zum Hauptinhalt
Späte Hitze. Das kühle Nass kam im September bislang eher von unten – wie hier bei den Wasserspielen im Regierungsviertel.

© dpa

Sommerlust, Sommerfrust: Die letzten heißen Tage brechen an

Der heiße September hat es in sich. Meteorologen staunen, Freibad-Fans freuen sich, Obstbauern stöhnen. Am Wochenende soll es kühler werden.

Das hat Berlin seit 69 Jahren nicht mehr erlebt. „Es ist sensationell“, sagen selbst erfahrene Meteorologen. Im September 1947 strahlte die Sonne letztmals derart unermüdlich am Himmel und heizte den Berlinern so kräftig ein wie in diesen Tagen. Die Stadt schwitzt, als hätte sich der eher wankelmütige August sommerlich berappelt und in den September eingeschlichen. Während es auf Sardinien oder in der Toskana teils schauert und gewittert und bis zu zehn Grad kühler ist als an der Spree, beschert Hoch „Mathias“ Berlin und Brandenburg derzeit einen heißen Start in den Herbst. Der soll allerdings am kommenden Wochenende abrupt enden: Ab dem heutigem Freitagabend naht ein Tief. Am Sonntag müssen die Berliner wohl bei Temperaturen knapp unter 20 Grad wieder in die Jacke schlüpfen und den Regenschirm zur Wahl mitnehmen. Tschüss, Sommer!

Bis Freitag ist noch Hochsommer

Beim Blick weit zurück in die meteorologischen Aufzeichnungen über Berlin fällt der 4. September 1895 als absoluter Rekordtag auf. „Da kletterte die Quecksilbersäule auf 34,9 Grad Celsius“, sagt Marcus Boljahn vom Wetterdienst Meteogroup. Und im September 1947 lag das Maximum bei 33,4 Grad.

Das schaffte Hoch „Mathias“ in den vergangenen Tagen zwar nicht, doch am Montag wurde in Dahlem immerhin der Höchstwert von 31,6 Grad Celsius erreicht. Und neun Tage lang freuten sich die Berliner bisher über 25 bis 26 Grad. Kaum zu glauben, dass es vor zwanzig Jahren, am 13. September 1996, hier ganz anders aussah: Da brach der Winter mit Eis und Flockenwirbel ein, an einen Spätsommer war nicht zu denken.

Zumindest noch bis heute gilt aber: Endlich Hochsommer im September, während das erste Laub schon am Boden raschelt und die Kastanien auf den Kopf fallen. Das Licht ist klarer, lässt Farben und die Natur intensiver leuchten, weil die Sonne zwar satt scheint, aber nicht mehr so hoch am Himmel steht. Das liebten einst auch die Berliner Impressionisten Max Liebermann, Franz Skarbina oder Lesser Ury, die bevorzugt im Spätsommer die Grunewaldseen oder Szenen im Tiergarten malten. Wellness für Berlin. Die Stadt wirkt trotz Hitze entspannter als an hitzigen Sommertagen. Vermutlich bewirkt dies die Freude über das außergewöhnliche Wettergeschenk.

Das volle Sommerprogramm

Frust dagegen bei den Aktivisten der Freiluft-Kinos, beispielsweise am Kulturforum oder im Friedrichshain. Diese machten Ende August viel zu früh dicht. Gute Laune aber bei den Betreibern von Strandbars, von Straßencafés und bei den Berliner Bäderbetrieben. „Juli und August waren eher aprilmäßig, da freuen wir uns doch über den tollen Nachschlag“, sagt ein Bäder-Sprecher. Es war die richtige Entscheidung, dass etliche Sommerbäder spontan länger geöffnet blieben. Allein am vergangenen Wochenende besuchten 8000 Menschen das Strandbad Wannsee und 6500 das Prinzenbad. An diesem Wochenende ist aber nun endgültig Schluss: Das Strandbad Wannsee schließt am Sonnabend, das Kreuzberger Prinzenbad sowie die Freibäder Kombibad Seestraße, Mariendorf, Gropiusstadt und Spandau-Süd machen am Sonntagabend ihre Tore zu, wenn Tief „Stephanie“ schon Berlin eintrübt. Abschwimmen zum Abgesang auf den verlängerten Hochsommer – das passt ja.

Rappelvoll waren in den vergangenen zwei Wochen auch die BVG-Ausflugsfähren an der Müggelspree oder über den Wannsee nach Kladow.  Tausende Sommerfrischler vergnügten sich am Schlachtensee und der Krummen Lanke. Und die Laster der Getränkemärkte waren im Großeinsatz. „Wir haben gerade das volle Sommerprogramm“, sagt Einkäufer Klaus Schlenger von Getränke Hoffmann.

Klagen von den Obstbauern

Berauscht vom September 2016 ist auch Winzer Klaus Wolenski vom Bio-Weingut „Klosterhof“ auf der Halbinsel Töplitz bei Potsdam-Marquardt. Seit mehreren Jahren baut er dort Rotweintrauben an, aber so gut wie jetzt lief es noch nie. „Wahnsinn, phantastisch.“ Wolenski ist schon mitten in der Ernte, „drei bis vier Wochen früher als normal“. Und die zu erwartenden Öchslegrade? „95 bis 105 Grad“ – also gut 20 Prozent über dem Wert eines mittleren Jahrgangs. Nur die Waschbären im Weinberg machen Probleme (s. Kasten).

Weniger gut sind die Potsdamer und Werderaner Obstbauern auf den hitzigen Sommer-Endspurt zu sprechen. „Unsere Äpfel kriegen buchstäblich Sonnenbrand“, klagt Lutz Kleinert vom Obstgut Marquardt. Durch die starke Wärme trockne die Schale des Obstes während des letzten herbstlichen Wachstumsschubs aus. „Sie wächst nicht mehr mit und reißt.“ Der Apfel sehe weniger perfekt aus, lasse sich als Tafelobst kaum mehr verkaufen. Außerdem werfen die Obstbäume frühzeitiger als sonst Laub ab, um ihre Wasserverdunstung zu bremsen. Und die Pflaumenbäume ziehen sogar Wasser aus ihren Früchte – quasi Trockenobst am Zweig. Trotz alledem hofft Lutz Kleinert auf viele Berliner, die in seinen Plantagen jetzt täglich von 9 bis 18 Uhr Äpfel selbst pflücken können – auch solche mit kleineren Hitze-Macken.

Und wie geht es in puncto Wetter weiter? Erlebt Berlin auch noch einen schönen Altweibersommer bis Ende September mit seltsam tauglänzenden Spinnenfäden frühmorgens im Gras, die wie silbergraue Haare aussehen? „Wir können in keine Glaskugel gucken“, heißt es beim Wetterdienst Meteogroup. Vorhersagen für mehr als sieben Tage gelten unter Meteorologen als unseriös. In der kommenden Woche bleibt es wohl kühl, aber zumindest die Sonne soll wieder scheinen. Und längerfristig ist Optimismus angebracht. Erfahrungsgemäß bringt die zweite Septemberhälfte oft eine der schönsten und beständigsten Hochdruckwetterlagen über Mitteleuropa.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false