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Jakob Ketzel sucht Äcker nach dicken Steinen ab und verwandelt sie in seinem Atelier zu Kunstobjekten.

© Robert Klages

Künstler Jakob Ketzel: Der Steinefischer von Spandau

Ein UdK-Studierender sammelt auf Feldern für seine Kunst. Er schleppt dicke Brocken in sein Atelier – ein Grundbedürfnis der Menschen, sagt er.

Irgendwo in Spandau, Staaken, Stadtgrenze, nicht weit entfernt stand mal die Mauer: Ein junger Mann in Turnschuhen läuft über die Felder der Bauern. Es ist ruhig, nur das Krähen eines Raben weht über die Landschaft. Bäume im Wind, es sieht nach Regen aus. Aber der junge Mann lässt sich Zeit. Ab und an kniet er sich hin und hebt einen Stein aus dem Acker, schaut ihn sich an, lässt ihn wieder fallen. Er sucht Größeres – und zieht bald einen Stein in den Ausmaßen eines menschliches Kopfes hervor. Er präsentiert ihn, als hätte er gerade einen großen Wels aus einem See gezogen.

„Die wirkten sehr surreal, ich habe mich gefragt, wo die herkamen.“

„Auch das ist ein Findling“, sagt Jakob Ketzel, Bildhauer und Konzeptkünstler, er studiert an der Universität der Künste (UdK) in Berlin. Es sei nicht einfach nur ein Feldstein von einem ehemaligen Steinbruch, einem Gebäude oder so. Sondern ein Gestein, das es hier eigentlich gar nicht gibt, das mal Teil eines Gletschers war. Aufgewachsen ist der 23-Jährige im Spandauer Ortsteil Staaken, so wie schon seine Urgroßmutter. Als Kind hat er an den Mauerresten gespielt. „Die wirkten sehr surreal, ich habe mich gefragt, wo die herkamen.“ Fürs Studium ist er dann aber näher in Richtung Uni gezogen, nach Charlottenburg.

Für die Findling-Suche kommt er zurück in die alte Heimat. Er erinnert sich dann an das Spannungsverhältnis in Spandau: Leben am Stadtrand, die City vor Augen. Man ist Berliner, aber dörflich aufgewachsen. Gelegentlich kamen die Jugendlichen aus den innerstädtischen Bezirken gern mal nach Spandau. Zum Feuermachen am Glienicker See beispielsweise.

Legten Elfen die Steine auf die Felder?

Und noch früher, als es noch kein Spandau gab, da konnten sich die Menschen die Herkunft der Steine auf den Feldern nicht erklären, erzählt Ketzel. Es gebe einige Märchen darüber. Elfen, Geister oder Wichtel hätten demnach die Steine auf die Felder gelegt, um die Bauern zu ärgern. Ketzel ist also ein guter Wichtel, er räumt die Brocken von den Feldern. Die Bauern freut’s.

Im Steinreich des Künstlers.

© privat

Die Steine stammen von einem Gletscher, das Geröll wurde in der Eiszeit von Skandinavien mitgeschleift und ist daher schon leicht rundlich. Sie kommen beim Pflügen der Felder an die Oberfläche. Manche Brocken haben daher gerade oder abgestoßene Seiten – da ist die Pflugschar durch. Wer das Ohr dranhält, der hört vielleicht, mit viel Fantasie, dass der Stein nicht ruht. Die Zeit, die er hier im Staakener Feld lag, ist marginal im Vergleich zu der Reise, die er genommen hat. Innerlich rauscht er noch – und wird seine Reise in Ketzels Atelier fortsetzen. Er ist jetzt Kunst, der Stein. Entnommen der Natur, poliert und kontextualisiert.

Obelix und seine Hinkelsteine

„Der Stein an sich ist für mich schon ein Kunstobjekt“, sagt Ketzel. So sei es auch mit der ersten Bildhauerei gewesen: Der Mensch platziert einen Stein und gibt ihm eine Bedeutung. Oder die Zen-Buddhisten, die einen Stein an einen Ort legen und ihn danach nicht mehr bewegen. Oder: Obelix und seine Hinkelsteine. Aber diese wurden schon behandelt – und sind natürlich um einiges größer als die in seinem Atelier.

Ketzel stellt aus, was er da aus den Äckern fischt. Poliert und behandelt sehen sie aus wie extraterrestrische Gegenstände. Nichts mehr zu sehen vom Acker. Manche schleift er auch an. In jedem Stein befinde sich ein kleines Universum, eine Geschichte, sagt er. „Aber diese Findlinge wurden ja von der Natur schon geformt.“ Wenn sie zu schwer für ihn werden, markiert er die Stelle im Feld und kommt mit einer Karre zurück.

Kritik an der Universität der Künste

Steine mit nach Hause zu nehmen sei ein Urbedürfnis der Menschen, sagt er lachend. Kein Stein gleicht dem anderen. Als Künstler will er den Brocken neue Bedeutungen zuschreiben und sie in verschiedenen Umgebungen ausstellen. Das auch kein Mensch dem anderen gleicht, macht Ketzel im Studierendenparlament der UdK deutlich. Die Hochschulen würden jedoch immer verschulter, kritisiert er. Die Werdegänge der Künstlerinnen und Künstler immer gleicher. Auch werde es in den Ateliers immer enger und knapper.

„Da ist so ein ominöser Druck entstanden. Man wird genötigt, schnell mit dem Studium fertigzuwerden.“ Die Zeit der Steine, sich selbst zu formen, selbst zu einem Kunstwerk zu werden – kaum ein Studierender hat sie mehr. Die wichtigsten Mittel der Kunst, Raum und Zeit – sie werden zusehends mehr zu knappen Gütern.

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