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Karrierediplomat. Seit mehr als 30 Jahren ist Peter Boehm im diplomatischen Dienst. Vor kurzem wurde der promovierte Historiker zum beamteten Staatssekretär seiner Regierung in Ottawa ernannt.

© Thilo Rückeis

Ehemaliger Botschafter Kanadas in Berlin: „Buschkowskys und Sarrazins Bücher sind wichtig“

In Kanada gilt der Multikulturalismus als Staatsziel. Mehr als vier Jahre lang war Peter Boehm Botschafter des Landes in Berlin. Im Interview sagt er, was er von der Integrationsdebatte und anderen deutschen Eigenheiten hält.

An manches konnte er sich bis zum Schluss nicht gewöhnen. Das deutsche Wort „Migrationshintergrund“ zum Beispiel. „Das finde ich diskriminierend“, sagt Peter Boehm im Gespräch mit dem Tagesspiegel - das komplette Interview lesen Sie unter diesem Link - und lehnt sich im Ledersessel seines Botschafterbüros am Leipziger Platz nach vorne. „Wo ich herkomme, hat jeder einen Migrationshintergrund, daher hätte so ein Begriff bei uns keine Bedeutung“, sagt Boehm.

Viereinhalb Jahre lang war der hochgewachsene Mann mit dem Dreitagebart Botschafter Kanadas in Berlin, zum Jahreswechsel verlässt der mehrfach ausgezeichnete Diplomat sein Büro mit Panoramablick auf den einstigen Mauerstreifen und steigt als parteiloser Staatssekretär in die Spitze der Regierung in Ottawa auf.

In Kanada, wo Boehm vor 58 Jahren als Kind deutschsprachiger Auswanderer aus dem rumänischen Siebenbürgen zur Welt kam, nennt man neu eingewanderte Menschen  „New Canadians“. Und die werden von den Alteingesessenen in der Regel recht freundlich begrüßt – schnellen Zugang zur Staatsbürgerschaft, umfangreiche Förderprogramme in den Schulen und feierliche Einbürgerungszeremonien eingeschlossen, wie er sagt. Etwas mehr derartige „Willkommenskultur“ würde Deutschland guttun, findet Boehm. Die aktuelle Integrationsdebatte hat der Vertreter jenes Landes, das den Multikulturalismus zum Staatsziel erhoben hat, in den vergangenen Jahren mit großer Anteilnahme verfolgt: „Ich kenne sowohl Herrn Sarrazin als auch Herrn Buschkowsky. Und ich finde, ihre Bücher sind wichtig für eine Debatte, die geführt werden muss und nicht unterdrückt werden darf“, sagt er. „Man muss nicht mit ihren Thesen übereinstimmen, aber vor allem Herr Buschkowsky hat mit seinen Erfahrungen einen wichtigen Beitrag zur Diskussion geleistet.“

Zugleich wundert es ihn, wie negativ es in Deutschland gesehen wird, wenn Einwanderer an ihrer Herkunftskultur festhalten. „Bei uns wird es gefördert, die Verbindung zur alten Heimat durch Kulturorganisationen oder auch durch Sprachkurse am Wochenende zu halten“, sagt er. So habe er als Kind in Kitchener, einer von deutschstämmigen Einwanderern geprägten Kleinstadt in der Nähe Torontos, am Wochenende eine deutsche Sprachschule besucht, wie Boehm mit dem leicht rollenden „R“ erzählt, das für den Dialekt der Siebenbürgen typisch ist und ihn ein wenig wie Peter Maffay klingen lässt. Auch engagierte er sich im Transsilvanischen Club und bei der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen. Ob er das nicht als Integrationshindernis erlebt hat? „Nein, im Gegenteil!“

Als der Karrierediplomat im Sommer 2008 mit der „Queen Mary 2“ über den Atlantik kam und sein Amt in Berlin antrat, war er erstaunt, dass Deutschland doch weniger „monolithisch“ erschien, als er es erwartet hätte. Das Zusammenspiel von Regionen, Bundesländern und Bund sowie die Vielfalt der Kulturen, zumindest in Berlin und anderen Großstädten, überraschten ihn positiv. „Wir ähneln uns in der Vielfalt mehr als erwartet.“

Zwei andere deutsche Eigenheiten stechen dafür bis heute für ihn hervor. Zum einen der deutsche Umgang mit dem Geld. „Deutschland ist ein reiches Land mit großem Wachstum, mit niedrigen Arbeitslosenzahlen – und trotzdem wollen die Leute sparen und kein Geld ausgegeben“, wundert er sich und führt das auf die historische Erfahrung der Inflation zurück, die die Deutschen bis heute vorsichtiger im Umgang mit Geld mache. „Eine Kreditkartenblase wie in meinem Land und manchen anderen Ländern kann ich mir für Deutschland nicht vorstellen.“ Die andere deutsche Besonderheit: „Dass hier Regeln im Alltag manchmal ernster genommen werden als bei uns.“ Wenn man als Kanadier an einer roten Ampel stehe und auf der Straße kein Auto sehe, „geht man bei uns einfach los“. In Deutschland hingegen habe er sich „dafür ein paar Mal kritische Kommentare von Passanten eingefangen“.

Während seiner Amtszeit hat Boehm zumindest im kleinen Kreis mit für einen Botschafter ungewöhnlich deutlichen Worten wiederholt kritisiert, dass Deutschland seine Führungsrolle in Europa nicht ausreichend ausfülle. „Für Deutschland ist das F-Wort immer noch schwer“, sagt er, das habe historische Gründe. Aber ein so potentes Land mit der stärksten Wirtschaft und einer immer stabilen Regierung, das zudem in den vergangenen zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat saß, habe „eine gewisse Verantwortung in Europa“. Die müsse die Bundesrepublik endlich wahrnehmen: „Deutschland kann in der Außenpolitik und in der Europapolitik noch mutiger sein.“

Was der Botschafter, der mit seiner Familie in Dahlem wohnte, an Berlin besonders vermissen wird? „Es klingt vielleicht wie ein Klischee, aber ich finde die Weihnachtsmärkte toll“, sagt Boehm. Dazu komme die Vielfalt des Kulturangebots. Und außerdem etwas, das zumindest bei vielen Berlinern nicht gerade den Ruf eines Erfolgsmodells hat: „Ich werde das öffentliche Nahverkehrssystem vermissen, das so gut ist wie kaum ein anderes auf der Welt.“

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