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Berlin: Doppelt gemoppelt

Zwillinge haben’s nicht immer leicht, ständig müssen sie zum Beispiel Verwechslungen aufklären. Einmal im Jahr aber machen all diese Geschichten richtig Spaß – wenn sie davon erzählen beim Treffen der gleichen Geschwister.

Den Friseur in Weißensee haben sie kürzlich ganz schön veräppelt. Erst ließ sich Manfred die grauen, schon etwas schütteren Haare schneiden. Am nächsten Tag kam dann sein Bruder Erhard in den Laden. Der Friseur blickte verdutzt. „Sie war’n doch gestern erst hier.“ Na ja, hat der Erhard da gesagt, bei mir wächst’s halt so schnell.“ Manfred und Erhard Schmeltz können solche Späße am laufenden Band erzählen. Zwei 75-jährige Herren , hellblaue Jeans, dunkelblaues Hemd, randlose Brille mit leichtem Metallgestell, weiße Schnäuzer, zwei mal Ente kross auf den Tellern in der Tierpark-Caféteria – alles gleich, selbst der Geschmack. Die beiden sind eineiige Zwillinge.

Am Sonnabend trafen sie sich mit rund 120 weiteren aus ganz Deutschland zur traditionellen Zwillingsparade in Berlin. Gemeinsam zogen sie durch den Tierpark Friedrichsfelde, vorneweg zwei Spielmannszüge. Danach stürmten 50 Doppelgänger auf einmal hungrig die Caféteria.

Zwillinge sind im Grunde leicht zu interviewen. Alter? Man muss ja immer nur eine oder einen fragen. „Halt“, ruft da Heidi Nebel (40) aus Teterow in Mecklenburg. „Ich bin 45 Minuten älter als meine Zwillingsschwester.“ Andererseits lieferten sich manche, wie die Berliner Manfred und Erhard Schmelz, sogar Kopf-an-Kopf-Rennen. Die beiden wissen, sie wurden mit Kaiserschnitt geholt. Manfred lag eine Minute vorn.

Mehrlingsgeburten kommen nicht allzu häufig vor. Nur etwa bei jeder achtzigste Geburt werden in Deutschland Zwillinge, Drillinge oder Vierlinge zur Welt gebracht. Bei den meisten, nämlich bei 98 Prozent, schreien die Neuankömmlinge allerdings im Duett. Von diesen wiederum ist laut Statistik nur jedes dritte Pärchen eineiig.

Zur alljährlichen Zwillingsparade – es war bereits die elfte in Berlin – kommen meist die Eineiigen, sagt Christian Bergel, 37, aus Spandau. Also jene, die durch ihre verblüffende Ähnlichkeit „einen exklusiven Spaß im Leben haben“. Mit seinem Bruder Andreas organisiert Christian seit 2003 den Umzug: Mal laufen sie durch den Tiergarten, mal durch Charlottenburg und jetzt durch den Tierpark. Es geht ihnen ums Wiedersehen, um den Zusammenhalt unter Zwillingen, um den Austausch von Erfahrungen, Erlebnissen.

Kerstin (43) aus Berlin wurde jüngst auf der Straße von einem Handwerker gefragt, ob sie mit der neuen Tür in ihrem Reihenhaus denn zufrieden sei. „Wie bitte,“ fragte sie, „neue Tür?“ Dann fiel der Groschen. Ihre Zwillingsschwester Antje hatte von dem Einbau bei sich Zuhause erzählt. Oder: Chaos in der Schule. Davon können viele berichten, die in derselben Klasse saßen. Wie Lehrer sie durcheinander brachten, vor allem bei der mündlichen Mitarbeit. Da erhielt der eine die schlechtere und der andere die bessere Note, obwohl ihre Leistungen gerade andersherum waren.

Manchmal könne sowas auch nervig sein, sagt Marina aus Mitte, weiße Jeans, Strickpulli in Pink, dunkle Sonnenbrille. Und zwar immer dann, wenn sie unbekannte Leute in der U-Bahn ansprechen und sie nicht reagiert. „Dann sind die sauer und halten mich für unhöflich“, sagt Marina. In dem Fall wurde sie mal wieder mit ihrer Schwester Marlies aus Britz verwechselt. Die hat am Sonnabend exakt das gleiche Outfit wie ihre Schwester. Das machen alle so bei der Parade. Im Alltag jedoch bemühen sich die meisten zumindest „textilmäßig um den kleinen Unterschied“.

Nicht mal das ist ein perfekter Verwechslungsschutz. Manfred Schmeltz hat das erfahren, als er einst in der U-Bahn in Mitte mit seiner Frau turtelte. Er wurde beobachtet – von einer Bekannten seines Bruders Erhard. Die wurde ziemlich böse und verschwand am nächsten Bahnhof. Erhards Frau lag nämlich gerade hochschwanger im Krankenhaus. Die Bekannte dachte, er gehe fremd. Und wie ist das noch mit der Seelenverwandtschaft bei eineiigen Zwillingen? „Wir sind auch innerlich in vielem gleich“, sagen Marina und Marlies. Sie haben den grünen Daumen im Garten, lieben Theater und Oper, mögen das gleiche Schuhdesign und Kohlrouladen. Nur beim Männergeschmack gibt’s Unterschiede – „Gott sei Dank“. Es hat auch umgekehrt keiner ihrer Männer plötzlich der anderen schöne Augen gemacht.

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