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Berlin: Der Saulus war immer ein Paulus

Bundespräsident Johannes Rau wird Ehrenbürger der Stadt und offenbart in einer großen Rede seine schon ewig währende Liebe zu Berlin

Stehender Applaus für den neuen Ehrenbürger, der sich vor knospenden Frühlingszweigen verneigt. Die letzten Noten des Bläserquintetts schweben noch über der Gesellschaft. Sieht so das Happy Ending einer klassischen Wandlung vom Saulus zum Paulus aus? Der Festakt zu Ehren von Bundespräsident Johannes Rau mit seinen tief in die Vergangenheit wandernden Reden offenbarte anderes. So ein ganz schlimmer Saulus war er offenbar nie. Auf Anhieb ist die Geschichte dennoch zu schön: Man kann sich zu Wuppertaler Wurzeln bekennen und trotzdem, wie der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit es formulierte, ein überzeugter Berliner werden.

Das machte Johannes Rau sehr deutlich in einer fulminanten Rede, die aus Sicht von Eberhard Diepgen, der in der Debatte um den Hauptstadtsitz damals sein Kontrahent war, die Ehrenbürgerschaft erst richtig begründete. „Was immer in meinen Möglichkeiten steht, will ich tun, dazu beizutragen, dass unser Land sich in seiner Hauptstadt abbildet und wiederfindet und dass jeder ein wenig Stolz empfindet, wenn im Ausland von Berlin gesprochen wird und Deutschland gemeint ist“, definierte Rau die Verpflichtung, die er aus der neuen Würde in die Zukunft mitnimmt.

Die Wandlung vom „Vernunft-Berliner“ zu einem „stillen, aber engagierten Berlin-Liebhaber“ hatte Klaus Wowereit zuvor genüsslich ausgemalt. Wenn ein ehemaliger Bonn-Befürworter lerne, diese Stadt zu lieben, sei das schließlich das höchste Kompliment. Seine von urbanem Selbstbewusstsein geprägte Ironie brachte ihm prompt eine Einladung nach Wuppertal ein.

Rau, der Brückenbauer, der auch Ehrenbürger von Bonn ist, hat Wuppertal immer schon hinter sich lassen können. 1968 sollte er am Ostermontag an einer Diskussion in der Gedächtniskirche teilnehmen, Thema: „Der Kompromiss als ethisches Prinzip“. Es sei dann aber um etwas ganz anderes gegangen: „Vier Tage zuvor war Rudi Dutschke erschossen worden.“ Bei ihm ging es immer zuerst um die Menschen. Wowereit erinnerte daran, wie Rau schon in den 50er Jahren nach Ost-Berlin reiste, um sich dort mit jungen Christen zu treffen. Später war er der erste westdeutsche Ministerpräsident, der Ost-Berlin besuchte, ein für die SED-Mächtigen unbequemer, aber wegen seiner Ehrlichkeit und Verbindlichkeit doch hoch geschätzter Gesprächspartner: „Sie haben sich auch damals still und effektiv für bedrängte Menschen eingesetzt“, sagte Wowereit.

In den Wochen unmittelbar nach dem Mauerbau war Rau ebenfalls in Berlin, um dem späteren Bischof Kurt Scharf zu helfen, der plötzlich von seiner Ost-Berliner Wohnung abgeschnitten war: „Stück für Stück habe ich wichtige Unterlagen in täglichen Fahrten nach West-Berlin geholt. Mochten die Ost-Berliner Grenzbeamten dem nordrhein-westfälischen Abgeordneten auch mit Misstrauen begegnen – sie ließen ihn doch unbehelligt.“ Auch andere persönliche Erinnerungen aus Schülerarbeit, Kirche und Politik, die Verbundenheit mit früheren Regierenden Bürgermeistern wie Willy Brandt, Heinrich Albertz, Klaus Schütz, Walter Momper, Richard von Weizsäcker haben dazu beigetragen, dass er sich lange vor dem gestrigen Ehrentag „diese Stadt angeeignet“ hat.

Wie keine andere symbolisiert Berlin für Rau „den Spannungsbogen deutscher Geschichte“: Berlin, das sei auch „die Stadt der Propagandarede – aber den längeren Atem hatte das Kabarett.“ Für den passionierten Anekdotenerzähler ein ideales Zuhause: „Keine Stadt hat im vergangenen Jahr so viel Wandel, so viel Aufbruch, so viel Zuversicht erlebt wie Berlin.“ Das sei ein Teil der Realität, die viel zu oft ausgeblendet werde: „Berlin, das ist Begegnung und Neubeginn, Magnet für die Jugend und kulturelles Experimentierfeld.“ Für ihn persönlich ist Berlin ein Ort der Begegnung von Menschen aus aller Welt, „aber auch die Stadt, in die meine Kinder erst nicht ziehen wollten, aus der sie jetzt aber nicht mehr weg wollen.“ Johannes Rau will Wuppertal nicht den Rücken kehren, aber auch nach dem Ende der Amtszeit „mehr als nur einen Koffer in Berlin haben“. Die Wohnungssuche läuft bereits. Das neue Domizil sollte möglichst so liegen, dass es die jüngste Tochter nicht zu weit zu ihrer Schule hat, erzählte Christina Rau. Deren vielfältiges Engagement in der Stadt hob Klaus Wowereit gegen Ende seiner Rede unter großem Zwischenbeifall auch hervor.

Haben sich über die Jahre die Gefühle für die Stadt verändert? Beim anschließenden Empfang schüttelt Johannes Rau verneinend den Kopf. Auf einer persönlichen Ebene sind es eben immer die Begegnungen zwischen den Menschen, die zählen, und an denen war nie ein Mangel. Auf der nationalen Ebene haben sich die Herausforderungen verändert, und so bleibt dann vielleicht doch etwas übrig von der Gestalt, die sich vom Saulus zum Paulus wandelt. Als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident mit vielfachen Verwurzelungen in der Region musste Rau damals für Bonn stimmen, begründete das aber mit der höheren Priorität einer schnellen Hilfe für die neuen Bundesländer.

Von Anfang an hat er allerdings dafür geworben, zu der einmal gefallenen Entscheidung fest zu stehen. Dass er nun „mit der Autorität des höchsten Staatsamts die Hauptstadtfrage auf die politische Agenda gesetzt“ habe, dafür dankte Wowereit dem Ehrenbürger besonders herzlich. Dessen Antwort wies schon in die Richtung seines künftigen Engagements: „Wir müssen die Funktion von Berlin als Bundeshauptstadt definieren. Das kann nicht einfach im Länderfinanzausgleich miterledigt werden. Berlin hat spezielle Aufgaben, zu denen alle stehen sollten.“

Beim anschließenden Empfang mit politischen, kulturellen und kirchlichen Würdenträgern war der neue Ehrenbürger umringt von Gästen, die ihn für die Mitarbeit an diversen Initiativen und Projekten gewinnen wollten. Das Beispiel Johannes Rau zeige, so der Regierende Bürgermeister, dass „Berlin die Menschen bewegt“. Da trifft es sich gegen Ende seiner Amtszeit als Bundespräsident glücklich, dass Johannes Rau offenbar auch Berlin bewegen will – und zwar nach vorne.

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