zum Hauptinhalt
Auerochsen sind hierzulande selten. Die Urahnen der Hausrinder sind in Mitteleuropa schon seit dem 17. Jahrhundert ausgestorben.

© Ben Fuchs

Hochwertiges Fleisch: Die Auerochsen auf Brandenburgs Wiesen

Auerochsen, Galloway, Black Angus – auf Brandenburgs Wiesen grasen edle Tiere. Sie liefern hochwertiges Fleisch. Ein Besuch bei den Züchtern, den Cowboys von heute.

Mit einem Durchschnittsrinderzüchter hat Thomas Michael so gut wie gar nichts gemein. Er hat ja nicht mal einen Stall. Will er seine Auerochsen sehen, muss er sich in seinen Jeep setzen, der vor dem Herrenhaus in Stolzenhagen parkt, wo er seine Wohnung hat. Nach zwei Kurven biegt er ins Odertal ein. Er fährt über einen Kanal, entlang am Deich und über satte Wiesen, wo links ein Reh durchs Gras springt und rechts ein Reiher auf einem Bein in die Auenlandschaft guckt.

Doch wo sind seine Tiere? Die muss Thomas Michael schon mal suchen. Die 100 Auerochsen verteilen sich auf drei Koppeln – ach was, Koppeln: eine Prärie ist das hier, so weit reicht das Grünland. Man muss Ausschau halten, wenn man die Rinder mit ihren imposant geschwungenen Hörnern finden will, die auf den Poldern grasen. Stall? Kennen die Auerochsen nicht. Sie leben ganzjährig draußen.

Sogar ihre Kälber gebären sie ohne menschliche Hilfe. Das hat Prinzip: Auerochsen sind Landschaftspfleger im Nationalpark Unteres Odertal. Dort grasen sie, damit die Polder nicht verschilfen. Sie erhalten damit die Wiesen.

Einmal im Jahr, im Herbst, wenn es kalt wird, kommt Thomas Michael mit einem Gewehr und streckt ein paar der zwei bis drei Jahre alten Tiere nieder. Es ist ein schneller Tod, der ganz unvermittelt kommt, und dem Tier den stressigen Transport zum Schlachthof erspart. In der Öko-Fleischerei im Nachbardorf werden die Tiere zerlegt und eine Woche abgehangen.

Fleisch per E-Mail

Dann kann man das Fleisch kaufen – allerdings nicht im Einzelhandel, sondern nur über eine Mailingliste. Alles andere sei wirtschaftlich nicht rentabel, sagt Michael. Ein Großhändler würde die ganze Marge schlucken und die Wertschöpfung aus dem Dorf entfernen. Die Liste sei über die Jahre gewachsen. Nach ganz Deutschland verschickt die Öko-Agrar GmbH Kisten mit jeweils fünf oder zehn Kilo Fleisch.

Solche Direktvermarkter sind die große Ausnahme im Fleischgeschäft. Sie bieten eine Qualität, die man im Einzelhandel lange suchen müsste – und entsprechend teuer bezahlen. Damit Betriebe wie die Öko-Agrar GmbH, deren Geschäftsführer Thomas Michael ist, existieren können, braucht es indes besondere Rahmenbedingungen. Und die werden, wie es aussieht, immer seltener.

Stolzenhagen ist gleich in dreifacher Hinsicht eine Anomalie. Das kleine Dörfchen wächst, anders als viele Orte in Brandenburg. Hier ist es nicht ruhig bis ausgestorben, wie man das in so einer Randlage erwarten würde. Im Sommer ist sogar mächtig was los, wenn das Tanzfestival "Ponderosa" auf dem Gut Stolzenhagen stattfindet, das längst ein Leuchtturm der lokalen Kulturlandschaft ist. Das wiederum zieht junge Leute an. Und nicht zuletzt deswegen, und hier kommt Thomas Michael ins Spiel, hat das Dorf einen Bezug zu dem Land, das es umgibt. Das klingt erst mal merkwürdig: Warum sollten die Dörfer nicht von den Feldern drum herum leben?

Doch so einfach ist das nicht. Einerseits ist die Landwirtschaft in Brandenburg traditionell in der Hand von Großbetrieben. Erst die Großgrundbesitzer, dann die LPGs, die wiederum nach dem Ende der DDR in anderer Form weiterbetrieben wurden. Heute steht mancher Generationenwechsel an, und oft werden die Betriebe an Investoren verkauft. So entstehen immer größere Strukturen. Und dieses Land wird meist von Lohnunternehmen bestellt, deren Mitarbeiter oft von weither anreisen.

Wer es dagegen schwer hat, sind die jungen Bauern. Wer keinen elterlichen Betrieb erbt, wie praktisch niemand in der Gegend, hat kaum eine Chance, sich mit einer Idee selbstständig zu machen. Das Land ist schlicht zu teuer geworden. Doch da kann der Nationalpark helfen.

Wasserbüffel und Pferde

"Wir wollen Öko-Landwirtschaft fördern, aber das ist hier Pionierarbeit", sagt Thomas Michael, jetzt allerdings in seiner Funktion als Geschäftsführer des Nationalparks. Der verpachtet Flächen für extensive Landwirtschaft. Ein Öko-Gemüsebauer hat sich schon im Dorf angesiedelt und ein Milchbetrieb, der nach Demeterrichtlinien produziert. Wenn es gut läuft, könnte da noch mehr gehen, wie beim Vertrieb. "Viele Abnehmer möchten natürlich kontinuierliche Lieferketten. Das können wir nicht bieten. Unser Fleisch etwa gibt’s nur von September bis November."

Und das macht es wiederum für jene Art von Gastronomie interessant, die sich auf besondere Produkte spezialisiert. Restaurants etwa wie das "Herz & Niere" in Kreuzberg. Mit Großhändlern arbeitet das Lokal nicht, sondern nur mit einzelnen Lieferanten, die meisten aus der Region. Neun Bauern hätten sie als Partner, erzählt Christoph Hauser, der Koch und Ko-Inhaber. Einen Auerochsen hatten sie auch schon mal gekauft. "Das geht in Richtung Wild, mit einer ausgewogenen Marmorierung und einem cremigen Schmelz vom Fett."

Wirtschaftlich, sagt Christoph Hauser, sei es sinnvoller, ein ganzes Tier zu kaufen. Der Kilopreis liege dann zwischen 5 und 15 Euro. Würde er das Fleisch im Großhandel beziehen, müsste er zwischen 18 und 30 Euro zahlen. Allerdings macht das auch mehr Arbeit. "Wir müssen uns bei jedem Tier neu überlegen, was wir daraus machen".

Wenn man nur mit Direktlieferanten arbeitet, ist das schwierig. Man muss rechnen können. Damit es sich lohnt, muss wirklich jedes Teil verkocht werden. In der Vorratskammer des "Herz & Niere" hängen Würste, in den Regalen stehen Einweckgläser mit Fonds. Außerdem muss man viel telefonieren: "Wir können vom Rind immer nur eine Hälfte oder ein Viertel nehmen, wir haben ja gar nicht so viel Platz. Deshalb teilen wir die Tiere mit anderen Restaurants."

Thomas Michael baut seine Auerochsenherde weiter auf. 150 Auerochsen sollen es mal werden. Ein paar Wasserbüffel und Pferde haben sie zusätzlich. Drei Leute arbeiten für die Öko-Agrar GmbH, viel für einen kleinen Betrieb. Eine Dachmarke für die Direktvermarktung hat er schon aufgebaut.

Die Website ist online. Eines Tages, wenn genug produziert wird im Dorf, dann soll unter dem Namen "Bauernhand" regelmäßig ein Lieferwagen nach Berlin fahren und die Waren am besten auf einem Wochenmarkt verkaufen. Und bis das soweit ist, optimiert Thomas Michael die Qualität. Einen Dry- Age-Reifeschrank bauen sie gerade, gleich neben der Fleischerei.

Der Text ist der aktuellen Ausgabe des Tagesspiegel-Magazins Genuss entnommen, erhältlich für 6,50 Euro im Handel und direkt unter genuss.tagesspiegel.de.

Felix Denk

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false