi, 52. So wird er voraussichtlich am Mittwoch die Besetzung der irakischen Botschaft beschreiben, wenn der Prozess im Moabiter Kriminalgericht beginnt (siehe Kasten). Alusi gilt als Chef der Truppe, die am 20. August vergangenen Jahres die Villa in der Riemeisterstraße stürmt. Mit Äxten und Gaspistolen bewaffnet. In den Rucksäcken sind Proviant, eine Pressemitteilung, Klebeband und zwei Transparente verstaut: „Tod Saddam“, steht darauf, wenig später flattern sie an der Botschaft. Sie hatten es sich alles ein wenig anders vorgestellt: Zwei Wochen lang wollten die Männer die irakische Botschaft besetzt halten, ins Licht der Weltöffentlichkeit rücken. Und so die „Befreiung Bagdads“ einleiten, den Sturz Saddams. Doch nur fünf Stunden später stürmten die Männer vom SEK die Villa und drückten die Gesichter der Exil-Iraker in den Staub.

Den sechs Männern auf der Anklagebank drohen langjährige Gefängnisstrafen, aber sie fühlen sich nicht als Verbrecher, sondern als Revolutionäre. Die Biografien ähneln sich: Fast alle sind zwischen 30 und 40, verheiratete Familienväter, ohne Vorstrafen, seit März 2002 in Deutschland. Einer von ihnen ist Mathematiker, Enkel eines hingerichteten Luftwaffengenerals. Ein anderer soll einer Politikerfamilie entstammen und hat nach eigenen Angaben durch das Regime bereits acht Familienmitglieder verloren.

Alusi ist bereits seit 25 Jahren in Deutschland. Er hat sein Leben dem Kampf gegen Hussein gewidmet, betreut seit Jahren die Flüchtlinge aus Bagdad. „Immer wenn er zu Besuch kam, wurde er von den Irakern wie Gott behandelt“, erzählt eine Sozialarbeiterin im Asylbewerberheim Spremberg. „Man hielt ihm die Türen auf, trug die Tasche…“ Mal sei Alusi im Golf vorgefahren, mal im Mercedes oder Alfa Romeo. Er sei stets „besser gekleidet“ gewesen als seine Landsleute, kräftig gebaut, mit Schnurrbart und Brille.

Er nennt sie die „jungen Leute“, sie nennen ihn „Onkel“. Alusi, der als Beruf Kaufmann angibt und in Hamburg ein Geschäft namens Orient Moden führt. Im Sommer kommen die Exil-Iraker auf die Idee mit der Botschaft, Alusi zeigt sich stolz auf den politischen Nachwuchs: „Ihr habt meinen Segen!“ Nachdem er die Männer vor der Botschaft abgesetzt hat, fährt er zurück nach Hamburg.

Zumindest in einem Punkt geht die Rechnung auf: Die Welt schaut zu. Nach einer halben Stunde bevölkern Journalisten aus allen Ländern das beschauliche Villenviertel. Doch weil die Polizei die Botschaft weiträumig abgesperrt hat, bleiben sie auf Spekulationen und Verlautbarungen angewiesen. Derweil verrammeln drinnen die Besetzer den Eingang des Hauses mit Tischen und Schränken, fesseln dann den Botschafts-Chef sowie seinen Stellvertreter mit Klebeband.

Um 19.45 Uhr ist der Spuk vorbei, die Geiseln kommen mit einem Schrecken, Schürfwunden und geröteten Augen davon. Seit Alusi im Gefängnis sitzt, hat er viele Briefe geschrieben. An den amerikanischen Präsidenten. An den deutschen Bundeskanzler. An Chefinspektor Blix. Die Uno. Außerdem ist er in den Hunger- und Durststreik getreten, offiziell jedenfalls. Weil Alusi aber nicht drastisch abnahm, ahnte es die Anstaltsleitung schon, dann ertappte sie ihn, als er heimlich Tütensuppen und Duplos bestellte.

Auch am Mittwoch wird Alusi versuchen, die Weltpolitik in Saal 700 zu holen – Hussein, Bush, den Krieg. Von den Verteidigern wird der Angeklagte vermutlich als Freiheitskämpfer beschrieben werden, als ebenbürtig mit den Heydrich und Hitler-Attentätern. Eines sei doch offensichtlich: „Die Angeklagten hatten kein minder ehrenwerteres Fernziel, nämlich die gewaltfreie Befreiung des Iraks.“

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