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Berlin: Die Firmenflüsterin

„Unternehmer wollen geliebt werden“, sagt Marlies Wanjura, Reinickendorfs Bürgermeisterin. Sie ist jetzt im zehnten Amtsjahr und genauso lange um die Wirtschaft bemüht. Mit Erfolg

Reinickendorf ganz vorne in der Gunst der Wirtschaft? Ha!, da kann Marlies Wanjura ja nur in die Hände klatschen.

Ihr Büro im zweiten Stock des Rathauses ist groß und hinter dem Konferenzraum. Vor dem Konferenzraum ist das Sekretariat. Marlies Wanjura und ihre Bürohelfer haben den Konferenzraum in der Zange – und sie haben beide kurze Wege zum großen Tisch in dessen Mitte. So geht das in Reinickendorf: Kurze Wege und große Tische. Damit macht man eine Wirtschaftspolitik, die von den Unternehmern immer wieder gelobt wird.

Vor einigen Tagen ist Marlies Wanjura 60 Jahre alt geworden, die Feier hat sie wegen der Flutkatastrophe in Südostasien ausfallen lassen, und sie hat gerade ihr zehntes Amtsjahr als Bürgermeisterin im fünftgrößten Bezirk begonnen. 1995 war sie die erste Frau in dem Amt. Damals habe sie angefangen, Firmen zu besuchen, sagt sie. „Ich wollte hören, was die brauchen, woran es fehlt.“ Die Reaktionen: Erstaunen und Dankbarkeit. Im Mauer-Berlin, wo es sehr viel Geld zu verteilen gab, seien Unternehmer oft als Bittsteller bei Behörden erschienen – und dort habe man sich entsprechend verhalten, sagt Wanjura. Heute hätten die Behörden zwar kein Geld mehr, aber der Habitus sei geblieben. „Überlegt doch mal, wer euer Geld verdient, habe ich gesagt“, sagt Wanjura – und dann hat sie die Sache mit der Wirtschaft selbst übernommen. Dabei war sie erfolgreich: Eine Wirtschaftsdatensammlung von 2002 zählt 9052 Unternehmen in Reinickendorf, Jobs wurden gesichert oder geschaffen, die Arbeitslosenquote ist eine der niedrigsten in Berlin. 1997 erklärte die Industrie- und Handelskammer Reinickendorf zum wirtschaftsfreundlichsten Bezirk, Mitte Dezember 2004 hatte eine gemeinsame Umfrage von IHK, Handwerkskammer und Tagesspiegel unter 317 Unternehmen dasselbe Ergebnis.

„Wirtschaft hat mit Gefühl zu tun“, sagt Marlies Wanjura. Sie sitzt am Ende des großen Konferenztisches, einen rosa Schal locker um den Hals gelegt, die Fingernägel lackiert,die Haare geföhnt und gesträhnt, sehr flott und sehr selbstbewusst. In ihrem Büro gibt es eine Sitzecke mit blauen Polstern aus der Tegeler Gefängniswerkstatt, blau ist Wanjuras Lieblingsfarbe. Auch ein ausgestopfter Fuchs steht da. Obwohl doch Reinickendorf gar nichts mit Reineke Fuchs zu tun habe, wie sie sagt, und es als gebürtige Reinickendorferin weiß, sondern mit dem niedersächsischen Bauern Reinhard und seinem „Renekendorp“. Unternehmer wollten geliebt werden, sagt Marlies Wanjura. Die wollten merken, dass man an ihnen interessiert ist. Sie hat eine Stabsstelle für Wirtschaftskoordinierung gegründet, eine Anlaufstelle für Investoren. Auf Landesebene gibt es so etwas auch: die Zak, die Zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle für Unternehmen.

Richtig bewegt wird aber noch nicht viel. Es wissen auch nicht viele, dass es sie gibt. Für Wanjura fängt das schon bei dem Namen an. „Zak“, sagt sie, „damit kann doch keiner etwas anfangen.“ Und solche Irrleitungen enden dann mit verpatzten Auftritten des Regierenden Bürgermeisters in Asien? „Ja, ja“, sagt sie und lacht und weiß, dass niemand vergessen hat, dass sie beim CDU-Landesparteitag im November die Worte Hass und Wowereit in einem Satz gesagt hat. „Mein Gefühlsausbruch“, nennt sie das heute. Entschuldigt hat sie sich nicht. Wenn sie sehe, wie der Senat Chancen vertue, könne sie regelrecht verzweifeln, sagt sie. Wo Berlin doch so nötig Unternehmen und Arbeitsplätze brauche. „Arbeit ist viel mehr als Geld verdienen“, sagt sie. „Es ist Dazugehören.“ Manchmal, sagt sie, habe sie das Gefühl, die da oben wüssten nicht, wie groß der Leidensdruck da unten ist. Anders als sie. Sie, die gelernte Krankenschwester, hält sich zu- gute, dass sie offen auf Menschen zugehen könne. Und sie könne auch zuhören, sagt sie. „Auch wenn das einige nicht glauben wollen.“ Marlies Wanjura redet nämlich sehr viel, sehr schnell und sehr laut.

Früher hat sie Rhetorik-Kurse besucht, was erstaunlich ist, ihre Redelust wirkt so unverstellt. Als ihre beiden Söhne noch zur Schule gingen, war die Mutter als Elternsprecherin dabei, die auch an Schulkonferenzen teilnahm, meinungsstark und durchsetzungswillig. Da waren die Rhetorikkurse weniger eine Notwendigkeit als ein Schritt in Richtung Perfektion, so wie sie ihre Wirtschaftskontakte ständig ausbaut und nachfeilt. Ihr Motto dafür ist: Das Bessere ist der Feind des Guten.

Reinickendorf ganz vorne in der Gunst der Wirtschaft? Da klatscht Marlies Wanjura zwar erfreut in die Hände, aber dann macht sie gleich neue Termine.

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