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Berlin: Der schöne Schein trügt

Am Richardplatz bekam die NPD viele Stimmen Aber Neuköllns Bürgermeister bleibt gelassen

Die beiden Frauen, die die Richardstraße in Neukölln entlang gehen, tragen Kopftücher. Eine schiebt einen Kinderwagen, an der Hand der anderen zerrt eine vollgepackte Einkaufstüte. Die beiden Frauen erinnern an ein Plakat der rechtsextremen NPD: darauf zu sehen muslimische Frauen, die mit Sack und Pack die Straße hinunterziehen. Dann der Slogan: „Gute Heimreise. Die Nationalen."

Hier, rund um den Richardplatz in Neukölln, im ehemals böhmischen Dorf Rixdorf, ist der Anteil der Ausländer hoch, so wie im gesamten oft stigmatisierten „Problembezirk“ Neukölln. Und die Rechtsextremen konnten offenbar die entsprechenden Ressentiments ausbeuten. 3,9 Prozent hat die NPD in Neukölln erreicht, das sind fast 4200 Stimmen. Mit 8,4 Prozent war der Stimmanteil für die NPD in dem Viertel mit seinen rund 11000 Bewohnern sogar am höchsten im Bezirk. Nun sitzen die Rechtsextremen mit zwei Kandidaten in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV).

Den Spirituosenhändler Heinz Sommerfeld überrascht das Ergebnis nicht. Der 68-Jährige sitzt hinter seinem Tresen und sagt: „Die gut bürgerlichen Familien sind hier alle weggezogen, als sie Kinder bekommen haben.“ Rixdorf mit seinem immer noch sehr dörflichen Charakter, wo er seit 30 Jahren seinen Laden betreibt, sei „mehr und mehr verkommen“. Viele Arbeitslose, Ausländer, Kriminalität. Das Viertel wird im Osten durch die Sonnenallee, im Westen durch die Karl-Marx-Straße begrenzt. Gerade hier mussten alteingesessene Einzelhändler schließen – stattdessen haben sich Billig-Läden wie der „Schnäppchenprinz“ breit gemacht.

Ein paar Meter weiter sitzt Marion Moustache vor ihrem „Second Hand Kinderladen“. Die Rastazöpfe fallen auf die Schultern. Über den Erfolg der Rechtsextremen kann sie nur lächeln. „Ist doch klar. Die Nazis wohnen doch hier“, sagt die 41-Jährige, die mit einem Afrikaner verheiratet ist. Sie erzählt, dass dort, wo am Richardplatz die Postleitzahl 12055 beginnt, dass „da nur Deutsche wohnen“.

Einer von ihnen ist Jan Sturm. Er wird künftig neben dem arbeitslosen Maurer Thomas Vierk für die NPD in der BVV sitzen. Sturm, arbeitsloser Kfz-Mechaniker, wird auf Internetseiten linker Gruppen als „Trinker aus dem Kneipenschlägermilieu“ beschrieben, der im Sommer eine linke Info-Veranstaltung in Neukölln gestört habe und in seiner Freizeit NPD-Aufkleber im Kiez verbreite.

„Die Leute, die rechts gewählt haben, sind nun mal ungebildet und nicht sehr weit aus ihrem Kiez herausgekommen“, meint Marion Moustache. Sie suchten für die prekäre Situation im Quartier einen Schuldigen – und das seien eben die Ausländer. „Und dann glauben sie, dass sie die durch die NPD loswerden.“

Was ist los im Kiez, dass die Rechten plötzlich in der BVV sitzen? Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) winkt ab: „Nix ist los. Von einer ,Explosion‘ neonazistischen Gedankenguts kann keine Rede sein“, sagt er und liefert Zahlen: 1989 holten die rechtsextremen Republikaner 17 000 Stimmen in Neukölln. „Und nun? Gerade mal knapp 4200 hat die NPD“, sagt er und erhebt die Stimme. Das seien „ein paar versprengte Irre“ gewesen. Stammtischklientel. Buschkowsky lehnt sich zurück, dann flüstert er fast: „Als ich das Heimreise-Plakat der NPD gesehen habe, da dachte ich: Au weia.“ Es hätte also viel schlimmer kommen können, meint er.

Eine Gefahr stellten die beiden NPD-Leute in der BVV nicht dar. „Die können keine großen Anträge stellen, sondern nur kleine Anfragen, und sie können sich an Diskussionen beteiligen. Damit haben sie nur einen begrenzten Einfluss“, sagt Buschkowsky. Die Republikaner, die in den 90-er Jahren in der BVV saßen, hätten gezeigt: „Intellektuell wird der Ball sehr flach gespielt.“ Nun wolle er sehen, ob sich die rechten Kandidaten in der BVV denn benehmen könnten: So, wie sie es von den Ausländern doch immer einfordern. Tanja Buntrock

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