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Diskussion: Berlin 2030: Zukunft und Chancen der Hauptstadt

Politiker und Experten diskutieren beim Tagesspiegel über die Zukunft der Hauptstadt: Berlin 2030 - Chancen und Möglichkeiten.

In der Vernetzung von Forschern und Firmen und in der Förderung bestimmter Zukunftsbranchen liegen die wirtschaftlichen Chancen Berlins, während große Industriebetriebe die Ausnahme bleiben werden. Darin waren sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Berlin 2030 – Die Zukunft der Hauptstadt“ einig, die zum Abschluss der gleichnamigen Tagesspiegel-Serie am Donnerstagabend im Verlagshaus stattfand. „Die Wissenschaft ist unser einziges echtes Pfund“, urteilte der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, Eric Schweitzer. Professor Karl Max Einhäupl, der Vorstandsvorsitzende der Charité, plädierte für eine neue „Kultur der Zusammenarbeit“ zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Viel zu oft gälten Kooperationen noch als „unanständig“.

Wie die Stadt in 20 Jahren aussehen könnte und welche Weichenstellungen bis dahin notwendig sind, hatte das Prognos-Institut in einer 130-seitigen Studie im Auftrag der Berliner Bank untersucht. Die Zukunftsforscher halten 170 000 neue Arbeitsplätze für möglich – nachdem in den vorigen fünf Jahren nach Angaben des Senats bereits rund 140 000 Voll- und Teilzeitjobs geschaffen worden waren.

Christian Böllhoff, Geschäftsführender Gesellschafter der Prognos AG, sah in den von der Landesregierung festgelegten „Kompetenzfeldern“ eine richtige Wahl. Es geht um die Branchen Biotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnologien, Optik und Mikrosystemtechnik, Energietechnik, Medizintechnik sowie Verkehr und Mobilität. Böllhoff fand allerdings, dass auch der „Green Economy“ ein vergleichbarer Stellenwert zugebilligt werden müsse. So sah es auch die Grünen-Stadtentwicklungsexpertin Franziska Eichstädt-Bohlig, die sich dazu aus dem Publikum zu Wort meldete: „Das Thema Green Economy ist noch unterbelichtet“, kritisierte sie.

Der Prognos-Chef fasste weitere wichtige Erkenntnisse aus der Studie zusammen. Der demografische Wandel sei ein „wesentlicher Treiber“ der Entwicklung: Die Berliner Bevölkerung werde „nicht schrumpfen, aber altern“. In 20 Jahren werde es voraussichtlich rund 560 000 „junge Alte“ zwischen 65 und 70 Jahren geben – und darin liege angesichts der Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein wichtiges Potenzial. Mehr Zuzügler könnten dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu lindern – damit meinte Böllhoff besonders qualifizierte Arbeitskräfte aus anderen Bundesländern. Außerdem betonte auch er, Berlin sei außergewöhnlich „reich an Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen“. Gesellschaftlich bleibe die Armut ein „echtes Problem“, schon heute liege jeder fünfter Berliner finanziell nahe oder unter der Armutsgrenze.

„Es wird uns nicht gelingen, Riesen-Industrieunternehmen zum Umzug nach Berlin zu bewegen“, sagte IHK-Präsident Schweitzer. Dafür hätten kleine Firmen und Start-Ups beispielsweise im Technologiepark Adlershof, wo heute rund 15 000 Menschen tätig seien, beste Voraussetzungen für die Entwicklung und Expansion. Besonders wichtig sei es deshalb, auch den Flughafen Tegel nach dessen Schließung zum Standort für Industrie und Forschung zu entwickeln. Das Gebiet um die Heidestraße – zwischen dem Hauptbahnhof und dem Sitz von Bayer-Schering – müsse ein Quartier für die Gesundheitswirtschaft („Medical Science City“) werden. So sah es auch Senator Wolf, der als weiteres Beispiel den geplanten „Campus City-West“ rund um die TU und den Ernst-Reuter-Platz erwähnte. Durch solche Projekte schaffe man „viele Adlershofs“.

Beim Thema Bildung sprach sich Eric Schweitzer für die Berliner Schulstrukturreform mit Sekundar - und Ganztagsschulen sowie dem „dualen Lernen“ aus. Das Konzept des Senats sei „hundertprozentig richtig“, die Effekte dürften allerdings frühestens nach sechs bis sieben Jahren erkennbar werden. Diskutiert wurde auch, wie Studenten nach ihrem Hochschulabschluss in der Stadt gehalten werden können. „Wir geben jedes Jahr 1,7 Milliarden Euro für die Wissenschaft aus, aber einen Großteil des Outputs bekommen andere“, kritisierte Schweitzer. Die Ursache für Abwanderungen sei sicher nicht die mangelnde Attraktivität der Metropole, erwiderte Wirtschaftssenator Wolf. Zudem gebe es zum Beispiel für Ingenieure durchaus „zukunftssichere naturwissenschaftlich-technische Jobs“. Weltkonzerne wie der amerikanische Arzneimittelhersteller Pfizer hätten sich nicht zuletzt wegen der bundesweit einzigartigen „Internationalität“ Berlins angesiedelt. Hiesige Unternehmen täten aber noch zu wenig, um Hochschüler für sich zu gewinnen: „Auswärtige Konzerne sondieren schon im Studium an den Unis, viele Berliner Firmen erwarten dagegen, dass die Leute danach zu ihnen kommen.“

Charité-Vorstand Einhäupl stufte seinen Klinikkonzern als deutschlandweit führend ein. So sei es gelungen, allein durch eingeworbene Drittmittel knapp 3000 zusätzliche Stellen zu schaffen. Die Charité müsse aber „die Nummer eins bleiben“ – sonst würde es nicht mehr gelingen, die „weltweit besten Köpfe zu akquirieren“. Zahlungen des Landes an die Charité seien „keine Zuschüsse“, sondern Investitionen in die Bildung, betonte Einhäupl. Politiker dürften die Wissenschaft „nicht nur als Kostenfaktor sehen“.

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