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Theaterchefin Marina Schubarth und ihre Mitstreiter aus Berlin und der Ukraine wurden ausgezeichnet.

© Alexander Fröhlich

„Babyn Yar – ein Requiem“: Deutsch-ukrainisches Theaterprojekt aus Berlin erhält Franz-Bobzien-Preis

Das Dokumentartheater Berlin erinnert an das Massaker von Babyn Jar. Nun wurde das Projekt in der Gedenkstätte Sachsenhausen ausgezeichnet.

Oranienburg - Rekord bei Bewerberprojekten, die ersten Feierlichkeiten zur Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen mit Überlebenden seit zwei Jahren wegen der Coronapandemie – und Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine: Unter diesem Eindruck ist am Sonntag im brandenburgischen Oranienburg der Franz-Bobzien-Preis verliehen worden.

Der von der Stadt Oranienburg und der Gedenkstätte vergebene und mit 3000 Euro dotierte Preis ging an ein deutsch- ukrainisches Theaterprojekt, das sich mit einem zentralen Ort der Shoa beschäftigt und nun von Russlands Angriffskrieg betroffen ist. Es geht um den Tod von 33 000 Juden – Frauen, Kindern, Männern, erschossen von den Deutschen in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew am 29. und 30. September 1941. Es ist das größte einzelne Massaker der Nazis an Juden. Am 1. März 2022 ist die Gedenkstätte durch den Beschuss eines nahen Fernsehturms durch russische Truppen beschädigt worden – von den Befreiern von einst.

Auch deshalb hat sich die Jury des Bobzien-Preises für das Projekt „Babyn Yar – ein Requiem“ des Dokumentartheaters Berlin entschieden. Zwei Regisseurinnen und Schauspieler aus der Ukraine und Deutschland haben sich dem Massaker angenähert, in der Ukraine und in Deutschland ein Stück aufgeführt, basierend auf Zeitzeugenberichten, Historikertexten und Archivmaterial.

Die Künstler haben ein Thema bearbeitet, das bislang im Schatten der Aufarbeitung der Gräuel der Nazis in Vernichtungslagern stand. Und das spät im Bewusstsein um die Shoa überhaupt realisiert wurde. Erst nach der Jahrtausendwende, 55 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde begonnen, das Verbrechen von Babyn Jar aufzuarbeiten.

Die Jury würdigte das Theaterprojekt, weil es mit seinen ersten Aufführungen 2021, also im Jahr vor dem Angriffskrieg Russland, dieses lange in der Erinnerungskultur kaum beachtete Verbrechen der Nazis in die Öffentlichkeit brachte. Bei Babyn Jar ist von einem „Holocaust der Kugeln“ die Rede, weil das System der Gaskammern nicht bis Kiew reichte.

Die deutsch-ukrainische Gruppe wollte in diesem Jahr mit ihrem Requiem auf Tour gehen – dann kam der Krieg. Von den 17 Künstlerinnen und Künstlern aus der Ukraine konnten zehn nach Berlin geholt werden, berichtet Marina Schubarth, Leiterin des Dokumentartheaters. Die anderen, wie ihre Kiewer Regiekollegin Wlada Belosorenko, versuchten ihr Land im Freiwilligendienst zu unterstützen – organisierten Lebensmittel, nähten Stoffe für das Militär oder musizierten im U-Bahn-Schacht. „Wir hätte eine großartige Bildungsarbeit machen können, aber die Bomben haben unser Theater zerstört“, sagte Schubarth.

Der Franz-Bobzien-Preis wurde parallel zu den Feierlichkeiten zum 77. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen vergeben. Schirmherr ist Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Es war seit 2010 die siebte Preisvergabe an Projekte in Berlin und Brandenburg, die sich für Demokratie und Toleranz stark machen und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in den Blick nehmen. Wie lebendig das Erinnern an die Shoa ist, zeigt die Rekordzahl von 36 Bewerbungen für den Preis. Der Jury gehören eine Nachkommin Franz Bobziens sowie Vertreter unter anderem der Stadt Oranienburg, der Gedenkstätte, des Zentralrats der Juden, von Opferverbänden, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Berliner Senatsjustizverwaltung sowie des Tagesspiegel an.

Der Namensgeber des Preises war Lehrer und Sozialist. Franz Bobzien kannte den späteren Bundeskanzler Willy Brandt persönlich. Er wurde im Untergrund aktiv, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Ab 1938 war er im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert worden. Er half dort jugendlichen Mitgefangenen und rettete einigen das Leben. Als er zur Bombenräumung nach Berlin geschickt wurde, starb er am 28. März 1941 im Alter von 35 Jahren bei einer Explosion. Wegen ihrer Geschichte sieht sich die Stadt Oranienburg in einer besonderen Verantwortung. Im März 1933 hatte die SA im Zentrum eines der ersten Konzentrationslager errichtet. Von 1936 an baute die SS am Stadtrand das Konzentrationslager Sachsenhausen auf. Es diente als Modell- und Schulungslager, 200 000 Menschen waren dort inhaftiert, Zehntausende kamen ums Leben. Daneben befand sich ab 1938 die SS-Verwaltungs- und Führungszentrale für sämtliche Konzentrationslager dort.

Der zweite Preis ging an einen Verein, der im südbrandenburgischen Schlieben-Berga seit 2009 an ein Außenlager des KZ Buchenwald erinnert und dort einen Gedenkort errichtet hat. Die Häftlinge waren gezwungen worden, Panzerfäuste für ein Rüstungsunternehmen herzustellen. Mit dem dritten Preis bedachte die Jury ein Projekt aus Berlin-Spandau. Schüler der Martin-Buber-Oberschule haben mit Hilfe der Jugendkunstschule Spandau und der Jugendgeschichtswerkstatt Spandau eine Graphic Novel entwickelt, ihr Titel lautet: „8. Mai – Oder: Was bedeutet Freiheit?“ Auf Grundlage von Zeitzeugenberichten haben die Schüler die Geschichten der Menschen, die in Spandau das Kriegsende erlebt haben, in Texten und Bildern erzählt. Die Graphic Novel wurde an anderen Schulen in Spandau verteilt und bringt Geschichte über neue Wege näher. Alexander Fröhlich

Der Autor ist Mitglied der Jury.

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