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Vom Aktivisten zum Minister. Für Umweltschützer Matthias Platzeck (2.v.r.) und seine Mitstreiter nahm das Jahr 1989 einen rasanten Verlauf. Foto: p-a/dpa; Quelle: ADN

© picture-alliance/ dpa

Berlin: „Die DDR ist unsere Heimat; davon war ich überzeugt“

Matthias Platzeck, damals Oppositioneller in Potsdam, erzählt von Mut, feinen Veränderungen und einer verlorenen Wette.

Ich hätte jede Wette gehalten, dass Erich Honecker auch am Ende dieses neuen Jahres noch SED-Generalsekretär ist“, sagt der Mann, der einiges dazu beigetragen hat, dass er eine solche Wette verloren hätte. Weil eben alles anders kam. Aber dort oben im Dorf im Erzgebirge, wo der Freundeskreis wie jedes Jahr Silvester verbrachte, kam niemand auf eine solche Wette. „Nein, nicht im Ansatz habe ich geahnt, was 1989 passieren wird“, sagt Matthias Platzeck. Dennoch sei man „in der Stimmung aufkeimender Hoffnung und mit zunehmendem Mut“ in dieses Jahr gegangen, erinnert sich der im Sommer als Brandenburger Ministerpräsident zurückgetretene Platzeck. Ein wenig sei zu spüren gewesen, wie sich die bleiernen DDR-Verhältnisse fein veränderten.

Da gab es etwa den „Hoffnungsschimmer“, den die Glasnost-Politik des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow in der DDR ausgelöst hatte. In oppositionellen Kreisen in Potsdam habe man geglaubt, dies werde noch Jahre brauchen. Noch schien die Fassade solide.

Bleiben oder gehen? Diese Frage hätten sie immer wieder diskutiert, erinnert sich der damalige stellvertretende Leiter der Hygieneinspektion Potsdam. Der damals 35-jährige Platzeck, mit drei Kindern aus einer gescheiterten Ehe, hat sich eine Ausreise nicht vorstellen können. „Die DDR ist unsere Heimat, davon war ich überzeugt.“ Eine Heimat, die anders werden sollte, demokratischer, ökologischer und freier – „damit unsere Kinder eine Perspektive haben“. In ihrem Kreis sei das Wort Wiedervereinigung nicht ein einziges Mal gefallen. Ihre Gruppe wollte verändern. „Wir brauchen euch“, habe man vergeblich an jene appelliert, die nicht mehr warten wollten, nicht mehr für Veränderungen kämpfen wollten, sondern Ausreiseanträge stellten.

Dabei gab es im Vorwendejahr 1988 auch in Potsdam bereits zarte Triebe eines veränderten Selbstbewusstseins der Oppositionsbewegung. Im Mai 1988 zogen zum ersten Mal Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Pfingstberg zum damals verfallenen und zugemauerten Belvedere, diesem von Friedrich Wilhelm IV. beauftragten architektonischen Kleinod. Darunter war auch Platzeck. Unter den argwöhnischen Augen der Staatssicherheit, die schnell begriffen hatte, welche Menschen sich dort zusammenfanden, machten sie sich daran, den Schinkelbau vom Gestrüpp zu befreien. Eine wahrhafte Graswurzelbewegung an den Fundamenten der DDR-Gesellschaft. Im Laufe des Sommers bekam die Gruppe bei ihren Arbeitseinsätzen immer mehr Zulauf: Grünpflege als hochpolitischer Protest gegen eine SED-Politik, die das preußische Erbe verfallen ließ. Die Aktion auf dem Pfingstberg „hat uns gezeigt, wie viel Sprengkraft in dieser harmlosen Aktion lag“, sagt Platzeck nahezu 25 Jahre später in seinem Büro im neuen Landtag.

Das Parlament sitzt in jenem Neubau des von der SED abgerissenen Stadtschlosses, dessen Wiedererrichtung damals so unvorstellbar war. Im Vorwendejahr 1988 plante die SED noch, die historische Barockstadt und das holländische Viertel abzureißen zugunsten von gesichtslosen Plattenbauten. Platzeck gehörte zu jenen, die in jenem Sommer die Bürgerinitiative „Argus“ gründeten, die diesen Kahlschlag in Potsdam verhindern wollte.

Die Gefühle zum Jahresbeginn 1989 waren zwiespältig. Einerseits gab es ein Aufbruchsignal: Ihre „Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung“ (Argus) hatte schon vor der Jahreswende Umweltgruppen aus allen DDR-Städten zu einem Treffen nach Potsdam eingeladen – der Kern eines Netzwerks, aus dem sich später die Grüne Liga der DDR gründete. Zunächst sei die Veranstaltung verboten worden, erinnert sich Platzeck, der schon am 29. Dezember seinen Geburtstag gefeiert hatte. Doch nach einer Petition beim SED-Zentralkomitee bekam die Gruppe durch die unerwartete Unterstützung eines Mitarbeiters aus dem Apparat eine Genehmigung. Andererseits war im Spätherbst 1988 das Verbot des deutschsprachigen sowjetischen Magazins „Sputnik“ durch die SED-Spitze ein Schock. Den Bürgerrechtlern zeigte das Verbot erneut, wie wenig Bereitschaft zu gesellschaftlicher Öffnung und Transparenz es in der DDR-Führung gab.

Bei jener Silvesterparty in Sosa im Erzgebirge aber spielte das keine Rolle, da wurde gefeiert – ohne gute Vorsätze. Die wären auch weit hinter allen dann kommenden realen Veränderungen zurückgeblieben. Vor allem Matthias Platzeck konnte nicht ahnen, dass er knapp ein Jahr später „Minister ohne Geschäftsbereich“ unter dem letzten SED-Regierungschef Hans Modrow werden sollte. Auch wenn sich noch wenig bewegte, habe in jener Silvesternacht eine „hoffnungsvolle Stimmung des Aufbruchs“ geherrscht. „Wenn wir keine Hoffnung gehabt hätten, dann hätten wir uns nicht die Riesenaufgabe vorgenommen, die Umweltgruppen aus 26 Städten zusammenzubringen“, sagt Matthias Platzeck. Das Treffen kam zustande: Am 7. Oktober 1989, einen Monat vor dem Fall der Mauer.

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