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Evo Morales, Präsident von Bolivien, bei seiner Rücktrittserklärung nach wochenlangen Protesten gegen ihn.

© Enzo De Luca/Agencia Boliviana de Informacion/AP/dpa

Krise in Bolivien: Der Sturz des Evo Morales

Evo Morales war weltweit ein Idol, aber er konnte nicht von der Macht lassen. Nun stürzt sein erzwungener Rücktritt das rohstoffreiche Land ins Chaos.

Evo Morales kehrt zu seinen Ursprüngen zurück, zum Kampf von der Straße aus. Am Sonntag ist er nach fast 14 Jahren als Präsident Boliviens auf Druck des Militärs zurückgetreten, niemand regierte länger in dem Andenstaat als das erste indigene Staatsoberhaupt. Nun gibt er wieder den Oppositionsführer. Gegen die weiße Oberschicht, die ihn angeblich gestürzt hat. Was er nicht sagt: Morales selbst hatte mit einer von Betrugsvorwürfen überschatteten Wahl den Zeitpunkt für einen würdevollen Abgang verpasst.

"Die Verschwörer Mesa und Camacho werden als Rassisten und Putschisten in die Geschichte eingehen", twittert Evo Morales am Montag. Er meint Carlos Mesa, der ihn im Amt beerben will, und den Anführer der so genannten Bürgerbewegung, Luis Fernando Camacho. Sein Haus sei attackiert worden, Minister seiner zurückgetretenen Regierung würden mit dem Tode bedroht. "Bolivien und die Welt sind Zeugen eines Putsches", betont Morales.

Das linksregierte Mexiko bot ihm Asyl an. Außenminister Marcelo Ebrard sagte, sein Land habe in der Botschaft in La Paz bereits 20 Angehörige der Regierung und des Parlaments aufgenommen. Morales will aber in Bolivien bleiben. "Der Kampf wird weitergehen."

Die Gegner von Boliviens Präsident Evo Morales feiern auf der Straße. Nach wochenlangen Protesten gegen ihn hat Morales seinen Rücktritt erklärt.
Die Gegner von Boliviens Präsident Evo Morales feiern auf der Straße. Nach wochenlangen Protesten gegen ihn hat Morales seinen Rücktritt erklärt.

© Juan Karita/AP/dpa

Unter ihm hat Bolivien zeitweise die längste Phase politischer und wirtschaftlicher Stabilität erlebt, aber nie haben die im Tiefland in der Region um Santa Cruz beheimateten weißen Eliten ihren Frieden mit ihm gemacht - nun drohen Tage der Abrechnung. Auch die indigene Bevölkerung stand zuletzt nicht mehr so hinter ihm. Der frühere Kokabauer hat La Paz verlassen, er agiert und agitiert nun wieder von dort, wo sein Aufstieg zum Anführer der Bewegung zum Sozialismus (MAS) begann: aus der tropischen Kokaanbauregion bei Cochabamba.

Der Sozialist hätte als einer der erfolgreichsten Präsidenten in die Geschichte des kleinen, aber auch wegen seines Erdgas- und Lithiumreichtums so bedeutsamen südamerikanischen Landes eingehen können. Aber wie Daniel Ortega in Nicaragua und Nicolás Maduro in Venezuela wurde er im Amt zunehmend autoritär und wollte die demokratischen Spielregeln selbst definieren.

Anders als in den beiden anderen Staaten meuterten jedoch Teile der Polizei - und der Militärchef weigerte sich, gegen das eigene Volk vorzugehen. Erst willigte Morales in Neuwahlen ein, Stunden später trat er zurück. Er wollte zunächst mit einem Putsch gegen die Demokratie von links an der Macht bleiben, wurde dann aber - aus seiner Sicht - von einem Putsch von rechts aus dem Amt gefegt. Das verkennt, dass sich immer größere Teile des Volkes massiv gegen ihn gestellt hatten.

Polizisten, die auf dem Dach eines Sicherheitsstandes auf einer Polizeistation stehen, schwenken bolivianische Flaggen, im Vordergrund stehen Demonstranten. Evo Morales war auch durch den fehlenden Rückhalt der Sicherheitskräfte zum Rücktritt gezwungen worden.
Polizisten, die auf dem Dach eines Sicherheitsstandes auf einer Polizeistation stehen, schwenken bolivianische Flaggen, im Vordergrund stehen Demonstranten. Evo Morales war auch durch den fehlenden Rückhalt der Sicherheitskräfte zum Rücktritt gezwungen worden.

© dpa

Der Ausgangspunkt der heutigen Krise war der 21. Februar 2016. Erstmals verlor Morales eine Abstimmung, ein Referendum, das ihm durch eine Änderung der Verfassung eine erneute Wiederwahl sichern sollte. Dann genehmigte das mit ihm gesonnenen Richtern besetzte Verfassungsgericht doch eine erneute Kandidatur. Er gewann zwar am 20. Oktober, nach offiziellen Zählungen die Präsidentenwahl im ersten Wahlgang gegen Carlos Mesa.

Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sah aber massive Hinweise auf Manipulationen bei der Stimmauszählung. Es kam zu Unruhen. Ironie der Geschichte: Morales erzwang 2005 mit Protesten und Blockaden den Rücktritt des liberal-konservativen Präsidenten Carlos Mesa und siegte bei der anschließenden Wahl. Der Historiker Mesa schnitt nun bei seinem Comebackversuch in der Präsidentenwahl so gut gegen ihn ab, dass es offenkundig zu den Fälschungen kam. Ob Mesa bei Neuwahlen wieder antritt, ist genauso offen, wie der Plan von Morales und seiner Partei MAS.

Carlos Mesa, oppositioneller Präsidentschaftskandidat von Bolivien. Der Ex-Präsident sagte, dass der bisherige Präsident Morales durch einen Volksaufstand und nicht durch das Militär zu Fall gebracht wurde.
Carlos Mesa, oppositioneller Präsidentschaftskandidat von Bolivien. Der Ex-Präsident sagte, dass der bisherige Präsident Morales durch einen Volksaufstand und nicht durch das Militär zu Fall gebracht wurde.

© Juan Karita/AP/dpa

Morales war getrieben von dem Ziel, bis 2025, dem 200-Jahr-Jubiläum der Unabhängigkeit vom spanischen Kolonialreich, zu regieren. „Ich bin verheiratet mit Bolivien“, sah er sich auf einer historischen Mission, reiste von frühmorgens bis spätabends durchs Land, weihte neue Sportplätze und Wohnsiedlungen ein. Anfangs belächelt als Präsident im Wollpulli, schaffte er es, der indigenen Bevölkerungsmehrheit neues Selbstbewusstsein einzuimpfen. Bolivien ist nun qua neuer Verfassung ein plurinationaler Staat, Sprachen wie Quechua und Aymara erlebten in Behörden und Schulen eine starke Aufwertung. Das lobte auch Papst Franziskus bei seinem Besuch 2015 ausdrücklich.

Und Morales schaffte es mit einer pragmatischen Wirtschaftspolitik die höchsten Wachstumsraten in Südamerika zu erzielen. Mit Beteiligungsregelungen von 51 Prozent für staatliche und 49 Prozent für ausländische Unternehmen gelang es, dass Milliarden investiert wurden - und viel Geld im Land blieb. So wurde die Armut deutlich verringert, neue Straßen, Flughäfen und das größte urbane Seilbahnnetz der Welt in La Paz machten Bolivien zum innovativen Modelland. Aber zuletzt wuchs wegen der Konflikte auch ökonomisch die Unsicherheit, das weltweit größte deutsche Lithiumprojekt unter Federführung des Unternehmens Acisa aus Baden-Württemberg liegt vorerst auf Eis.

Im Salzsee von Uyuni sollen die größten Lithiumreserven der Welt schlummern - auch deutsche Unternehmen sehen hier große Investitionsmöglichkeiten.
Im Salzsee von Uyuni sollen die größten Lithiumreserven der Welt schlummern - auch deutsche Unternehmen sehen hier große Investitionsmöglichkeiten.

© dpa

Wie es nun weitergeht, ist unklar. Die Bundesregierung begrüßt Morales' Rücktritt. Damit habe er den Weg zu Neuwahlen freigemacht, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Dies sei ein wichtiger Schritt zu einer friedlichen Lösung der schweren Krise. Doch nach einer friedlichen Lösung sieht es bisher nicht aus. In den Städten El Alto und La Paz wurden Busse in Brand gesetzt und Geschäfte geplündert. Anhänger von Morales berichteten von Brandanschlägen auf ihre Häuser.

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich tief besorgt auf und forderte von den Behörden, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen. Morales bekommt derweil der Solidaritätsbekundungen seiner linken Freunde von Venezuela über Kuba bis zu Brasiliens Ex-Präsidentin Dilma Rousseff. "Das berührt mich so sehr, dass ich weinen könnte."

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