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Verrostetes DDR-Relikt: Einen Trabi fahren die meisten Wendekinder wohl nicht mehr.

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Dritte Generation Ost: Das Wissen der Wendekinder

Einen Umbruch zu erleben und zu gestalten, ist eine Kompetenz für die Zukunft. Jüngere Ostdeutsche sind fähig, solche Krisen zu meistern. Und sie sind gescheit genug, reflektiert zu scheitern.

Die Dritte Generation Ostdeutschland ist in zwei politischen Systemen aufgewachsen. Die rasanten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse haben sie als Kinder und Jugendliche an der Seite ihrer Eltern erlebt. Sie haben sich von einer Lebensform in die nächste bewegt, bewegen müssen. Ihr Bild vom neuen Land Bundesrepublik, in dem sie von heute auf morgen lebten, war ein ambivalentes und unklar vermitteltes. Sie mussten in jungen Jahren die Werte, Anforderungen und Regeln des neuen Lebensraumes bewältigen. Dabei standen ihnen nicht die für ihre Altersgenossen im Westen selbstverständlichen Ratschläge der Eltern zur Verfügung – denn die zweite Generation war mindestens ebenso orientierungslos wie ihre Kinder. Der Einschnitt 1989 bedeutete für alle Generationen in Ostdeutschland den Verlust ihrer Lebenswelt.

Individuelle Wege

Für die Bewältigung dieser besonderen Situation hat jedes Wendekind einen individuellen Weg gefunden – ob in der Heimat geblieben, abgewandert oder zurückgekehrt. Es stellt sich nun die Frage, ob Transformationskompetenzen dieser Generation für die zukünftige Gestaltung von Politik, Ökonomie und Zivilgesellschaft in beschleunigten Zeiten relevant sein könnten. Denn das kognitive und emotionale Wissen, dass es im Leben auch ganz anders und manchmal sehr überraschend kommen kann und dann doch weitergeht, ist bei der Dritten Generation Ostdeutschland tief verankert.

Hilfreiche Ansätze zur Entwicklung von Kompetenzen in Transformationsprozessen findet man in der Psychologie – hier beschäftigt sich der junge Teilbereich der Resilienzforschung mit der unterschiedlichen Befähigung von Menschen, Krisen zu meistern und untersucht Ressourcen, auf die „resiliente“ Menschen zurückgreifen. Die systemischen Beraterinnen Leila Steinhilper und Heike Brembach aus Berlin sprechen von der Kraft eines reflektierten Scheiterns – „gescheiter“ scheitern. Wer schon einmal selbst gescheitert ist oder gesehen hat, wie die Eltern sich neu erfunden haben, kann Prozesse lösungsorientierter gestalten. Die Voraussetzung ist, über die Analyse des persönlichen Scheiterns eine Bewusstheit zu eigenen Ressourcen, Potenzialen, aber auch Schwächen zu entwickeln.

Transformationskompetenzen als Ressource

Der Erschließung dieser potentiellen Transformationskompetenzen widmet sich in diesem Jahr das Generationstreffen der Dritten Generation Ostdeutschland. Das wertvolle erworbene, noch unbewusste Wissen soll reflektiert und identifiziert werden, um es als Ressource aktiver nutzbar machen zu können – für die Wendekinder selbst wie für die gesamtdeutsche Gesellschaft, die sich inzwischen auch im stetigen Umbruch befindet.

Konkrete Beispiele für die Anwendung dieser Kompetenzen gibt es unzählige: Beratungen beim Strukturwandel in ost- wie westdeutschen und anderen europäischen Regionen, die Begleitung von Nachfolge- und Umbruchprozessen in Unternehmen, die Führung von interkulturellen Teams oder die Beratung bei internationalen Friedenseinsätzen. All das ist möglich. Und erst der Anfang.

Adriana Lettrari, 34, steht dem vom Netzwerk "Dritte Generation Ost" vor. Die Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin ist in Rostock aufgewachsen und lebt in Berlin.

Adriana Lettrari

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