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Lesepatin Renate Schmidt liest an der Wedding Grundschule in der Antonstraße 10-17 mit ausgesuchten Kindern der 1.-3.Klasse.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Probleme und Chancen der Weddinger Schulen: Wir brauchen mehr Unterstützung vom Bezirk

Anders als viele deutsche Eltern schickt unser Autor seine Kinder ganz bewusst auf Schulen im Wedding mit hohem Migrantenanteil. Hier sind die Lehrer motivierter, die Konzepte besser durchdacht, sagt er. Doch auf politischer Ebene laufe vieles schief.

Als ich vor dreißig Jahren aus Charlottenburg in den Wedding gezogen bin, war die Idee von der multikulturellen Gesellschaft längst gescheitert. Seitdem hat sich die so genannte Parallelgesellschaft noch deutlicher und tiefer herausgebildet.

Das ist, wenn man im Wedding heimisch ist, kein sonderliches Problem. Die Menschen hier sind freundlich, bodenständig, arm und vielleicht ein bisschen unsexy. Der Bezirk wird wohl auch deshalb weitestgehend von der Politik ignoriert.

Der Wedding ist großzügig gebaut, hat viele Parks und liegt zentral. Die Problematik liegt eher in der Anpassung. Sobald eine Kultur dominiert, übt sie ungewollt Druck auf die Minderheit aus. Können wir dem im Alltag noch ausweichen, trifft dies für unsere schulpflichtigen Kinder nicht mehr zu.

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Spätestens dann verlässt ein Großteil der Eltern den Bezirk, weil sie Sorge haben, dass ihre Kinder als Fremde unter Fremden untergehen in diesem Bezirk. 70 bis 100 Prozent Kinder mit nichtdeutscher Herkunftssprache sind hier die Regel, dazu noch einmal ein ähnlich hoher Anteil von Kindern, die auf Hartz-IV-Niveau leben, sprachliche Defizite inklusive. Aber auch Migranten, die sich nicht mit allen Traditionen des Herkunftslandes identifizieren können, melden ihre Kinder in anderen Bezirken an. Die Lernumgebung wird hier allgemein als wenig förderlich angesehen.

Zurück bleiben mehrheitlich die, die der deutschen Sprache schwer folgen, aus finanziellen Gründen nicht umziehen, oder denen das einfach egal ist.

Kinder aller Nationen sind in erster Linie: Kinder

Trotz alledem haben wir aus wohlüberlegten Gründen unsere Kinder an Schulen hier im Wedding angemeldet. Mit 13 anderen deutschen Familien, mit denen wir uns zusammengetan hatten.

Warum? Nun, zumindest in der Grundschule kommen die Kinder aller Nationen anfangs mit Begeisterung und vorurteilsfrei in die Schule und sind in erster Linie Kinder. Außerdem sind die Lehrkräfte, die sich bewusst für dieses schwierige Umfeld entscheiden, in der Regel deutlich motivierter. Die pädagogische Arbeit ist nach unseren Beobachtungen insgesamt innovativer, strukturierter und zeitgemäßer als in Teilen dieser Stadt, die nicht über solch eine ausgesprochene schwierige Ausgangsituation verfügen. Im Gegenteil: Je gehobener die Wohnlage, je gebildeter die Eltern, umso mehr verlassen sich die Lehrer und Lehrerinnen auf die Fähigkeiten der Kinder und Familie. Die Gesamtergebnisse der Schulen sind dort im Schnitt zwar besser, aber Potentiale der Kinder liegen meist ungenutzt brach, besondere Förderungen finden nicht statt.

Aber auch die motiviertesten Lehrer und besten Konzepte können die Defizite einer verfehlten Migrations- und Sozialpolitik nicht ausgleichen. Es fehlt vor allem an Unterstützung durch den Bezirk, hier haben wir es mit einer einzigartigen Provinzialität und Unfähigkeit der Verantwortlichen zu tun. Weddinger Schulen erhalten eher von Bundespolitikern Unterstützung als von den Abgeordneten des Bezirks.

Der Wedding ist in Mathe der Schlechteste

Die Kapitulation vor der Segregation ist ein schwerer Fehler. Dazu kommt die defizitorientierte Arbeit in den Schulen, die die Schwachen fördert, die anderen aber vernachlässigt. Berliner Grundschulen haben den geringsten Anteil an Fachlehrern bundesweit und garantieren damit auch zukünftig, dass Berlin Schlusslicht aller Bundesländer bei den Lernergebnissen bleibt. Der Wedding setzt immer noch eins drauf: So sind hier die Mathematikleistungen der Schüler/innen so schlecht wie in keiner anderen Region Deutschlands.

Die Grundschulreform war zwar ein folgerichtiger Schritt, hier entgegenzuwirken, jedoch verläuft sie jetzt noch schneller rückwärts als sie einst begann. Stattdessen dominiert derzeit in der schulpolitischen Diskussion die Gleichstellung der angestellten Lehrerinnen und Lehrer an die Beamten sowie die Kitapflicht. Auf die fehlende Chancengleichheit Weddinger Schüler und die Flucht von Eltern aus dem Bezirk werden diese Diskussionen und eventuelle Ergebnisse aber keine Auswirkung haben.

René Faccin, Dipl. Biologe, lebt und arbeitet im Wedding und hat derzeit noch zwei Kinder in Weddinger Schulen. Beruflich arbeitet er mit schuldistanzierten, verhaltensinteressanten Jugendlichen. Außerdem ist er Elternvertreter auf Bezirks- und Landesebene und war im Vorstand des Landeselternausschusses sowie Vorsitzender des Landesschulbeirats Berlin. Seit 2006 ist er ehernenamtlich in der Berliner Schulinspektion tätig.

Dieser Artikel erscheint auf unserem Wedding-Blog. dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

René Faccin

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