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Berlin: Die Unvergessenen

Vor 60 Jahren explodierte im Treptower Hafen das Ausflugsschiff Heimatland – 28 Kinder starben. Gestern wurde ihrer gedacht

Der 5. Juli 1951 war ein heißer Sommertag. Klaus Günterberg, damals acht Jahre alt, saß unter Deck, dicht gedrängt mit vielen anderen Kindern in der Kajüte des Ausflugsdampfers „Heimatland“. Er beobachtete den Käpt’n vorne im Steuerhaus, als plötzlich eine Stichflamme auf ihn zuschoss. Panik, Schreie. „Es war grauenhaft“, erinnert sich der heute 67-Jährige. Gemeinsam mit 127 sechs- bis neunjährigen Volksschulkindern aus Prenzlauer Berg war er während der staatlichen Ost-Berliner Ferienspiele im Treptower Hafen an Bord gegangen. Die Müggelspree war ihr Ziel, doch es wurde ein Ausflug in den Tod. Das Schiff explodierte, 28 Kinder starben in den Flammen oder ertranken. Genau 60 Jahre später wurde der Katastrophe am gestrigen Dienstag gedacht: im Treptower Hafen und auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde.

„Zum Gedenken an das Schiffsunglück, bei dem 30 Personen, darunter 28 Kinder, ihr Leben verloren“, steht auf einer schlichten Steinplatte am Treptower Hafenkai. Und an der Gedenkstätte in Friedrichsfelde sind die Namen nahezu aller getöteten Mädchen und Jungen auf Marmorplatten eingraviert. 16 Opfer wurden davor bestattet. Ihre einzelnen Grabsteine lässt die „Interessengemeinschaft Historische Friedhöfe Berlin“ zur Zeit von einem Steinmetz überarbeiten.

Anlässlich der Ost-Berliner Ferienspiele waren damals zahlreiche Motorschiffe unterwegs. Die „Heimatland“ gehörte zwar Kapitän Erich Weise, fuhr aber im Auftrag der Deutschen Schiffs- und Umschlagzentrale (DSU), einer staatlichen DDR-Reederei. Einige Tage zuvor hatte es Probleme mit dem Dieselmotor gegeben, ein neuer Antrieb musste schnellstens her. Denn die wenigen Schiffe, die den Krieg überlebt hatten, wurden dringend gebraucht, außerdem war Weise finanziell auf Charterfahrten angewiesen. Weil Dieselaggregate knapp waren, machte die DSU Druck, doch einen Benzinmotor zu nehmen – obwohl sich Benzin im Gegensatz zu Dieselsprit durch einen Funken schon bei relativ geringen Temperaturen entzünden kann. Beim Einbau wurden außerdem Fehler gemacht. Die Folge war ein Vergaserbrand, knapp zehn Minuten, nachdem das Schiff abgelegt hatte. Der Tank explodierte mit 400 Litern Benzin, sekundenschnell ergriffen die Flammen das gesamte Schiff.

Klaus Günterberg hat die schweren Verbrennungen und den Schock, den er erlitt, erst nach vielen Jahren überwunden. Aber die Bilder hat der Arzt, der eine Praxis in Marzahn betreibt, noch genau vor Augen. „Schon als wir an Bord gingen, roch es unangenehm nach Kraftstoff“, erzählt er. Eigentlich sollte seine Klasse mit einem anderen Dampfer starten, doch Kinder, die tags zuvor mit der „Heimatland“ unterwegs gewesen waren, wollten nicht mehr auf dasselbe Schiff. Es habe nach Sprit gestunken, sagten sie. Also musste Günterbergs Klasse an Bord. „Dort schloss man uns erst mal im Deckshaus ein, um das Herumgerenne zu unterbinden“, erzählt er. So waren die Kinder dem Flammeninferno ausgeliefert. Als die Türen endlich geöffnet wurden, stürzten sich viele ins Wasser. Wer nicht schwimmen konnte, ertrank. Klaus Günterberg „paddelte wie ein Hund“, ein Angler zog ihn aus der Spree.

Die schnellste Hilfe brachte ein Passagierkahn, der spreeaufwärts unterwegs war. Der Kapitän der „Elfriede“ steuerte dicht an das Unglücksschiff heran und übernahm Kinder. Passanten waren in die Spree gesprungen und zogen andere aus dem Wasser. Die Volkspolizei eilte herbei, Retter aus dem Westteil kamen mit Verzögerung. Die Grenzkontrolleure hatten sie nicht durchgelassen. Mehr als 60 teils schwer Verletzte kamen in Kliniken. „Heimatland“-Eigner Erich Weise wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Aus Sicht des Tagesspiegels damals hatte auch die DDR-Reederei Schuld. Der Einbau des Motors sei dort angeordnet worden, steht in der Ausgabe vom 17. Juli 1951. Es gab keinen Sicherheitscheck.

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