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Berlin: Die längste Tafel Berlins

Isabella Mamatis bringt Alt und Jung auf die Straße – zum Spaghettiessen mitten auf der Fahrbahn

Clara läuft voran und sucht im Treppenhaus aufgeregt nach dem richtigen Klingelschild. Deshalb ist die Neunjährige auch schon im Wohnzimmer von Irma Gast verschwunden, als alle anderen noch im Mantel im Flur stehen. Clara weiß, dass sich die 78-Jährige schon seit Tagen auf ihren Besuch freut und alles akribisch vorbereitet hat.

Irma Gast und Clara Mamatis haben sich im Seniorentreff des Deutschen Roten Kreuzes in Kreuzberg kennen gelernt. Frau Gast kommt nicht oft raus, sie hat Arthrose im Knie, ihre Halswirbel und der Rücken sind steif. Weiter als bis zum Supermarkt an der nächsten Straßenecke schafft sie es nicht mehr allein. Aber heute wird sie eine Ausnahme machen und um 12 Uhr mit 500 anderen Senioren und Schulkindern mitten auf der Bergmannstraße an einer 200 Meter langen Tafel sitzen und Spaghetti essen.

Dass die Bergmannstraße zwischen Nostitz- und Zossener Straße heute für ein paar Stunden zum Freiluftlokal wird, ist einer nächtlichen Eingebung von Isabella Mamatis, Claras Mutter , zu verdanken. Irgendwann lief sie durch das stille Kreuzberg: „Plötzlich sah ich eine große Tafel vor mir.“ Und da sie findet, dass alte und junge Menschen zu den benachteiligten Gruppen unserer Gesellschaft gehören und viel zu wenig miteinander kommunizieren, war schnell klar, wen sie einladen wollte. Isabella Mamatis ist keine Sozialpädagogin – aber ein wenig sozialromantisch ist sie schon veranlagt. Dass Senioren zusammen mit Grundschülern auf der gesperrten Bergmannstraße Nudeln verspeisen und sich gegenseitig aus ihrem Leben erzählen, hat schon etwas Kitschiges.

Wobei die Alten klar im Vorteil sind, was die Menge an Erlebtem angeht. Aber das war auch Teil von Isabella Mamatis’ Plan. Den entwickelte die Theaterdozentin, als sie feststellte, dass ihre Kinder Clara und Paul eigentlich keinen Kontakt mehr zu alten Menschen haben. Auch mit dem Geschichtswissen ihrer Kinder war Isabella Mamatis nicht wirklich zufrieden. „Und was früher war, erfährt man am besten von denen, die es erlebt haben.“ Deshalb hat sie Treffen von Schülern und Senioren in Altenheimen und Tagesstätten organisiert.

Nebenbei lief Isabella Mamatis in der Bergmannstraße von Haus zu Haus und bat um Mithilfe für das Essen. Ein Supermarkt spendete die Nudeln, ein Café die Tomatensoße, die Tische und Bänke kommen von einer Brauerei und die Bezirksbürgermeisterin übernahm die Schirmherrschaft. Wenn heute Nachmittag die Teller von als Kellnern verkleideten Siebtklässlern abgeräumt worden sind, soll das Projekt „Lange Tafel“ aber noch nicht vorbei sein. Isabella Mamatis wünscht sich, dass Kinder es irgendwann „einfach cool finden, sich mit alten Leuten zu unterhalten.“

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