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Berlin: Die etwas andere Lesung: Kennzeichen: Schön

Sonja Gaze ist "in einem Alter, nach dem sich Fragen verbitten", und deshalb abwesend, als ihre Autobiografie vorgestellt wird. Darin steht, dass die Tänzerin und das Fotomodell der Zwanziger schön gewesen sein muss.

Sonja Gaze ist "in einem Alter, nach dem sich Fragen verbitten", und deshalb abwesend, als ihre Autobiografie vorgestellt wird. Darin steht, dass die Tänzerin und das Fotomodell der Zwanziger schön gewesen sein muss. Ungehörig schön. Auf den Fotos kann man es sehen. Und ganz so, als sei Schönheit von ihrem Kaliber nicht ganz so vergänglich wie die anderer Leute, ersteht sie hier in einer Tanzschule im Westend aus Erzählungen wieder auf.

Polsterbänke säumen die Wände um die Tanzfläche, und man sieht förmlich die jungen Tanzschülerinnen, die sonst hier bang auf Aufforderung warten und sich schwitzend zum ersten Mal fragen: Werde ich gewählt oder bleibe ich sitzen? Sonja Gaze wäre hier bestimmt nicht sitzen geblieben. Aber sie ist ja auch im Romanischen Café im Berlin der 20er Jahre nicht lange sitzen geblieben: Hier kam "ungefragt" Brecht an den Tisch und lud sie ein, dort fragte Liebermann an, ob er sie malen dürfe. Brecht ignorierte sie bei ihren Besuchen dann allerdings so ordentlich, dass sie sich forthin etwas zum Lesen mitnahm.

"Bestürzend schön" empfand sie die Schauspielerin Gisela Trowe, und sie kennt sie jetzt bald fünfzig Jahre, und liest mit warmem Abendhauch aus dem Buch. Davon, wie Sonja Gaze mit drei Jahren in Isadora Duncans berühmte Tanzschule kommt, zwei Jahre zuguckt und mit fünf dann selber tanzen darf. Barfuß. Ab da hat das Tanzen nicht mehr aufgehört. Mit vierzehn ignoriert sie die ersten Verehrer unter dem Fenster, und dann war sie da, die große Schönheit. Trotzdem hatte sie nur ein Ausgehkleid, als Brecht sie zur Premiere der "Dreigroschenoper" einlud, und sagte ab, weil der es schon kannte.

Götz Alsmann greift jetzt nach seinem verhauenen Ukulelekasten: "Weil ich ledig bin, will ich nach Venedig hin" - Lieder von Sonja Gazes Ehemann Heino, Schlagerkomponist. Eine Jahrhundertehe sei das gewesen, und kennen gelernt haben sie sich auf einer Party hier um die Ecke im Westend, noch hinter der Stelle, an der sich heute SFB und ICC gute Nacht sagen. "Der Schlager ist die einzige Kunstform, die sich selbst entmannt hat." Alsmann philosophiert. Doch bevor das passierte, hat Heino Gaze noch jede Menge Geld verdient mit "Kalkutta liegt am Ganges" und dergleichen. Seine Frau Sonja fuhr deshalb irgendwann "furchtbar schlecht riesige amerikanische Wagen". Ansonsten, versichert Gisela Trowe beeindruckt, habe das ganze Geld die beiden kein bisschen verändert.

"Angelika" ruft jetzt fast trotzig die Organisatorin des Abends, Angelika Fessmann. Da hält sie die Blumensträuße schon in der Hand und das Programm ist fast gelaufen. "Angelika - das hatten sie versprochen". Und Alsmann hebt sein Instrument, zärtelt noch einmal mit seiner Ukulele und singt: "Angelika, Dich schickt der Wind zu mir". Und dabei kam sie doch, um ein Buch zu präsentieren.

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