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Berlin: „Dieter Bohlen? Den kenn ich gar nicht!“

Auf dem Bundespresseball wurde bis tief in die Nacht getanzt und getuschelt. Ausgerechnet ein berühmtes Verlagshaus hatte unter die üblichen Honoratioren aus Politik und Wirtschaft ein besonders fragwürdiges Exemplar der Star-Society geschmuggelt

Eigentlich war das Thema des diesjährigen Bundespresseballs ja klar. Bringt Joschka Fischer seine Neue mit, und wie präsentiert er sie den Fotografen? Schließlich war an seinem Tisch ein Platz frei geblieben, zufällig genau der an seiner Seite, und zufällig trug dieser Platz auch kein Tischkärtchen. Na also, die Story war wirklich klar wie eine kalte Winternacht. Aber dann kam der Bundesaußenminister allein, und der blonde Rauschgoldengel, der kurzfristig an seiner Seite gesichtet wurde, war vielleicht jemand vom Protokoll, jedenfalls nicht seine Begleiterin („War die nicht schwarzhaarig, als sie in der Bunten stand?“, tuschelte der Chor altgedienter Bonner Rundfunkreporter im Entrée des Salon Potsdam). Joschka also nahm an einem Tisch ganz hinten Platz, an dem auch der sehr nette US-Botschafter saß mit seiner fast noch netteren Frau, und auf dem freien Platz neben ihm ließen sich im Verlauf des Abends verschiedene Huldiger nieder, die mal gern so richtig wichtig über den Frieden in der Welt reden wollten. Oder worüber sonst man beim Ball mit dem Außenminister so redet.

Die Kolumnistin der Bunten jedenfalls fand, dass es so ja nur die halbe Story sei, und überlegte ernsthaft, ob sie ihn überhaupt ansprechen sollte, was ja, weil der immer so furchtbar grantig ist, kein Vergnügen ist.

Die anderen hatten längst ein neues Gesprächsthema gefunden. Dieter Bohlen! Beim Bundespresseball! Ja, geht denn das überhaupt? Die Veranstalter von der Bundespressekonferenz ließen zwar schuldbewusst immer wieder durchsickern, dass sie ihn nicht gerne eingeladen hätten und nur aufgrund eines dringlichen Wunsches des Springer-Verlages, der schließlich ein wichtiger Sponsor sei. Und schließlich sitze Dieter ja auch am Tisch von Mathias Döpfner, dem Oberboss von Springer. Und der, so tuschelten manche, habe sogar extra seinen Sitz am Tisch des Bundespräsidenten aufgegeben, nur weil dieser, schon qua Amt zur Ernsthaftigkeit verpflichtet, keine Lust hatte, am Tisch von Dieter Bohlen zu sitzen.

„Wenn er eingeladen wurde, finde ich es gut, dass er gekommen ist“, flüchtete sich Klaus Wowereit, um ein Statement gebeten, in eine typisch leere Politikerfloskel. Vielleicht musste sich der Regierende Bürgermeister auch nur erholen von einer bescheidenen Bemerkung beim Einlaufen in den VIP-Saal: „Gegen Dieter kann ich sowieso nicht an.“ Guido Westerwelle, der sich in der Welt der Bohlens bekanntlich mehr zu Hause fühlt, als es einem ernsthaften Politiker gut zu Gesicht steht, konnte wie üblich nicht genug kriegen und fragte gleich gierig: „Wo ist Thomas Anders?“

Da fragen wir lieber einen richtigen Top-Manager, den Schering-Chef Hubertus Erlen. Der durfte neben Bohlen-Freundin Estefania (supersexy im stretchigen roten Abendkleid) sitzen und damit fast neben dem Schöpfer der modernen Superstars selber. Man könne sich mit Dieter Bohlen sehr gut und vor allem auch sehr ernsthaft unterhalten, schwärmte er. Sie hätten über die New Economy geredet und über die Fusionen im Musikgeschäft, und da kenne er sich aus. „Wirklich!“ Das beweist zunächst einmal nur, dass das Sitzen neben Estefania die Wissbegierde eines Mannes offenbar in gleicher Weise fördert wie seine Begeisterungsfähigkeit. Aber Erlens Frau Anna-Maria, immerhin im Vorstand des feinen und hochgebildeten Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins zur Förderung der Gemäldegalerie, ergänzte ohne erkennbare Eifersucht: „Dieter Bohlen wollte ich immer schon mal kennen lernen.“

Der millionenschwere Mäzen Hartwig Piepenbrock sah das alles etwas cooler: „Dieter Bohlen? Den kenn’ ich gar nicht! Können Sie mir den nicht mal zeigen?“ An Sabine Christiansen, deren Meinung in diesem Zusammenhang sicher wertvoll gewesen wäre, kam man wie üblich nicht ran, denn sie war immer so umringt wie ein richtiger Superstar. Falls man das heute ohne Dieters Hilfe noch werden kann. Irgendjemand erinnerte daran, dass der Dieter schließlich selber Autor sei. Klar, aber einer, der schreiben lässt, igitt. Und seine Ghostwriterin Katja Kessler, vor vier Jahren hier noch als Ball-Reporterin dabei, wurde diesmal nicht gesichtet.

Bohlen selber nimmt das charmant und flockig. Wie es ihm gefällt auf so einer hohen Veranstaltung? „Is’ okay“, sagt er und zieht das „Okay“ ein wenig in die Länge. „Kann man nicht meckern.“ Diese kleine verbale Verbeugung vor dem Spielort hat was sehr Anrührendes. (Ob er doch schreiben kann?) Bevor wir uns jetzt noch verlieben, wo es gegen Estefania ja ernsthaft keine Chance geben kann, flüchten wir uns lieber in den Profi-Hafen. „Unmöglich“ findet „Focus“- Chef Helmut Markwort mit gewohnter Prägnanz und Kürze die Bohlen-Präsenz an diesem Abend. „Oder? Was meinst du?“, wendet er sich seiner Frau, der „Bunte“-Chefin Patricia Riekel zu. „Es ist doch die Nacht des Lächelns“, sagt die in der vertraut milden Intonierung des Zentralorgans der Star-Gesellschaft. „Warum lächeln wir nicht einfach?“

Man könnte natürlich noch Mario Adorf fragen oder Dionne Warwick, aber das wäre zu einfach. Jetzt muss es gleich sein, auch wenn es schwer fällt. Okay, einen Moment noch in die Gegend träumen. Und dann, gestärkt mit einem Händedruck von US-Botschafter Dan Coats („Oh hallo, good to see you!“), geht man zu seinem Stuhl. „Entschuldigen Sie bitte, Herr Außenminister, ich bin Journalistin, vom Tagesspiegel zwar, aber immerhin. Und ich würde Ihnen gern eine etwas seltsame Frage stellen. Wie finden Sie es eigentlich, dass Dieter Bohlen heute Abend hier sein darf?“ Joschka Fischer macht sich nicht mal die Mühe hochzugucken. Er legt die Mutter aller grantigen Tonfälle in seine Stimme und knurrt: „Vergessen Sie’s!“ Was zwar der Reporterin zugegeben ein bisschen weh tut, aber andererseits auch wieder etwas beweist. Manchmal verbirgt sich die ganze Wahrheit eben schlicht in einer grantigen Bemerkung.

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