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Dokumentiert: Der Brief der SPD-Spitze an die Mitglieder

Nun will die SPD doch mit der CDU koalieren - statt mit den Grünen. Der Tagesspiegel dokumentiert einen Brief von Klaus Wowereit und SPD-Landeschef Michael Müller an die Mitglieder.

Auf der Website der Berliner SPD heißt es:

"Der SPD-Landesvorstand hat am Mittwochabend einstimmig bei einer Enthaltung beschlossen, die eingeleiteten Koalitionsverhandlungen mit Bündnis 90/Die Grünen zu beenden. Dieser Schritt sei niemandem leicht gefallen, betonten Klaus Wowereit und der SPD-Vorsitzende Michael Müller in einer Mail an die Mitglieder der Berliner SPD. 'Denn obwohl es eine große Zahl gemeinsamer politischer Ziele und Ansätze von SPD und Grünen gibt, musste unsere Verhandlungskommission am Mittwochvormittag mit großem Bedauern feststellen, dass mit den Berliner Grünen eine verlässliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit gerade im Bereich wichtiger Vorhaben der Stadtentwicklung und Infrastruktur nicht möglich ist.'

Weiter heißt es in der Mail: 'Dieser ersten Koalitionsrunde waren vier vorbereitende Gesprächsrunden vorausgegangen, in denen wir mit den Vertreterinnen und Vertretern der Grünen sehr ernsthaft und über viele Stunden diskutiert haben – mit der Zielsetzung in wichtigen stadtpolitischen Fragen Kompromisse zu finden, die für beide Seiten tragbar sind. Uns allen war klar, dass es gerade aufgrund der knappen Mehrheit, die eine rot-grüne Koalition im Parlament gehabt hätte, von vornherein darauf ankam, politische Brücken zu bauen, die über den Tag hinaus Bestand haben, um nicht immer wieder über strittige Fragen zu stolpern. 

Diese strittigen Fragen ergaben sich insbesondere in den Themenfeldern Stadtentwicklung und Infrastruktur, vor allem beim Ausbau des neuen Großflughafens BER in Schönefeld und beim bereits planfestgestellten Weiterbau der Autobahn 100 von Neukölln nach Treptow. SPD-seitig haben wir gerade bei dem Autobahnprojekt große Kompromissbereitschaft an den Tag gelegt. Nicht nur, dass wir für den Fall einer Umwidmung der 420 Mio. Euro Bundesmittel zugunsten anderer Infrastrukturinvestitionen (vor allem im Bereich der Instandhaltung und Erneuerung) auf den Weiterbau in der kommenden Legislaturperiode verzichtet hätten; wir waren sogar bereit – nachdem die öffentlichen Äußerungen des Bundesverkehrsministers Ramsauer (CSU) aktuell wenig Hoffnung auf eine solche Umwidmung zugunsten anderer Projekte zuließen – einen möglichen Baubeginn bis in das Jahr 2014 zu verschieben, um ab 2013 mit einer dann hoffentlich rot-grünen Bundesregierung über die Straßenbaumittel neu verhandeln zu können. Doch auch dieser – erst am Dienstag in der Sondierungsgruppe gemeinsam vereinbarte – Kompromiss hatte für die grüne Koalitionsgruppe am Mittwochvormittag keinen Bestand mehr. Auch für diesen Fall der Fälle, sollte das Autobahnende in Neukölln definitiv festgeschrieben werden.

Diese mangelnde Vertragsfähigkeit war der Grund, warum die sozialdemokratische Verhandlungsgruppe übereinstimmend zu der Auffassung gekommen ist, dass eine Fortsetzung der Koalitionsverhandlungen mit Bündnis 90/Die Grünen nicht möglich ist. Dieser Auffassung hat sich der SPD-Landesvorstand am Mittwochabend angeschlossen. Ganz offensichtlich – so hat es zumindest der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland aus Berlin gegenüber den Medien dargestellt – war es den Grünen nach dem politischen Einknicken bei der Elbvertiefung und dem Bau des Kohlekraftwerks Moorburg in Hamburg, dem Bau einer Moselüberquerung in Rheinland-Pfalz und der drohenden Niederlage bei dem Volksentscheid zu Stuttgart 21 in Baden-Württemberg wichtiger nicht erneut Gefahr zu laufen, als Umfaller-Partei dazustehen, als politische Gestaltungsverantwortung für unsere Stadt zu übernehmen.

So sehr wir das Scheitern der rot-grünen Koalitionsverhandlungen bedauern, so wichtig ist es uns jedoch, zügig einen stabilen und handlungsfähigen Senat zu bilden. Denn die SPD hat als die Berlin-Partei am 18. September einen klaren Regierungsauftrag erhalten, uns ist Verantwortung für die Zukunft unserer Stadt übertragen worden. Eine Koalition mit der CDU ist für uns nicht die erste Wahl – das haben wir im Wahlkampf und auch danach immer wieder deutlich gemacht. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus ist sie nach dem Scheitern der rot-grünen Koalitionsverhandlungen jedoch die einzige rational mögliche Koalitionsoption. Der SPD-Landesvorstand hat daher gestern Abend ebenfalls einstimmig bei 2 Enthaltungen beschlossen, auf Grundlage der bereits erfolgten Sondierungsgespräche Verhandlungen mit der CDU aufzunehmen mit dem Ziel einer rot-schwarzen Koalitionsbildung.

Für uns ist dabei klar, dass wir auch in einer solchen Konstellation so viel sozialdemokratische Politik durchsetzen wollen, wie es möglich ist. Dabei werden wir weder von der Gebührenfreiheit der Bildung von der Kita bis zur Hochschule abrücken, noch von der Einführung der Sekundar- und Gemeinschaftsschulen sowie dem verpflichtenden Ethikunterricht. Wir halten fest an einer liberalen Innenpolitik und einer Integrationspolitik, die mit einer Willkommenskultur und nicht mit Abschreckung und Repression verbunden wird. Wir stehen zu unserem Ansatz der Rekommunalisierung zentraler Bereiche der Daseinsvorsorge und lehnen weitere Privatisierungsstrategien in diesem Bereich strikt ab. Um bezahlbaren Wohnraum für alle dauerhaft sicherzustellen, wollen wir den Wohnungsbestand der landeseigenen Gesellschaften deutlich erhöhen.

Wir wissen, dass die Entscheidung für eine Koalition mit der CDU vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht leicht fällt – auch uns nicht. Wir hoffen aber, dass wir Dir mit dieser Information erläutern konnten, was uns zu diesem letztlich unerfreulichen Schritt zwingt. Gerne wollen wir auch die direkte Kommunikation anbieten und laden Dich daher herzlich ein, zu einem außerplanmäßigen Mitgliederforum. Wir wollen dann – bevor wir in Verhandlungen mit der CDU treten – unsere Entscheidung erläutern und uns der Diskussion mit Dir und den anderen Mitgliedern stellen.'"

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