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Berlin: „Dreckschleuder der Nation“

Vor 25 Jahren trieb der Protest gegen das Kraftwerk Buschhaus tausende Berliner auf die Straße

Es war – vom Sonderfall Gorleben abgesehen – der erste bundesweite politische Streit um eine ökologische Frage. Das niedersächsische Kraftwerk Buschhaus entzweite zwei christdemokratisch geführte Landesregierungen, beschäftigte den Bundestag und ein Heer von Juristen und Gutachtern. Dennoch ist es aus der öffentlichen Wahrnehmung längst wieder verschwunden.

1983, die hohe Zeit der hitzigen Debatte um das Waldsterben: Schwefeldioxid aus Kraftwerksschloten war als drängendes Umweltproblem erkannt, Ingenieure tüftelten weltweit an Gegenmaßnahmen. In dieser Situation wurde im niedersächsischen Buschhaus bei Helmstedt ein 360-Megawatt-Kraftwerk gebaut, in dem besonders schwefelhaltige Salzbraunkohle aus dem Helmstedter Revier verfeuert werden sollte. Mehr Strom wurde zwar nicht gebraucht, aber die Lagerstätten mit normaler Braunkohle waren erschöpft; es ging um rund 2000 Arbeitsplätze in der wirtschaftlich notleidenden Region. Die Bürger der Umgebung wurden schon auf das Problem aufmerksam, als 1978 die Baugenehmigung erteilt wurde. Doch die Baupläne konkretisierten sich erst 1982. Zu diesem Zeitpunktschalteten sich die Grünen im Landtag mit einer Anfrage ein. Landesregierung und Betreiber hielten ihnen entgegen, eine Rauchgasentschwefelung sei aktuell weder technisch machbar noch bezahlbar. Man werde nachrüsten, sobald sich dies geändert habe.

Die Debatte wurde im Laufe des Jahres 1983 nach Berlin getragen. Hier befürchtete man, dass die Abgase aus dem mehr als 300 Meter hohen Schornstein quer durch die DDR bis nach Berlin verteilt würden. Überdies liefen zu dieser Zeit Verhandlungen mit der DDR über Luftreinhaltung, die damit hinfällig gewesen wären. Als bekannt wurde, dass das Kraftwerk noch 1984 ans Netz gehen sollte, kam es in Berlin zu Demonstrationen und Unterschriftensammlungen. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen geriet in Streit mit seinem niedersächsischen Amtskollegen und Parteifreund Ernst Albrecht. Nach einem Treffen im Februar 1984 konzedierte Albrecht, man werde durch Abschaltungen anderer Kraftwerke und Drosselung von Buschhaus sicherstellen, dass sich die Schwefelbelastung insgesamt nicht erhöhe.

In Berlin tröstete das niemanden. Diepgen sei „aufs Kreuz gelegt worden“, höhnten Kritiker. Weniger Strom, gleichbleibende Luftbelastung, mehr Schadstoffe für den Berliner Raum – das sei ein politischer Schildbürgerstreich. Die damals zusammen mit der CDU in Berlin regierende FDP setzte sich ab, und auch die Berliner CDU-Abgeordneten verwarfen die Buschhaus-Pläne Albrechts. Mehr als 4000 Menschen demonstrierten im April 1984 in Helmstedt gegen die „Dreckschleuder der Nation“, Erich Honecker schrieb den Bürgerinitiativen, er teile deren Bedenken „in vollem Umfang“.

Die niedersächsische CDU wandte sich gegen das Konzept, und schließlich sprachen sich alle vier Bundestagsfraktionen dafür aus, das Kraftwerk erst nach Einbau einer Entschwefelungsanlage in Betrieb zu nehmen. CSU-Umweltminister Zimmermann hielt sich daran aber nicht, kündigte die Inbetriebnahme ohne Abgasreinigung an – und provozierte damit sogar eine Sondersitzung des Bundestages, zu dem die Abgeordneten aus dem Urlaub zurückgerufen wurden. Dort fasste die Regierungsmehrheit aus CDU/CSU und FDP einen weiteren Kompromissbeschluss: Buschhaus solle ohne Rauchgasreinigung ans Netz gehen, aber mit Salzkohle erst nach deren Einbau betrieben und vorher so gedrosselt werden, dass der Gesamtausstoß von Schwefeldioxid in der Region sinke. Die Abgasreinigung solle nicht, wie geplant, erst 1988 eingebaut werden, sondern schon zum Juni 1987 – dafür stellte die Bundesregierung 190 Millionen Mark bereit.

Dabei blieb es. Zwar besetzten Greenpeace-Mitglieder den Schornstein, und es gelang durch juristische Manöver noch, den Betriebsbeginn hinauszuzögern. Aber am 8. März 1985 gab das OVG Lüneburg grünes Licht, Ende Juli ging das Kraftwerk ans Netz. Die Entschwefelung kam 1987. 2002 wurde das Kraftwerk erneut modernisiert – sein 308 Meter hoher Schornstein ist noch heute der höchste in Deutschland.

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