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Berlin: Durchschlagende Erfolge

Kiez-Projekte machen vor, wie erfolgreich Gewaltprävention bei Jugendlichen sein kann. Geldmangel aber gefährdet die Projekte

„Hey, an deinem Kick musst du noch ein bisschen arbeiten“, sagt Mesut Lencper zu einem der Jugendlichen, die an einer Bushaltestelle herumstehen. Im Nu sind sie im Gespräch und Lencper erzählt von seinem Verein Kiezboom und den zahlreichen Freizeitangeboten: Boxen und Ringen, Samuraijutsu, Breakdance, Hip- Hop. Vor allem gewaltbereite Jugendliche mit Migrationshintergrund wollen Kiezboom-Chef Mesut Lencper und sein Team erreichen, um sie davor zu bewahren in die Kriminalität abzurutschen. „Kiezboom – gemeinnütziger Verein für Jugendhilfe und Völkerverständigung“ liegt in der Reinickendorfer Straße in Wedding, mitten in einem der sozialen Brennpunkte der Stadt.

„Wir holen die Jugendlichen da ab, wo sie sind“, sagt Lencper, der selbst in dem Kiez aufgewachsen ist. „Bei uns finden sie Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren können.“ Der Erfolg gibt Kiezboom Recht. Zwischen 200 und 300 Kinder und Jugendliche nehmen pro Woche an einem der Angebote teil. Auch Polizeidirektor Frank Neukamp lobt das Projekt: „Seit Kiezboom in der Gegend aktiv ist, gibt es kaum mehr Anwohnerbeschwerden über herumlungernde Jugendliche.“

Doch wie lange die Kiezboom-Mitarbeiter das Projekt noch halten können, weiß niemand. Das Geld ist knapp. Vieles ist nur durch ehrenamtliche Helfer möglich. Eine Regelfinanzierung vom Jugendamt gibt es nicht. Zwar werden befristete Teilprojekte vom Quartiersmanagement bezahlt, doch für die laufenden Kosten bleibt da nichts übrig. „Das Jugendamt fördert nur Projekte, bei denen qualifizierte Sozialpädagogen und Erzieher mitarbeiten“, sagt Jugendstadtrat Jens-Peter Heuer. Das ist bei Kiezboom nicht der Fall, die Gruppenleiter haben lediglich eine Mediatoren-Ausbildung. „Aber wenn wir kein Geld haben, können wir auch keine qualifizierten Fachkräfte einstellen“, sagt Mesut Lencper. Nach internen Gesprächen im Bezirksamt, mache er sich auch beim nächsten Doppelhaushalt keine Hoffnung auf eine Regelfinanzierung. Kiezboom kann jetzt wohl nur noch ein Sponsor helfen.

Der Etat für Projekte in freier Trägerschaft sei nun mal begrenzt, heißt es auch aus anderen Jugendämtern. Das Kick-Projekt „Sport gegen Jugenddelinquenz“ in Marzahn-Hellersdorf, das von der Polizei, der Sportjugend Berlin und den Jugendämtern in zehn Berliner Bezirken gefördert wird, stand ebenfalls kurz vor der Schließung. Nur durch einen Zuschuss der Messtechnik-Firma Flexim mit Sitz im Bezirk konnte die Finanzierung für 2007 gesichert werden. „Ich würde mir schon wünschen, mehr Projekte verlässlich finanzieren zu können“, sagt Jugendstadträtin Manuela Schmidt. Zwar sei das ehrenamtliche Engagement in vielen Projekten sehr lobenswert, doch sei eine professionelle Basis der Arbeit nicht zu ersetzen.

„Natürlich gibt es nie genug Projekte, das Geld ist knapp“, sagt eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Dennoch unterstütze das Land Berlin eine Reihe wirksamer Projekte, wie beispielsweise den Verband Outreach, Gangway e.V. oder das Fan-Projekt. Der Etat für Jugendhilfe sei seit 2005 konstant geblieben. Zu Kürzungen und Etats aus den Jahren davor konnte die Senatsverwaltung nichts Genaues sagen.

In Nord-Neukölln klagen die Streetworker bislang nicht. „Natürlich könnte es immer noch mehr Angebote geben“, sagt Gangway-Streetworker Cengiz Tanriverdio. „Aber die Projekte und Einrichtungen, die es derzeit gibt, sind nicht davon bedroht, geschlossen zu werden.“ Vera Bethge, Regionalleiterin beim Jugendamt für Nord-Ost Neukölln, bestätigt dies. Sie erklärt das Konzept so: Das Jugendamt Neukölln lege für diesen problembelasteten Bezirk viel Wert auf Vielfältigkeit. „Statt beispielsweise fünf Einrichtungen voll zu finanzieren, erscheint es uns sinnvoller, flächendeckend viele dieser Einrichtungen mit einer Basisfinanzierung zu fördern. Das restliche Geld beschaffen die Träger sich dann über Sponsoren oder Stiftungen.“ Das Streetworker-Projekt „Gangway“ wird zu etwa 50 Prozent vom Bezirk und zur anderen Hälfte vom Senat gefördert. Stellen von Streetworkern wurden bislang nicht gestrichen. Allerdings habe kürzlich eine „Verschiebung“ stattgefunden: Als die Jugendgang „Richard 44“ vor einigen Jahren den Richard-Kiez unsicher machte, „haben wir die Gangway-Leute zunächst dahin geschickt. Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet“, sagt Bethge. Seitdem im Richardkiez „einigermaßen Ruhe herrscht“, habe man schauen müssen, „wo mehr Bedarf ist“. Dies sei im Reuterkiez im vergangenen Jahr der Fall gewesen. Deshalb kümmern sich die vier Streetworker nun in dieser Region vornehmlich um die Jugendlichen.

Auch im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg habe man bei der Finanzierung einzelner Projekte bislang nicht kürzen müssen. Die Jugendstadträtin Monika Herrmann fragt sich jedoch, ob sie das für 2008 auch noch gewährleisten kann, da der vorhandene Grundstock für Jugendsozialarbeit schon jetzt viel zu gering sei. „Es ist durchaus möglich, dass wir nach Beschluss des nächsten Doppelhaushalts Projekte schließen müssen.“ Für Monika Herrmann steht das Thema Jugendgewalt jedoch in einem viel größeren Kontext: „Wenn wir uns immer nur mit dem aktuellen Problem beschäftigen, werden wir ständig Nachwuchs jugendlicher Gewalttäter bekommen.“ Deshalb setze sie darauf, stärker in Kinder und Familien zu investieren, um „da anzusetzen, wo die Probleme entstehen“.

Beispielsweise in Familienzentren, Sprachförderungsprojekten in Kitas und Sozialarbeit in Schulen müsse viel mehr investiert werden, doch dafür fehle dem Bezirk das Geld. „Im Jugendamt haben wir schon jetzt Personalnotstand, ein Sozialarbeiter betreut 90 Fälle“, sagt Monika Herrmann. Sie könne die Forderung des Senats jährlich vier Prozent Personal zu kürzen, nicht mehr erfüllen. Die Mitarbeiter lebten schon jetzt ständig in Angst, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich ein Vernachlässigungsfall sein könnte, den sie nicht entdeckt hätten: „Ich weiß nicht, was in dieser Stadt noch passieren muss, damit Herr Sarrazin aufwacht.“

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