zum Hauptinhalt
Tatwerkzeug: das verschleppte Kajak, wie es die Polizei fand. Muscheln waren darauf, sie wurden aber nie richtig untersucht.

© Tagesspiegel

Update

Nach Tagesspiegel-Recherchen im Maskenmann-Prozess: Diese Fragen zum Alibi sind noch offen

Wie sicher ist das Alibi eines Ex-Polizisten? Die Staatsanwaltschaft will die Beweisaufnahme im "Maskenmann"-Fall nicht neu aufrollen. Die Verteidigung sieht das anders. Doch viele wichtige Details ist noch nicht geklärt.

Im Prozess um den Maskenmann gibt es nach dem Tagesspiegel-Bericht über Ungereimtheiten bei den Ermittlungen zu zwei Überfällen 2011 und einer Entführung 2012 durch jeweils einen maskierten Täter täglich neue Entwicklungen. Viele Fragen bleiben allerdings weiterhin zu klären, auch bezüglich eines von drei Alibis für einen möglichen Verdächtigen, eines Ex-Polizisten.

Am Dienstag ließ das Brandenburger Polizeipräsidium wissen, dass ein in den Fokus geratener früherer Polizist der Brandenburger Polizei Anzeige gegen seine getrennt von ihm lebende Frau gestellt hat. Konkret geht es um einen Ex-Polizisten, der bei der Entführung des Berliner Bankers Stefan T. im Oktober 2012 noch Pilot bei der Hubschrauberstaffel der Polizei Brandenburg war. Wie berichtet, war für die Ermittler der bereits im Gericht behandelte Verdacht gegen den Piloten mit einem Alibi entkräftet. Auch für die beiden anderen Taten soll er deshalb nicht in Frage kommen: die Angriffe auf die Unternehmerfamilie P. im August und Oktober 2011, wobei der Täter einen Sicherheitsmann angeschossen hatte. Zu den Alibis bei diesen Taten hat sich die Staatsanwaltschaft bisher nicht geäußert. Das Handy des Beamten war bei allen drei Taten in der jeweiligen Funkzelle der Tatorte eingeloggt.

Ungeachtet der vielen aufgeworfenen Fragen sieht die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) weiterhin keinen Anlass, dem Verdacht nach einem möglichen anderen Täter nachzugehen und weitere Ermittlungen aufzunehmen - was inzwischen Grüne und CDU in Brandenburg fordern.

Die Aussagen der Ehefrau gegenüber dem Tagesspiegel hatten Zweifel am Alibi des Beamten bei der dritten Tat aufkommen lassen. Welches Delikt der Mann anzeigte – ob Verleumdnung, üble Nachrede oder falsche Verdächtigung –, wollte die Polizei nicht mitteilen. Das Landeskriminalamt ermittelt jetzt.

Wie so oft in dem seit einem Jahr dauernden Prozess geht es um kleinste Details, um Widersprüche in den Aussagen. Wie berichtet, war der Beamte am 6. Oktober 2012, um 4 Uhr am Morgen nach der Entführung, zum Dienst nach Ahrensfelde-Blumberg gerufen worden. Laut Dienstzeiterfassung war er dort von 6 bis 10 Uhr, so teilte es die Staatsanwaltschaft zumindest mit, und habe von dort auch einmal zwischendurch telefoniert. Wie genau diese Erfassung funktioniert, war bis zum Mittwochmittag noch nicht zu recherchieren. Auch ist unklar, ob es einen Zeugen in der Dienststelle gibt.

Laut Emittlungsbericht soll der Beamte um 4 Uhr „zum Einsatz gebracht worden sein“. Die Fahrt vom Wohnort zur Arbeit dauert allerdings höchstens eine Stunde. Und die Entführung geschah schon am Vorabend. Zu diesem Zeitpunkt war der Beamte nicht im Dienst.

Ermittlungen gegen Polizisten fehlen in den Akten

Entlastend wird nun der Anruf angeführt. Um 7.50 Uhr am 6. Oktober 2012 soll der Mann laut Angaben der Staatsanwaltschaft von der Dienststelle telefoniert haben. Bei der Hubschrauberstaffel gab es in seiner Dienstzeit nicht viel zu tun, der Flug eines Hubschraubers war jedenfalls nicht zu koordinieren. Der Anruf von ihm von einem Diensttelefon sei durch einen Zeugen bestätigt worden. Falls es allerdings keine Zeugen und keine geprüfte elektronische Erfassung des gesamten Dienstes gegeben haben sollte, würde sich das Alibi einzig auf diesen Anruf beschränken. Falls es so sein sollte. Es wäre zumindest von den Ermittlungsbehörden zu prüfen. Gegenüber seinem Arbeitgeber, der Brandenburger Polizei, nahm es der Beamte nie genau mit der Wahrheit. Am 7. und 8.10.2012, nach der Entführung, meldete er sich krank, jobbte aber schwarz bei einer Hubschrauberfirma. Hinzu kommt der Klau von Hubschrauberteile der Polizei und der Abtransport dieser Räder zu einer privaten Firma - und zwar unbemerkt während seiner Arbeitszeit. Dabei war es dem Mann 2012 nachweislich gelungen, unbemerkt von seinen Vorgesetzten und unmittelbaren Mitarbeitern zwei große Hubschrauberräder mit einem Gesamtgewicht von etwa 50 Kilogamm und einem Wert von mehr als 20.000 Euro mit seinem Privatfahrzeug von einem Sicherheitsgelände (der Fliegerstaffel der Brandenburgs und der Bundespolizei) auf ein anderes, etwa 70 Kilometer entferntes Sicherheitsgelände (den Hangar der privaten Firma auf dem Flughafen Schönefeld) zu bringen - das geschah offenbar in seiner Spätschicht. Ihm droht Anklage wegen Bestechlichkeit und Geheimnisverrat. 2013 verließ er die Polizei, nachdem ihm dies nahegelegt worden war.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Entführer in den Morgenstunden, in denen der Beamte im Dienst gewesen sein soll, das auf eine Schilfinsel verschleppte Opfer gezwungen hat, Erpresserbriefe zu schreiben. Zudem soll der Entführer bis zum Abend bei Stefan T. gewesen sein, der sich am Morgen danach nach eigenen Angaben selbst befreien und flüchten konnte. Daher komme der Beamte als Verdächtiger nicht in Frage. „Gegenteilige Bekundungen eventueller Zeugen sind hier nicht bekannt, so dass kein Anlass seitens der Staatsanwaltschaft besteht, den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme zu beantragen“, hieß es bereits am Montag.

Die Verteidigung des angeklagten Berliner Dachdeckers Mario K. - für dessen Taten es bisher nur Indizien gibt - wiederum sieht sehr wohl genügend neue Informationen. Anwalt Axel Weimann, der am Freitag sein Plädoyer halten soll, will aus den Aussagen des Entführungsopfers etwas anderes herausarbeiten: Demnach soll das Opfer in der fraglichen Nacht, gefesselt und die Augen verbunden, nur wenig gehört haben. Es habe einige Stunden keinerlei Kommunikation zwischen Täter und Opfer gegeben. Vielmehr sei das Opfer in einen „Dämmerschlaf“ gefallen und soll erst gegen 11 Uhr gezwungen worden sein, die Erpresserbriefe zu schreiben. Laut Angaben der Frau desd früheren Polizisten im Tagesspiegel war ihr Mann nicht direkt nach seinem Dienst, der laut Dienstplanerfassung um 10 Uhr endete, nach Hause gekommen, sondern erst am frühen Abend. Was in der Zwischenzeit geschah, ist deshalb weiterhin unklar. Die Frau ist bisher von der Polizei nicht befragt worden.

Es wurde nicht in alle Richtungen ermittelt

Was Verteidiger Weimann aber noch viel mehr interessiert, ist die Frage, warum die Ermittlungen gegen den Polizeibeamten nicht in den Prozessakten auftauchen. Während die Verfahren gegen andere Personen, gegen die der Verdacht nach Prüfung fallen gelassen wurde, darunter auch aus dem Rockermilieu, in den Akten auftauchen, gebe es zu dem Beamten nur einen kurzen Vermerk zum Alibi und zu den Dienstzeiten. „Es sieht merkwürdig aus, dass ausgerechnet zu einem Polizeibeamten die Unterlagen nicht dabei sind“, sagte Weimann am Montag. Es sei völlig unklar, warum genau gegen den Beamten ermittelt und dieser möglicherweise sogar observiert worden war. „Wenn dann nichts in den Akten steht, wird man hellhörig. Dieses Misstrauen aber wollten Staatsanwaltschaft und das Gericht nicht zerstreuen.“

Tatsächlich hatte das Gericht den Antrag Weimanns abgelehnt, die Akten zu dem Beamten ins Verfahren einzuführen. Das nun die von dem Piloten getrennt lebende Ehefrau ihm – wie berichtet – für den Abend der Entführung und auch für die Zeit nach dem Dienst kein Alibi geben mag, spielt dabei kaum noch eine Rolle. Befragt wurde die Frau von der Polizei bisher nicht.

Vieles im Verfahren bleibt im Vagen. Beamte hatten beklagt, dass von Beginn an nicht in alle Richtungen ermittelt wurde.

Dem 47-jährigen Mario K. werden versuchter Mord, versuchte Tötung, gefährliche Körperverletzung und schwere räuberische Erpressung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft sieht seine Schuld auf Grundlage vieler Indizien, aber ohne direkten Beweis und ohne offensichtliches Motiv, höchstens Hass auf Reiche, als erwiesen an. Sie fordert lebenslange Haft, die Nebenkläger zudem anschließende Sicherungsverwahrung.

Polizei rekonstruierte mit falschem Kajak

Auf die vielen anderen Details des Tagesspiegel-Dossiers, die die Ermittlungen und die Anklage in Zweifel ziehen könnten, ging die Staatsanwaltschaft bisher nicht ein. Dazu zählt das Tatwerkzeug, ein Kajak, mit dem der Entführer sein Opfer Stefan T. durch den Storkower See gezogen haben soll. Die Polizei hatte ein geputztes, hergerichtetes Kajak präsentiert, auch im Gericht. Doch wie das erstmals vom Tagesspiegel gezeigte Foto von dem am See gefundenen Boot zeigt, sah es ganz anders aus. Ein LKA-Gutachter stellte Kieselalgen und Bodenhaftungen fest, in der Sitzmulde „mehrere Aufwachsungen von Muscheln“. Die LKA-Gutachter stellen fest, dass das Boot längere Zeit unter Wasser gelegen haben muss. Ob das Kajak fahrtüchtig war, wurde nie geprüft. Die Polizei rekonstruierte die Tat mit einem baugleichen, intakten Kajak. Die Version von der Entführung ist zudem voller Ungereimtheiten. So wies das Opfer Stefan T. trotz stundenlangen Ausharrens in der Kälte und trotz einer Flucht durchs Sumpfgebiet keine Verletzungen auf, Hinweise auf einer Unterkühlung gab es offenbar ebenfalls nicht. Untersucht wurde Stefan T. nach der Tat nicht, obwohl dies Polizeistandard ist.

Die Staatsanwaltschaft ließ auf Nachfrage dazu wissen: Es sei jetzt nicht der Zeitpunkt. auf jedes Detail einzugehen. Vielmehr habe man mit der Erklärung zum Alibi versucht, grundsätzlich Position zu der Anklage zu beziehen.

Unsere ausführliche Exklusiv-Recherche mit neuen Indizien und Widersprüchen im Maskenmann-Prozess finden Sie hier.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false