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Berlin: Die Entdeckung der Nachtruhe

Ab 22 Uhr Tempo 30: Die Brückenstraße soll leiser werden. Doch die Bewohner leiden auch tags unter Autolärm

Fernsehen bei offenem Fenster? Das ist für Hildegard Missal, Anwohnerin in der Brückenstraße 1a, nicht leicht. Den Apparat muss sie dann auf volle Lautstärke stellen, so laut dröhnt der Autoverkehr von unten herauf. Seit 41 Jahren wohnt die 75-Jährige mit ihrem Sohn Klaus (47) an der Straße, die seit der Wende als eine der meistbefahrenen und lauteten gilt. Nun ist Besserung in Sicht – aber rechte Freude kommt bei den Missals nicht auf.

Wie in einem Teil unserer gestrigen Auflage berichtet, wurde die Brückenstraße zur Tempo-30-Zone erklärt. Nach einem über zehn Jahre langen Rechtsstreit ist diese Geschwindigkeitsbegrenzung zwischen 22 und 6 Uhr von der Senatsverwaltung für Verkehr angeordnet worden. Sobald die Schilder stehen, und das soll spätestens nächste Woche der Fall sein, gilt die Geschwindigkeitsbeschränkung.

Zu verdanken haben die Anwohner den zumindest kleinen Erfolg Marion Stahl, die ebenfalls in Haus Nummer 1a wohnt. Sie hatte vor über zehn Jahren mit der Unterstützung des Bundes für Naturschutz Deutschland (BUND) erstmals angefangen, wegen des Lärms vor dem Verwaltungsgericht gegen das Land Berlin zu klagen. 1996 der erste Erfolg: Das Nachtfahrverbot für Lkw wurde durchgesetzt. Nun, Jahre später, sind die genervten Anwohner wieder einen Schritt weiter. Oder? „Es ist grundsätzlich ein Erfolg, dass nachts Tempo 30 gilt. Aber zufriedenstellend ist das für Frau Stahl überhaupt nicht“, sagt Stahls Rechtsanwalt Karsten Sommer. Zufrieden sei seine Mandantin aber erst, sagt der Anwalt, wenn auch tagsüber Tempo 30 gelte. So, wie es vor dem Mauerfall war.

Marion Stahl bleibt dennoch hier wohnen. Genauso wie Familie Missal. Die Rentnerin und ihr arbeitsloser Sohn wohnen hier wegen der günstigen Miete für ihre 75 Quadratmeter. Sie nehmen in Kauf, dass sie bei geöffnetem Fenster die Stimmen anheben und immerzu die Lautstärke des Fernsehers austarieren müssen. „Zu laut darf’s ja auch nicht sein, sonst beschweren sich die Nachbarn.“ Für Klaus Missal gibt es nur eine vernünftige Lösung für die Brückenstraße: „Die muss ganz dichtgemacht und sollte zur Fußgängerzone umgebaut werden.“ Dass sich die Autofahrer nachts an das Tempo 30 halten werden, bezweifelt er. Auch für den Fotoladen-Besitzer Peter Lindenau macht eine Tempo-Beschränkung nur Sinn, wenn sie auch tagsüber gilt. „Der Verkehr hier ist sehr nervig. Aber wir sind mit unserem Laden seit 50 Jahren hier und wollen nicht wegziehen.“

Doch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat die Lärmwerte gemessen: Mit 74,6 Dezibel liege die Brückenstraße nun mal knapp unter dem Grenzwert von 75 Dezibel, sagt der Referatsleiter für Verkehr, Bernd Lehming. Dennoch: Vielleicht bekommen die Anwohner doch noch tagsüber ihre Tempo-30-Zone. Die Behörde prüfe nämlich aus Gründen der Verkehrssicherheit, eine solche Geschwindigkeitsbeschränkung anzuordnen.

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