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Berlin: Die Überläufer

Die Mannschaften ihrer Heimatländer sind raus. Jetzt jubeln die Berliner Minderheiten für die Deutschen

Die Warteschleifenmusik (natürlich Mozart) läuft verdächtig lange. Man spürt, wie im Hintergrund der diplomatische Apparat rotiert. Die Anfrage ist heikel: Wem drücken die Österreicher in Berlin beim Halbfinal-Spiel die Daumen? „Ist das eine offizielle Anfrage?“ – „Ja.“ Wieder Mozart im Hörer. Dann meldet sich eine tiefe Männerstimme, sie gehört Rupert Weinmann, zuständig für EU-Fragen bei der österreichischen Botschaft in Berlin. „Ich darf unseren Staatssekretär für auswärtige Politik zitieren: Möge die bessere Mannschaft gewinnen.“

8000 Österreicher sollen sich dauerhaft in Berlin aufhalten – so viele sind das nun auch wieder nicht. Wichtiger ist, dass sich die deutsche Nationalmannschaft im Spiel gegen die Türkei auf die Fans aus den großen Berliner Communities verlassen kann. Und das kann sie. Mit Ausnahme der türkischen Berliner scheinen fast alle Migrantengruppen heute Löw-Ballack-Poldi-Schweini-Anhänger.

Auch die rund 44 000 Polen. „Es gibt nicht so viele Verbindungen in die Türkei“, sagt Andreas Rosenthal vom „Polnischen Sozialrat“. Zur deutschen Elf fühle man sich schon wegen der polnischstämmigen Stürmer Podolski und Klose verbunden. Die Berliner Russen, vermutet Ildar Nazyrov von der Online-Zeitung „007-Berlin“, fänden ein Endspiel Deutschland-Russland interessanter als ein Match gegen die Türkei. Die 14 000 Berliner Italiener stehen fest an der Seite der Deutschen, verspricht Fabio Angilé, Chef der „Osteria No. 1“ in Kreuzberg. Sein Wunschfinale: Deutschland gegen Spanien – allerdings fürchtet er, dass die Russen die Spanier im zweiten Halbfinalspiel niederringen könnten.

Für die Berliner Türken ist die Beziehung zu ihrer Nationalmannschaft ambivalent. Wer sich als Kurde fühlt, wird vor dem Fernseher zum türkenhassenden Separatisten, auch wenn er öffentlich seine Identität verschleiert. „Die Hälfte der Berliner Türken – wenn nicht mehr – sind eigentlich Kurden“, sagt Feszan Aktas vom kurdischen Hilfsverein. „Viele bekennen sich nicht dazu – aus Angst.“ Deswegen werden die kurdischen Autoflaggen, die der Verein zur Europameisterschaft produzieren ließ, kaum verkauft. Bei der Fußball-WM 2014 – da ist sich Aktas sicher – werden seine Landsleute einer irakisch-kurdischen Nationalmannschaft zujubeln können. Solange müssen sie ersatzweise die deutsche Elf anfeuern.

Ähnlich geht es den Exil-Iranern. „Iran war vor der Revolution eine Fußballmacht“, erinnert Hamid Nowzari vom Verein Iranischer Flüchtlinge. „1978 waren wir bei der WM dabei.“ Jetzt plage die Iraner in Sachen Fußball ein Minderwertigkeitskomplex, insofern beneide man die Türken um ihren Höhenflug. Die Religion spiele bei der Wahl des persönlichen Favoriten aber keine Rolle, versichert Nowzari. Schon in den 70er Jahren hielt er die deutsche Nationalelf für weltweit maßgebend. Gerd Müller und Günter Netzer waren seine Helden. Jetzt hofft er auf einen „frischen Auftritt“ der Deutschen gegen die Türken. Nazar Mahmood, Leiter des arabischen Kulturinstituts, wünscht „Deutschland den Sieg“ – schließlich ist er inzwischen selbst Deutscher und muss seinen Freunden im Irak Rechenschaft ablegen, wenn die deutschen Kicker mal wieder gepatzt haben. Der Glaube, sagt auch Mahmood, habe im Fußball nichts zu suchen.

Die 11000 Kroaten haben sich ebenfalls mit den Deutschen solidarisiert, versichert Mijo Maric, Vorsitzender des kroatischen Weltkongresses. Die 10 000 Griechen dem Vernehmen nach auch. Die Berliner Tamilen wünschen Löw gutes Gelingen. Ebenso die afrikanische Community – Onwuka Eme von der „Faso-Initiative“ rechnet mit einem 3:0. Auch die Österreicher, wagt Diplomat Weinmann zu spekulieren – „halten die Deutschen wohl für die bessere Mannschaft“.

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