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Ein Werk des Künstlers Jonas Burgert in der Ausstellung „Zeitlaich“ der Galerie Blain Southern beim Gallery Weekend 2017.

© Monika Skolimowska/dpa

„Die Rahmenbedingungen sind nicht gut“: Das Coronavirus trifft auch den Berliner Kunstmarkt

Berlins Galerien und Kunstmarkt steckten schon vor dem Coronavirus in der Krise. Was kann die Politik tun? Es gibt erste Ideen.

Die Coronakrise trifft auch den Berliner Kunstmarkt hart: Eigentlich sollten sich der Berliner Galerist Werner Tammen, die Chefin des im Mai geplanten „Gallery Weekend“ Maike Cruse und Kunstsammler Axel Haubrok, dem zuletzt vom Bezirk untersagt wurde an seinem Standort im Gewerbegebiet in Lichtenberg Ausstellungen zu veranstalten, kürzlich im Abgeordnetenhaus treffen. Doch der Termin wurde aufgrund der aktuellen Lage abgesagt.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Kultur und Haushalt, Daniel Wesener, wollten ursprünglich von den Experten wissen: Steckt der Berliner Kunstmarkt in der Krise? Wie könnte die Politik die Bedingungen zu verbessern?

Das Wort Krise hat nun eine neue Bedeutung bekommen. Seit dem Wochenende haben etliche private Galerien ihre Ausstellungen geschlossen. Fast alle bieten Interessenten auf Nachfrage Einzeltermine an. Andere machen weiter, denn außerhalb der Eröffnungsfeiern, sind die Ausstellungen ohnehin oft recht leer.

Gallery Weekend kann nicht wie geplant stattfinden

Maike Cruse musste ebenfalls Konsequenzen ziehen: Das Gallery Weekend, ein Wochenende von 1.bis 3. Mai mit langen Galerie-Öffnungszeiten, Vernissagen, und exklusiven Veranstaltungen, kann nicht wie geplant stattfinden. „Viele internationale Sammler kommen jetzt nicht nach Berlin“, sagt Cruse, die Chefin des Events.

Um den Galerien trotzdem etwas zu bieten, soll das Galerienwochenende zusätzlich im Herbst parallel zur „Berlin Art Week“ stattfinden. Das glamouröse VIP-Dinner und die „Welcome Reception“ für geladene Gäste sind auf den Herbst verschoben.

Die Frage bleibt: Wie geht es den Berliner Galerien, in einer Stadt, die sich seit den 2000er Jahren zum boomenden Kunststandort entwickelt hat, in der etwa 8000 bildende Künstler und Künstlerinnen leben und arbeiten?

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„Die Rahmenbedingungen in Berlin sind nicht gut“, sagt Galerist Werner Tammen. Von einem „Negativtrend“ in Berlin sprach er bereits 2016. Tammens Galerie für zeitgenössische Kunst existiert seit 40 Jahren – so lange wie nur wenige am Ort. In 1980er Jahren war sie auf satirische Medien und Comics spezialisiert, heute vertritt Tammen vor allem Maler und Bildhauerinnen. Seine Künstler sind mit ihm gewachsen.

Er ist außerdem Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Galerien (lvbg). Diese Interessenvertretung mit rund 70 Mitgliedern versucht in den Reihen der Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Kultur seit Jahren darauf aufmerksam zu machen, welch großen Anteil die Galerien an der Attraktivität des Kunst- und Kulturstandorts Berlin haben und wie prekär andererseits die Situation vieler Mittelständler ist.

Eine Umfrage wollte wissen: Wie ist die Stimmung in der Branche? Das Ergebnis: nicht besonders gut

41 Prozent der hiesigen Galerien machen weniger als 100 000 Euro Umsatz im Jahr. Zehn Prozent liegen im oberen Bereich von einer Million Euro oder mehr. Diese Zahlen lieferte eine Online-Befragung, die der lvbg im Sommer 2019 unter 185 in Berlin ansässigen Galerien durchführte.

Man wollte auch wissen: Wie ist die Stimmung in der Branche? Das Ergebnis bestätigte: nicht besonders gut. 20 Prozent schätzen die Aussichten als ungünstig ein, weitere 56 Prozent als stagnierend. Nur knapp ein Viertel der Galeristen beurteilt die mittelfristigen Geschäftsaussichten als günstig.

84 Prozent der Betreiber würden heute keine Galerie mehr eröffnen

Was aufhorchen lässt: Mit dem Wissen von heute würden 84 Prozent der Betreiber keine Galerie mehr eröffnen. Ein sehr hoher Wert verglichen mit anderen Branchen, denen dieselbe Frage gestellt wird.

2014 sprach der Galerienverband noch von mehr als 450 Berliner Kunstgalerien. Laut der neuen Zählung sind es 339. Gerade im Segment der besonders ambitionierten Galerien, die viel Aufbauarbeit für junge Künstler leisten, hat es in den vergangenen Jahren etliche Schließungen gegeben. Ohne Geld im Hintergrund oder einen klassischen, etablierten Künstler, der zuverlässige Verkäufe garantiert, halten viele wirtschaftlich nicht lange durch.

Aber auch große internationale Player mit mehreren Dependancen geben auf, zuletzt die in der Potsdamer Straße angesiedelte Galerie Blain Southern. „Was Berlin ausmacht sind die fantastischen Galerien, viele bieten ein herausragendes Programm“, sagt Maike Cruse. Am offiziellen Programm des Gallery Weekend dürfen handverlesene Galerien nur auf Einladung, teilnehmen. Etwa 50 sind es jedes Jahr.

„Das Problem ist, es kommen immer wenige junge Galerien nach“, sagt Cruse. Grade in Berlin, das für Experimente und frische, junge Künstler steht, bricht der Händlernachwuchs weg. Die steigenden Mieten sind nicht einmal das größte Problem. Die von sieben auf 19 Prozent angehobene Mehrwertsteuer.

„Wenn man auf einer Messe steht und der Kollege aus Österreich zahlt nur sieben Prozent Mehrwertsteuer ist man sofort nicht mehr konkurrenzfähig“, sagt Werner Tammen. Umschiffen können das nur die großen Unternehmen. Da die Mehrwertsteuer eine Bundesangelegenheit ist, hilft hier höchstens der Appell an Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Die hat im Zuge der Coronakrise versprochen, Unternehmern und Kreativen zu helfen.

Den meisten Umsatz machen Galerien auf Messen

Den meisten Umsatz generieren Galerien nicht durch Kunden im Laden, sondern ausgerechnet auf Messen. Daniel McLaughlin, der am vergangenen Wochenende eine Galerie im neuen Suhrkamp-Gebäude eröffnete und zuvor bei der renommierten Kunstmesse Art Basel tätig war, schätzt: Berliner Galerien generieren 20 Prozent ihres Umsatzes am Standort, den Rest auf Messen oder anderswo.

Rund 400 000 Euro müsse er jährlich investieren, um weltweit an den relevanten Kunstmessen teilzunehmen, rechnete Galerist Thomas Schulte bei einer Veranstaltung des Verbunds Berliner Industrieller (VBKI) vor. So manche Galerie muss dafür auf ihren Dispokredit zurückgreifen.

Selbst wenn junge Galerien kleinere Stände mieten können, 20 000 Euro sind sie mit Transport, Produktion und Personalkosten trotzdem leicht los. Und es ist nie sicher, ob die Verkäufe die Ausgaben decken. Gemälde von jüngeren, noch wenig etablierten Künstlern liegen im mittleren vierstelligen Bereich. Davon gehen 50 Prozent an den Künstler. Man muss gut verkaufen. Oft gelingt das nicht.

Viele Galeristen klagen über eine zunehmende Unprogonstizierbarkeit der Verkäufe. Die Zahl der Kunstmessen weltweit stieg bislang enorm, die Mobilität der Sammler ebenso. Kamen Sammler früher relativ verlässlich jedes Jahr zu bestimmten Messen, ist das Verhalten mittlerweile sprunghafter geworden. Und jetzt mit der Coronakrise unvorhersehbar.

Einen großen Knall gab es in der Szene Ende 2019, als die "art berlin" eingestellt wurde

Was würde die Bedingungen verbessern? Ankaufsetats für Berliner Museen und Messeförderung, da sind sich der Galerienverband und Maike Cruse einig. In den europäischen Nachbarländern wird eine Förderung der Galerien als Werbung für den Standort gesehen. Das österreichische Bundesministerium für Wirtschaft etwa erstattet den Galerien die Hälfte ihrer Kosten für ausländische Messen. Ähnlich sei es in Skandinavien oder Portugal, sagt Tammen.

Von außen ist es kaum nachzuvollziehen, dass Berlin einerseits für Kunst und Kultur steht, andererseits Probleme hat, eine eigene Kunstmesse auf die Beine zu stellen. Einen großen Knall gab es in der Szene Ende 2019, als eine der beiden lokalen Kunstmessen, die „art berlin“ eingestellt wurde. Die Messegesellschaft Köln war erst 2017 bei der „art berlin“ eingestiegen. Sie investierte einiges. Aber zu wenig. Und die hiesigen Politiker sahen sich erstmal nicht in der Pflicht.

„Ein großer Imageschaden für Berlin“, sagt Maike Cruse, die auch der „art berlin“ als Direktorin vorstand. An den Standort glaubt sie trotzdem.

Das tun auch andere, Galerist Alexander Duve zum Beispiel, der mit jungen angesagten Malern wie Oli Epp und Catherine Hoffman arbeitet. „Ich glaube, dass Berlin als Kunststandort richtig gut ist und noch viel besser wird in den nächsten Jahren“, sagt er. Neue, junge Sammler zögen in die Stadt, etablierte Sammler verlegten ihre Zweitwohnsitze hierher.

Duve selbst, der seine Galerie 2007 eröffnete, hat sein Geschäftsmodell kürzlich geändert. „Ich nehme nicht mehr an Messen teil und vertrete keine Künstler mehr“, sagt Duve. Stattdessen arbeite er nur noch projektbezogen mit Künstlern, verkaufe ihre Werke auf Kommission. Da die Miete an seinem früheren Standort sich verdoppelt hatte, veranstaltet er seine Ausstellungen jetzt an dem Ort, an dem er auch wohnt.

Damit das durch die Auswirkungen des Coronavirus beeinträchtigte Gallery Weekend im Herbst parallel zur Art Week noch einmal stattfinden kann, hat die Senatsverwaltung für Wirtschaft Geld in Aussicht gestellt.

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